Augmented Reality Elektronik reichert die Realität an

Foto: Mercedes-Benz

Zunehmend verschmelzen reale und digitale Welt im Automobil. So kombinieren etwa Navigationssysteme animierte Richtungspfeile mit einem realen Videobild. Bis zur nächsten S-Klasse in rund sieben Jahren werden die Grenzen zwischen real und digital noch fließender.

Die sogenannte "Innovations-Werkstatt" von Mercedes-Benz mit rund 100 Mitarbeitern ist ihrer Zeit stets um etwa sieben Jahre voraus. Zurzeit arbeitet das Team um Ralf Lamberti, an der immer intensiveren Verschmelzung von realen Videobildern mit digitalen Informationen. Diese "Augmented Reality", also angereicherte Wirklichkeit, soll den Fahrer spätestens 2020 anschaulicher unterstützen als bisher. Lambertis Prognose: "Wir werden künftig weniger mit Knöpfen, dafür mehr über Gesten die Funktionen im Auto steuern. Und eine neue Ästhetik der Darstellung wird Einzug halten. Dabei spielt Augmented Reality die zentrale Rolle."

Das Problem klingt vertraut: Die Stimme aus dem Navi empfiehlt, den Kreisverkehr in der vierten Ausfahrt zu verlassen. Ein Feldweg als mögliche zweite Ausfahrt verwirrt den Fahrer, schon verpasst er die richtige Abzweigung. In Zukunft wird an solchen kritischen Punkten Augmented Realtiy auf einem großen Monitor ein reales Videobild der befahrenen Straße darstellen, auf dem ein "Fahrbahnteppich" von blauen Richtungspfeilen die exakte Route hervorhebt. Digitale und reale Welt verschwimmen zur bestmöglichen Orientierung für den Fahrer.

Points of Interest und Hausnummern im Live-Bild

Auch sogenannte "Points of interest" am Straßenrand hebt das System virtuell hervor. Auf dem Monitor tauchen immer wieder kleine Symbole für Restaurants, Parkhäuser oder Sehenswürdigkeiten auf. Klickt man drauf, öffnen sich Speisekarten, Fotos oder Lagepläne. Marc Necker aus der Vorentwicklung Telematik von Mercedes-Benz verrät: "Exakt eingeblendete virtuelle Hausnummern stoßen auf besonders großen Zuspruch." Knackpunkt in der Entwicklungsarbeit hingegen sei der Fahrbahnteppich, weil er die höchsten Ansprüche an die Verbindung von GPS-Daten, Fahrzeugsensoren und Realbild am Monitor stelle.

In den Versuchsträgern zur Weiterentwicklung von Augmented Reality kommen die aktuellen Sensoren der Mercedes S-Klasse zum Einsatz sowie deren vier Bordkameras. Schon heute fügt das System deren Bilder zu einer 360°-Ansicht von oben zusammen, um dem Fahrer optimale Hilfestellung etwa beim Einparken zu liefern. Das Bild der Kameras wird um dynamische digitale Hilfslinien angereichert, die zum Beispiel den Rangierweg bei voll eingeschlagenen Rädern anzeigen. Oder Hindernisse sind erst gelb, dann rot hervorgehoben. Diese Darstellungen werden künftig noch anschaulicher, damit Augmented Reality auch hier für immer bessere Orientierung sorgt.

Augmented Reality hält auch bei den Assistenten Einzug

Reale und digitale Welt verschmelzen auch beim Nachtsicht-Assistenten: Nähert sich das Fahrzeug im Dunkeln einem Fußgänger am Fahrbahnrand, so teilt sich blitzschnell die Instrumentenanzeige, und ein Bild zeigt den Warnhinweis. Kameras nehmen sichtbares und unsichtbares Licht auf, die Informationen werden künftig bereits auf Rohdatenebene vermengt, und am Ende veranschaulicht die Kombination daraus optimal die Gefahrenquelle. Im Bildschirm heben rote Markierungen den Fußgänger hervor, der ohne Infrarot-Kamera erst viel später sichtbar wäre. Künftig wird diese Augmented Reality um radarbasierte Informationen erweitert, um etwa stark bremsende vorausfahrende Fahrzeuge zu markieren oder die Umgebung von Parklücken besser darzustellen.

Bei allen Einsatzmöglichkeiten ist laut Marc Necker die grundsätzliche Frage wichtig: "Was muss man, was kann man wie augmentieren?" Auf der Suche nach immer neuen Antworten darauf finden in der Innovations-Werkstatt jährlich rund 80 Workshops statt, in denen fünf Moderatoren Fachleute und Laien an einen Tisch bringen. Dabei tauchen immer neue Impulse zur Weiterentwicklung von Augmented Reality auf, um zum Beispiel zu entscheiden: Wann genau findet der Übergang von klassischer Navigationsansicht auf das kombinierte Bild aus Realität und digitalen Infos statt? Bislang wechselt das System im Versuchsträger auf die augmentierte Ansicht, sobald der detaillierteste Maßstab aktiv ist, bei Richtungsänderung, oder wenn sich das Fahrzeug dem Ziel nähert. Dann gibt der Fahrbahnteppich exakt an, wo's langgeht, oder zeigen virtuelle Straßenschilder und Hausnummern so klar wie möglich an, wo man gerade entlangfährt.

Mercedes ist nicht allein

Auch bei anderen Marken spielt Augmented Reality laut Ralf Lamberti: eine zunehmende Rolle "Das Thema wird mit Sicherheit die Modelle aller Hersteller erreichen. Nur wie und wann genau, muss sich nach und nach zeigen." Mercedes gewährte jetzt erstmals im Versuchsträger R-Klasse, die unter anderem mit dem 12,3 Zoll großen Monitor aus der aktuellen S-Klasse ausstaffiert ist, einen Ausblick auf künftig mögliche augmentierte Darstellungen.

Laut Jochen Hermann, Leiter Fahrassistenzsysteme der Marke, werde bei allen Weiterentwicklungen eine zentrale Rolle spielen, wie der Fahrer die neuen Systeme akzeptiert: "Je mehr möglich ist, desto mehr muss der Fahrer von der Zuverlässigkeit überzeugt sein." Um beim schmalen Grat zwischen sinnvoller Hilfe und Überforderung oder gar Bevormundung nicht zu weit zu gehen, wird jeder weitere Schritt bei der Augmented Reality genau überprüft. Sogenannte Car Clinics sollen in unterschiedlichen Märkten wie Europa, Asien und USA sicherstellen, dass die Neuentwicklungen nicht etwa auf Ablehnung stoßen. Solche Akzeptanzstudien dienten laut Hermann als eine Art "Schutzpolizei" noch vor der Hürde durch Genehmigungsbehörden: "Wenn der Fahrer zum Beispiel zu lange auf neue, augmentierte Darstellungen blickt, kommt eine solche Funktion gar nicht oder erst später in die Serie."