ATU Der rote Riese

ATU Foto: Clemens Mayer, Julia Knorr 6 Bilder

Besuch bei ATU in Weiden: Deutschlands größte Werkstattkette kann mehr als Firmenwagen reparieren.

Ein eisiger Wind treibt die ersten Schneeflocken des Winters quer über die Straße. Nahtlos scheint der graue Himmel in die Stahlfassade der Hauptverwaltung von ATU zu fließen. "Ideales Wetter für unser Geschäft", freut sich Unternehmenssprecher Markus Meißner bei der Begrüßung. "Je kälter es ist, desto mehr Frostschutz verkaufen wir." Aber wir haben uns nicht nach Weiden im östlichen Ende der Republik aufgemacht, um übers Wetter zu reden. Vielmehr wollen wir herausfinden, was den Erfolg der Werkstattkette ausmacht. 578 Niederlassungen betreibt ATU in Deutschland, 31 in Österreich und der Schweiz. Mittlerweile ist ATU Marktführer im deutschen Kfz-Service, mit über einer Milliarde Euro Umsatz. Speziell im Geschäft mit den Firmen- und Flottenkunden brummt der Laden, wie Prokurist Thomas Tietje bestätigt.

"Wir haben im B-to-B-Bereich 150.000 Kunden. Sieben Prozent des Umsatzes macht ATU mit Großkunden, Tendenz steigend", sagt Tietje, der seit November vergangenen Jahres für die Flottenkunden zuständig ist und in dieser Funktion Manfred Koller ablöste. "Unser Vorteil ist, dass wir flächendeckend arbeiten, den Fuhrparkmanagern über Rahmenabkommen bundesweit einheitliche Tarife anbieten und dass wir alle Fahrzeuge reparieren können, nicht nur eine Marke."

Im Gegensatz zu den meisten Werkstattketten betreibt das zentral von der Oberpfalz aus geführte Unternehmen eigene Werkstätten. Jeder Betrieb berichtet nach Weiden, jeder Mechaniker ist zen­tral bei ATU angestellt. In einem inhabergeführten Franchisesystem einheitliche Konditionen aufzulegen dürfte ungleich schwieriger sein. "Unsere Kunden bekommen eine zentrale Abrechnung, egal ob deren Fahrer ihre Autos in Hamburg, München, Schwerin oder Frankfurt reparieren lassen", sagt Tietje.

Bundesweit agierende Unternehmen können so besser kalkulieren und das Preisgefälle zwischen Stadt und Land in Griff bekommen. Außerdem stehen alle Arbeiten auf der Sammelrechnung, selbst wenn ATU Fremdunternehmen beauftragt. Für größere Karosserie- oder Lackierarbeiten beispielsweise, die über Smart Repair hinausgehen. Das Meiste wird aber soweit wie möglich im Haus erledigt. Nur einen Steinwurf hinter der Hauptzentrale lässt das Unternehmen beispielsweise Schonbezüge für die Eigenmarke nähen, am anderen Ende von Weiden betreibt das Tochterunternehmen ­Estato Recyclinganlagen für Altreifen. "Viele Unternehmen verlangen Zertifi­kate, dass ihre Reifen umweltfreundlich entsorgt werden. Nachhaltigkeit wird im Fuhrpark immer wichtiger", erklärt Tietje.

Eigene Recyclinganlage für Altreifen

Tietje redet sich warm, er kennt sich aus in dem Thema. Bevor er den Großkundenbereich übernahm, leitete er zehn Monate das hauseigene Recyclingunternehmen, das zu den größten und modernsten Europas zählt. Rund 200.000 Tonnen Altöl, Batterien, Felgen und andere ­Autoteile werden dort jährlich verarbeitet, tausende Pneus zu Gummigranulat geschreddert, um daraus Isolier- oder Bodenmatten zu produzieren. Wenn Tietje redet, schwingt im Unterton eine Begeisterung mit, die man bei Mitarbeitern großer Unternehmen häufig vermisst.

Überhaupt geht es familiär zu in der Zentrale, die sympathisch hemdsärmlig wirkt. Ein wenig scheint es, als sei in manchen Büros mit den verblassten Bildern an der Wand die Zeit vor 20 Jahren stehen geblieben. Irgendwie will das nicht so recht zu Tietjes ehrgeizigen Zielen passen. Er redet über digitalisierte Prozesse im Flottenmanagement, über proaktive Terminierung, bei der die Fahrer aufgefordert werden, zur Inspektion vorzufahren. "Wir haben unser Poten­zial im Flottenbereich noch nicht ausgeschöpft", sagt er und erklärt, dass er sogar über Leasingangebote oder ein Gebrauchtwagenmanagement für Firmenkunden nachdenkt.

