Elektrisch durch Berlin Mit dem Strom

BVG Berliner Verkehrsbetriebe Foto: Frank Hausmann 3 Bilder

Die BVG Berliner Verkehrsbetriebe haben bis Jahresende 100 E-Autos in ihre Flotte integriert. Nahezu reibungslos und kostengünstig ging das nur, indem der gesamte Fuhrpark auf den Prüfstein kam.

Ursprünglich wollte Heinrich Coenen 38 Elektroautos bis 2018 in die Pkw- und Lieferfahrzeugflotten der Berliner Verkehrsbetriebe aufnehmen. Doch die Rechnung hat der Projektleiter der Stabsabteilung Geschäftsentwicklung ohne den Wirt gemacht. Seinem Vorstand gefiel zwar das Vorhaben, nur wollte der mehr E-Mobile in kürzerer Zeit austauschen. Diese Zielvorgabe verlangte nach einem strukturierten Plan samt Machbarkeitsprüfung mit Reichweitenanalyse und allem Drum und Dran.

Also musste Coenen mit seinem Team manuell den Einsatz aller 105 Pkw in der BVG-Flotte untersuchen, die knapp 2.000 Fahrten pro Monat abwickeln. Das Ergebnis war verblüffend: 95 der untersuchten 105 Autos würden sich sofort uneingeschränkt durch Elektrofahrzeuge ersetzen lassen. Sie legen weniger als 120 Kilometer pro Tag zurück oder kommen bei mehr Fahrkilometern durch Zwischenladen ebenfalls für den Elektrobetrieb infrage.

Hybride für Langstrecken

Die restlichen Fahrzeuge nutzen die Mitarbeiter teils für Dienstreisen zu weiter entfernt liegenden Zielen, sodass sich diese nicht so einfach austauschen lassen. Schlussendlich will die BVG durch weitere Optimierungen insgesamt 100 Standard-Pkw bis Ende 2016 durch Elektrofahrzeuge ersetzen. Für die übrigen fünf soll zu einem späteren Zeitpunkt eine Lösung gefunden werden, die unter Umständen auch Hybridauto heißen könnte.

Der Einstieg in die Elektromobilität ist eine strategische Entscheidung der BVG- Geschäftsführung, die die Wahrnehmung als umweltfreundliches und innovatives Unternehmen deutlich stärken soll. Damit verfolgt die BVG das Ziel, ihre CO2-Emissionen zu senken und fossile Energieträger langfristig abzulösen. Zusätzlich kommt das Unternehmen als Anstalt des öffentlichen Rechts den SenatVorgaben nach, zehn Prozent des Berliner Landesfuhrparks auf einen nachhaltigen E-Antrieb umzustellen. Mit 100 E-Autos betreibt die BVG künftig den landesweit größten Elektrofuhrpark.

Wesentlich erleichtert hat den Umstieg auf Elektrofahrzeuge die kurz zuvor durchgeführte Optimierung der Autoflotte und Neuausrichtung des Fuhrparks. Dabei wurden auch die Aufgaben zur Halterhaftung und deren Delegation neu definiert. Für mehr Transparenz kam ein neues EDV-System für Fuhrparkverwaltung, Disposition und Controlling zum Einsatz. »Das flexible Fuhrparkmanagement-System Fleet+ half uns, die Kosten deutlich zu reduzieren«, versichert Coenen. Das sei vor allem durch Änderungen bei Finanzierung und Nutzungsdauer sowie weniger Fahrzeuge durch Pool­bildung möglich gewesen. Auch die Wartungs- und Instandhaltungskosten würden sinken. Weiterhin sind optimierte Prozesse wie Fahrtenbücher, Führerscheinkontrolle und Schlüsselkästen auf elektronischer Basis in Vorbereitung. "Das größte Einsparpotenzial ergab sich aus der grundsätzlichen Verabschiedung vom Leasinggeschäft für Pkw und den Wechsel in die Eigenfinanzierung", erklärt der BVG-Projektleiter. Dadurch könne man die optimale Nutzungsdauer selbst bestimmen und die Autos länger im Fuhrpark behalten, ohne in einen kritischen Bereich zu kommen. Fast ein Viertel der Einsparungen nutzte die BVG für die Finanzierung der E-Autos.

Bei E-Autos muss man das Gesamtpaket betrachten

"Flottenbetreiber sollten das Gesamtpaket Fuhrpark sehen und nicht nur auf die zusätzlichen Kosten und den Aufwand bei Implementierung von Elektroautos schielen", rät Coenen den gut 50 Fachleuten am ersten Anwendertag Elektromobilität in Berlin. Dazu hatte das Forschungsprojekt E-Mobility-Scout eingeladen, um aktuelle Forschungsergebnisse zu präsentieren sowie eigene Produkte und Dienstleistungen anzubieten.

Das Konsortium von mehreren Partnern aus Industrie und Forschung entwickelt eine ganzheitliche, cloudbasierte IT-Plattform für den Betrieb von E-Fuhrparks samt Ladeinfrastrukturlösungen und wird durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) im Technologieprogramm "IKT EM III" gefördert.

E-Mobility-Scout stellt Interessenten wichtige Funktionalitäten wie die Stammdaten-verwaltung, Einsatzoptimierung und das Energiemanagement bereit. Die Betriebsdaten aus Fahrzeugen und Lade­infra­struk­tur sowie eine dynamische Einsatzplanung sollen E-Autos im gewerblichen Einsatz attraktiver machen. Ein intelligentes Energie-management koordiniert zusätzlich den Strombedarf und die aktuelle Stromerzeugung am jeweiligen Standort, um die Fahrzeuge aufgeladen einsatzbereit zu halten. Eine hohe Zuverlässigkeit werde dabei durch die Vernetzung erreicht.

