Micro Smart Grid Warum Elektro-Flotten autarke Stromnetze benötigen

Micro Smart Grid Foto: Fotolia 9 Bilder

Fuhrparkmanager stellen zunehmend auf Elektroautos um. Aus ökologischer Sicht ergibt dies nur Sinn, wenn der Strom regenerativ gewonnen wird. Wind und Sonne gibt’s aber nicht auf Knopfdruck, der Strom muss also gespeichert werden. Die ganzheitliche Lösung für grüne Flotten heißt Micro Smart Grid.

Da zerbricht sich die Autoindustrie den Kopf darüber, wie sie E-Autos mit Strom vollpumpt, während das Forschungsinstitut Fraunhofer IAO daran tüftelt, E-Fahrzeuge sinnvoll als Energiequelle zu nutzen. Den Strom also abzuzapfen. Für andere Elektrogeräte im Büro beispielsweise. Der Gedanke dahinter: Für Fraunhofer IAO ist das E-Auto nicht nur Energiefresser, sondern zeitgleich auch Stromspeicher und -spender. Ein universeller Baustein im Gesamt­gefü­ge Micro Smart Grid.

Micro was? Okay, holen wir etwas aus. Micro Smart Grids sind in sich geschlossene Stromnetze, die Verbraucher, Speicher und Erzeuger von Energie einschließen. Ein Kreislauf also, der autark ohne Stromzufuhr aus dem öffentlichen Stromnetz auskommt. Ein Firmengebäude beispielsweise mit angeschlossenem Parkhaus samt Elektro-Ladesäulen und der Cafeteria gegenüber (alles Verbraucher), einer riesigen Lithium-Batterie im Keller (Speicher), Solarpanels auf dem Dach und einem Windrad auf dem Hügel hinterm Haus (beides Erzeuger). Dieses geschlossene System wäre ein Micro Smart Grid, bei dem der Strom ausschließlich aus erneuerbaren Energiequellen gewonnen wird. Elektroautos sind dabei universell einsetzbar, sie können situationsbedingt alle drei Rollen einnehmen.

Wozu überhaupt Micro Smart Grids? Schließlich kommt genügend Strom aus der Steckdose. Wer selbst regenerativ gewonnenen Strom der eigenen Solar­anlage ins öffentliche Stromnetz einspeist, erhält sogar ein nettes Sümmchen von der Bundesregierung als Belohnung.

Für die Antwort müssen wir weit in unsere Zukunft blicken: Ab 2050 gibt die Bundesregierung vor, dass 80 Prozent der Energie aus erneuerbaren Quellen ­stammen muss, also von Windrädern, Solar­anlagen etc. Die Politik spricht bei ihrem Vorhaben von der Energiewende, bei der wir uns von dem Strom aus den Kohle- und Atomkraftwerken weitgehend verabschieden. Alleine mit der Installation von Windrädern und Solaranlagen ist es allerdings nicht getan. Die größte Herausforderung der Energiewende ist es, regenerativ erzeugten Strom zeitweise zu konservieren und gleich­mäßig auf das Land zu verteilen

Gutes Wetter konservieren

Die entscheidende Komponente bei regenerativen Stromquellen ist das Wetter. Scheint die Sonne ständig und weht konstant genügend Wind, ist alles prima. Der Traum vom allzeit schönen Wetter geht allerdings nur in Erfüllung, wenn Ihr Firmensitz auf Madeira oder den Kanaren liegt. Hierzulande herrschen vier Jahreszeiten. In den dunklen Wintermonaten liegen die Solarpanels unter einer Frostdecke auf Eis. Strom fehlt. Und wenn ein sonniger und windiger Apriltag die Energieerzeuger auf Hochtouren bringt, können wir so viel Strom gar nicht verbrauchen. Überschüssiger Strom geht ungenutzt verloren.

"Damit wir aufwendig gewonnenen regenerativen Strom nicht wegwerfen, nur weil wir gerade nicht so viel benötigen, müssen wir Überschüsse speichern", sagt Florian Klausmann, Projektleiter im Team Mobility Concepts and Infrastructure beim Forschungsinstitut Fraunhofer IAO, und ergänzt: "Nur so können wir die sonnenarmen Wintermonate überbrücken."


Micro Smart Grid Foto: Ludmilla Parsyak Photography

Klausmann spricht aus Erfahrung. Das Fraunhofer IAO hat ein reales Micro Smart Grid auf dem eigenen Fir­men­gelände aufgebaut. Die Verbraucher sind 30 Ladesäulen im Parkhaus für die 45 E-Autos des Forschungsinstituts. Darunter auch Schnellladesäulen mit bis zu 150 kW Gleichstrom. Der komplette Fahrstrom wird so von einer Foto­vol­taik­anlage auf dem Dach produziert. Überschüssiger Strom wird kurzfristig in einer Lithium-Batterie gespeichert. Für die saisonale Speicherung des Stroms über mehrere Monate hinweg dient ein LOHC-Wasserstoffspeicher (Liquid Organic Hydrogen Carrier) mit 2.000 kWh Kapazität in einem Baucontainer auf dem Parkhausdach.