Wir besuchen die Trainingswerkstatt. Hinter der Stahltür verbirgt sich eine andere Welt, stylisch und clean. Rote Wände empfangen den Besucher und leiten ihn vorbei am Schnittmodell eines Vierzylinders in eine blitzblanke, 1.600 Quadratmeter große Halle. 35.000 Teilnehmertage jährlich umfasst die Weiterbildung von ATU. Doch an diesem Freitagvormittag ist es ruhig. Nur an einem Arbeitsplatz rücken zwei Mechaniker einem ­Tesla Model S mit Messgeräten zu Leibe. Elektrofahrzeuge zu reparieren sei eine der neuen Herausforderungen für das Unternehmen. ATU beherrsche sie ebenso wie den Umgang mit Assistenzsystemen, sagt Hans Hammer. Stolz führt der Leiter der ATU Academy ein CSC-Tool vor. Damit lassen sich Frontkameras und Radarsysteme justieren. Eine Aufgabe, die Fahrzeughersteller ungern Fremdwerkstätten überlassen. Schon wenige Millimeter Abweichung können bei einem Kollisionswarner verheerende Folgen haben. Doch Hammer beteuert: "Wir arbeiten streng nach Herstellervorschriften."

Daran führt auch kein Weg vorbei. Firmenwagen sind selten älter als drei Jahre und niemand will seine Garantie riskieren. Tietje kennt das Thema aus unzähligen Kundengesprächen, hat die gleichen Argumente parat. Alle Arbeiten erfolgten streng nach den Vorgaben der Hersteller, sodass die Garantie erhalten bliebe. "Um den kritischen Besucher zu überzeugen, fahren wir zur Qualitätsprüfung, vorbei an den gewaltigen Hallen, in denen in Hochregalen Reifen und Ersatzteile lagern. Je 30 Lastzüge beliefern von den beiden Zentrallagern in Weiden und Werl bei Dortmund aus täglich die
609 Filialen."

Keine Chance für Produktpiraterie

In einem unscheinbaren Flachdachgebäude schrauben zwei Mechaniker einen Heckträger an einen schwarzen Skoda Yeti. Entspricht der Radträger den Anforderungen von ATU, könnte er seinen Weg in den 100.000 Posten umfassenden Teilekatalog finden, erklärt Bernhard Hofmann, Leiter des Qualitätsmanagements. "Bevor wir ein Produkt ins Sortiment aufnehmen, muss es strenge Hürden nehmen. Schließlich garantieren wir, dass die Teile dem OE-Standard entsprechen. Das prüfen wir regelmäßig." Überall liegen durchgesägte Bremsscheiben, Ölfilter und Motorenteile. Jedes Bauteil werde mit dem Original des Herstellers verglichen, teils auch in Zusammenarbeit mit Labors und Materialprüfungsanstalten. Produktpiraterie habe so keine Chance, sagt Hofmann. Außerdem verbaue ATU häufig die gleichen Teile wie die Autohersteller, nur dass Bosch, ZF & Co sie im neutralen Karton liefern. "In meinem Dienstwagen sind jede Menge Testteile eingebaut. Ich bin immer mit einer Art rollendem Labor unterwegs", sagt Hofmann.

Inzwischen ist es Nachmittag und immer noch eisig kalt in der oberpfälzischen Provinz. Der Firmenwagen pflügt durch frischen Schnee zurück nach Stuttgart. Doch es soll schon wieder wärmer werden. Dem Geschäftsmodell von ATU wird das aber wohl nicht schaden.

Kurzporträt ATU

ATU wurde 1985 in Weiden/Oberpfalz als Familienunternehmen von Peter Unger gegründet. Nachdem die Werkstattkette mehrfach verkauft wurde, übernahmen 2015 die Finanzinvestoren Centerbridge Partners and Goldman Sachs das Zepter. Heute ist ATU Marktführer in Deutschland, betreibt hierzulande 578 Filialen sowie 31 weitere in Österreich und der Schweiz. Mit 10.000 Beschäftigten erwirtschaftet ATU über eine Milliarde Euro Umsatz pro Jahr. Zum Portfolio gehören neben klassischen Werkstattarbeiten (Wartung, Reparatur, Smart Repair) auch spezielle Dienstleistungen für Flottenkunden wie Führerscheinkontrolle und UVV. Das Konzept von Werkstatt und dazgehörendem Fachmarkt für Autoteile und Zubehör scheint Firmenkunden zu überzeugen. ATU wurde von den FIRMENAUTO-Lesern seit 2007 neunmal in Folge zur Besten Marke in der Kategorie Freie Werkstätten gewählt