Die ersten 30 E-Fahrzeuge hat die BVG seit Ende 2015 im Einsatz. Seitdem setzt das Unternehmen unterschiedliche E-Modelle wie den Nissan Leaf, Renault Zoe, Mercedes B-Klasse, VW Golf, VW Up und VW Up Load sowie Renault Kangoo und Nissan NV200 ein, um Busfahrer auf der Strecke abzulösen, nachts die U-Bahnhöfe abzuschließen, Haltestellen vor Baumaßnahmen zu verlegen oder die Ticketverkaufsstellen mit Verbrauchsmaterial zu versorgen. Aufgestockt auf 100 E-Autos sollen die Stromer in unterschiedlicher Anzahl von 1 bis 35 auf alle 17 BVG-Standorte in der Stadt verteilt werden.

E-Autos werden geleast

"Entgegen der neuen BVG-Philosophie, uns vom Pkw-Leasing zu verabschieden, schließen wir für sämtliche Elektrofahrzeuge Leasingverträge ab", betont Coenen und führt als Grund die unsichere Restwertentwicklung ins Feld. Wie sich der Batteriemarkt künftig entwickelt, sei noch nicht abzuschätzen. Das mache eine zuverlässige Planung ­unmöglich

 Zusätzlich gebe es die entsprechende Förderung der "InitiativE Berlin-Brandenburg" nur in Verbindung mit dem Leasing. Auch rechnet Coenen mit mindestens zehn Prozent Preis- und Verbrauchssenkung für E-Autos nach Ablauf der ersten drei Leasingjahre. Dann dürfte die Akkuleistung nochmals gestiegen sein, was für die BVG nicht mehr Reichweite, sondern weniger Nachladen bedeutet.

"Heute ist die Elektromobilität noch teurer als mit konventionellen Verbrennern. Erst recht, wenn Fahrzeuge an öffentlichen Stationen mit Zeittarif aufgeladen werden müssen", argumentiert Coenen. Deshalb und aus Prozessgründen baut die BVG eine eigene Lade­infra­struk­tur auf, selbst wenn diese zusätzliches Kapital bindet. Pro intelligente Ladesäule kalkuliert der Wahlberliner rund 3.000 Euro inklusive Anschluss­gebühr ein und strebt bis zum Jahresende eine 1:1-Belegung an. "Anfangs führt daran kein Weg vorbei, um das Vertrauen bei den Beschäftigten zu erzeugen", räumt der 52-Jährige ein. Das Laden an der Laterne oder über Steckdose zu Hause dürfe nicht Standard sein, sondern nur in Notfällen zum Zuge kommen. Am Betriebshof in Lichtenberg sollen bald 30 vernetzte und ansteuerbare Ladestellen eingerichtet sein. Zusammen mit der fahrzeugbezogenen Ladekarte will er den Ener­gie­bedarf der jeweiligen Fahrzeuge ermitteln und jedes Fahrzeug ansteuern können.

Künftig will die BVG ihren Fahrzeugbestand weiter optimieren, indem nicht notwendige Standzeiten reduziert werden. Nur noch der Grundbedarf soll durch den Eigenbestand abgedeckt sein. Für den Mehrbedarf könne man Kooperationen suchen und andere Betreibermodelle nutzen. Wer seine Fahrzeuge nur am Tage benötigt, kann sie schließlich nachts anderen Unternehmen wie Wachdiensten abtreten. Und für den Spitzenbedarf dürften Sharing-Modelle herhalten. Damit sich die Pkw-Anschaffung für die BVG lohne, müsse ein Fahrzeug mindestens 60 Tage in Betrieb sein. Sonst rentiere sich eher der Weg zum Autovermieter. Andererseits wäre für die BVG als Mobilitätsanbieter ebenfalls denkbar, mehr Elektrofahrzeuge als selbst benötigt anzuschaffen und den Überschuss zu vermieten. Dann hätten sich die hohen Investitionen in die Ladeinfrastruktur ­schneller amortisiert.

Berliner Verkehrsbetriebe - Die BVG in Zahlen

Die BVG ist mit über einer Milliarde Fahrgästen im Jahr das größte Verkehrsunternehmen in Deutschland. Das landeseigene Unternehmen mit rund 14.000 Beschäftigten an 17 Standorten in der Stadt betreibt 1.321 Omnibusse, 1.238 U-Bahnen und 353 Straßenbahnen auf insgesamt 183 Linien mit zusammen fast 7.500 Haltestellen. Mit der ersten in Dienst gestellten Straßenbahn 1881 nutzt das Unternehmen den Elektroantrieb seit 135 Jahren und befördert heute die Mehrzahl der Fahrgäste mit elektrisch angetriebenen Fahrzeugen. 2014 nahm die BVG die ersten elektrischen Fähren im Linienbetrieb auf. Ein Jahr später folgten vier Solaris-Elektrobusse, die auf der 6,1 Kilometer langen Linie 204 vom Bahnhof Zoo bis zum Südkreuz im Testbetrieb laufen.

Zum BVG-Fuhrpark, der für die Infrastruktur, den Betrieb und die Verwaltung benötigt wird, gehören 105 Pkw, 110 Transporter, 107 Fahrzeuge mit Sondereinbauten, 52 Spezialfahrzeuge sowie 15 Anhänger. Inzwischen rollen 73 der 105 Autos rein elektrisch durch die Stadt. Bis zum Jahresende sollen es 100 E-Fahrzeuge sein. Dann kann die BVG auch ihre ersten drei E-Roller im Fuhrpark begrüßen.