Autonomes Fahren Autofahren wird nicht einfacher, nur anders

 Foto: Daimler AG - Global Communicatio

Das autonom fahrende Auto kommt. Was aber bedeutet dies für den Fahrer? Und worauf müssen Flottenmanager künftig achten?

Bis zum Jahr 2030, so der Plan der Autohersteller, sind die ersten völlig autonomen Fahrzeuge auf den Straßen unterwegs. Der Verkehr fließt besser, Dienstwagenfahrer sind entspannter. Die schöne neue Welt des Individualverkehrs findet jedoch nicht nur Gegenliebe. Der Psychologe Tobias Ruttke vom Lehrstuhl für Arbeits-, Betriebs- und Organisationspsychologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena geht davon aus, dass in naher Zukunft die größere Herausforderung für die Hersteller nicht darin bestehe, das Fahren, sondern den Fahrer neu zu erfinden. Denn auch dessen Part wird sich mit der Integration automatisierter Fahrfunktionen verändern, was gerade bei den teilautomatisierten Ausbaustufen wie einem Stauassistenten für ein Dilemma sorgt.

Gleichzeitig entspannt und aufmerksam zu sein geht nicht

»Assistenzsysteme mit Funktionen für Abstandswarnung und Spurhaltung sollen den Fahrer von monotonen Fahraufgaben entlasten. Damit wird die Aufmerksamkeit des Fahrers vom Fahrprozess abgezogen. Ein Fahrer kann aber nicht entspannt und gleichzeitig aufmerksam sein«, erklärt Ruttke. »Die Systeme sind noch so ausgelegt, dass sie im Ernstfall auf den Fahrer umschalten. Der ist im entscheidenden Moment nicht auf die Gefahr fokussiert, soll aber trotzdem eine schwerwiegende Entscheidung treffen«, sagt der Psychologe.

Assistenzsysteme fürs Flottenmanagement immer wichtiger

Auch im Fuhrparkmanagement dürfte die zunehmende Integration technischer Hilfsmittel in das Fahrzeug für neue Akzente sorgen. »Der Fuhrparkleiter benötigt künftig einen genauen Überblick, welche Systeme in welchen Fahrzeugen verfügbar sind. Zudem erhält die von der Berufsgenossenschaft vorgeschriebene Einweisung einen noch höheren Stellenwert für die tägliche Fuhrparkpraxis«, berichtet Marc-Oliver Prinzing, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands Fuhrparkmanagement.

Prinzing sieht auch die Gefahr, dass mit der Zahl der elektronischen Helfer an Bord bei manchen Mitarbeitern die Versuchung steigen könnte, den Fähigkeiten des Fahrzeugs mehr zu vertrauen, als es die Verantwortung erlauben würde. Ein Außendienstmitarbeiter könnte zum Beispiel trotz seiner Müdigkeit nach einem langen Arbeitstag auf die Autobahn auffahren, weil er auf die Funktion des Spurhalte- und Abstandswarnsystems vertraut. Ein anderer könnte aus Zeitdruck stärker als sonst auf das Gaspedal drücken, weil er davon ausgeht, dass im Notfall das Assistenzsystem regelnd eingreift.

Schwachstelle Mensch

Ein handfester Risikofaktor fürs Unternehmen wäre der Mitarbeiter, der mit ­deaktiviertem Assistenzsystem unterwegs ist, und das System erst dann einschaltet, wenn er kurz davor steht, einen Auffahrunfall zu verursachen. »Schwachpunkt ist und bleibt der Mensch. Solange Systeme abgeschaltet werden können, wird der eine oder andere mehr auf die eigenen Fahrkünste vertrauen«, bilanziert Marc-Oliver Prinzing.

Sollte also die Strategie der Hersteller darin bestehen, den Fahrer im Fahrzeug durch Technologie zu ersetzen? Wenn die Maschine denkt und lenkt, wäre der Mensch als Fehlerquelle wirksam ausgeschaltet. Diese Rechnung wird jedoch nicht aufgehen. »Der motorisierte Fahrer ist nur ein Teil des Gesamtverkehrssystems. Wer am Teilsystem Auto den Hebel ansetzt, verändert damit zwangsläufig die anderen Teilsysteme«, erklärt der Psychologe Tobias Ruttke.

Der Augenkontakt geht verloren

Typisches Beispiel: Fahrer und Fußgänger stellen in einer unklaren Verkehrs­situation häufig einen Augenkontakt her, um sich zu verständigen. Ein Fahrer in einem automatisierten Fahrzeug wird genau diesen Kontakt nicht mehr halten. Für die anderen Verkehrsteilnehmer bedeutet das einen Verlust an Sicherheit. Andererseits könnte ein Fußgänger versucht sein, dem System gerade in kritischen Situationen ein hohes Maß an Kompetenz und Sicherheit zu unterstellen. Der Fußgänger würde in diesem Fall einfach über die Straße gehen, weil er glaubt, dass das System auf dieses Verhalten angemessen reagiert.

»Autofahren ist stets auch ein soziales Verhalten. Automatisierte Systeme sind dafür ausgelegt, sich an Verkehrsregeln zu halten. Menschen dagegen neigen dazu, Regeln bisweilen zu brechen«, berichtet Tobias Ruttke. Für den Psychologen lautet daher die Gretchenfrage: Wer hat bei einem Konflikt das Sagen? Mensch oder Maschine?