Wasserstoff lässt sich per Elektrolyse beispielsweise aus Grund- oder Regenwasser herstellen. Elektrischer Strom kann so mit vergleichsweise geringen Verlusten in einen dauerhaft speicherbaren Energieträger umgewandelt werden. Bei der LOHC-Technologie wird Wasserstoff molekular in einem Trägeröl gebunden. Somit entfallen aufwendige Druckspeicher oder Kühlanlagen für Flüssigwasserstoff. Über eine 30-kW-Brennstoffzelle wird aus dem Wasserstoff im Heizöltank wieder Strom gewonnen, der bei Bedarf an das Netz zurückfließt.

Software regelt Stromkreislauf

"In der Energiespeicherung liegt sicherlich noch viel technisches Potenzial. Mit Power-to-Gas-Anlagen, wie dem LOHC-Wasserstoffspeicher, können Stromüberschüsse gespeichert werden, die wir sonst durch Abregelung verlieren würden. Rund 30 Prozent der regenerativen Energie kann dabei später wieder verwendet werden«, sagt Klausmann. "Entscheidend ist es daher, Erzeugung und Nachfrage möglichst direkt in Einklang zu bringen, damit die Energie gar nicht erst in die Speicher geladen werden muss. Hierbei helfen adaptive Algorithmen zur Wetter- und Lastprognose."


Micro Smart Grid Foto: Ludmilla Parsyak Photography

Bei Fraunhofer IAO regelt daher eine intelligente Software den Stromfluss. Sie weiß, wann welche E-Fahrzeuge an der Zapfsäule hängen, wann sie wieder mit vollen Akkus zurück auf die Straße müssen, wie es um den aktuellen Stromspeicher steht und wie Wind und Sonnenverhältnisse in den nächsten Stunden und Minuten sein werden. "Über dieses Energiemanagementsystem können wir alle Energieerzeuger, -speicher und - verbraucher hinsichtlich verschiedener Optimierungsziele ansteuern und überwachen", sagt Klausmann. Somit kann Fraunhofer IAO praxisnah verschiedene Anwendungsszenarien simulieren und Fuhrparks bei der Installation von Energiespeichern angesichts der Auslastung derer E-Flotte unter die Arme greifen.

Gemeinsam mit Daimler untersuchte Fraunhofer IAO bereits die Anforderungen an ein Micro Smart Grid für die Lade- und Energieinfrastruktur von 300 Elektrofahrzeugen am Arbeitsplatz. An 16 Standorten des Autokonzerns installierte das Forscherteam 500 Ladesäulen. Daimler-Mitarbeiter konnten die E-Autos leasen und dort laden. 2,8 Millionen Kilometer legte die Belegschaft elektrisch zurück. Genügend Daten für Klausmann und seine Forschungsgruppe, um eine umfassende Auswertung der Ladedaten und eine Analyse der Auswirkungen auf die übergeordneten Energiesysteme und resultierender Lastspitzen zu berechnen.

Lastspitzen vermeiden

Lastspitzen sind für Firmen mit Elektroautos in der Flotte schon heute ein großes Thema. "Eine der zentralen Forschungsfragen lautet: Wie können wir Lastspitzen in den Stromnetzen vermeiden?", sagt Klausmann. "Denn wenn viele E-Fahrzeuge im Fuhrpark gleichzeitig mit hoher Leistung laden, drohen Überlastungen in der Infrastruktur«, so der Experte. Firmen, die eine große elektrisch betriebene Flotte planen, benötigen daher nicht nur eine intelligente Ladesoftware, sondern ebenso Energiespeicher, die zu Spitzenzeiten Strom beisteuern.

Um dies auch möglichst praxisnah an der sich stetig weiterentwickelnden Elektromobilität zu testen und den Strombedarf kommender Generationen von E-Autos auszureizen, hat Fraunhofer IAO unter den 30 Ladesäulen auch Europas schnellste Ladesäule aufgebaut. Über armdicke Kabel fließen 150 kW Gleichstrom und 43 kW Wechselstrom. An der mittlerweile in Serie erhältlichen Anlage können bis zu vier Elektrofahrzeuge gleichzeitig laden. Ein Fahrzeug alleine ist in 30 Minuten wieder fit für rund 300 km Reichweite. Projektleiter Klausmann möchte sein Micro Smart Grid zeitnah um eine Brennstoffzellenzapfsäule und eine induktive Lademöglichkeit erweitern.

Vehicle-to-Grid - Das Elektroauto als variabler Stromspeicher

Nissan arbeitet schon länger daran, Elektroautos als Energiespeicher einzusetzen. Immer dann, wenn der Strom teuer ist, wird der überschüssige Strom aus Fahrzeugbatterien ins öffentliche Stromnetz eingespeist, also verkauft. Oder im hauseigenen Energiemanagement verwendet, sodass kein Fremdstrom eingekauft werden muss. Sobald die Energiespitzen vorüber sind und der Strompreis sinkt, werden die Batterien der Autos wieder aufgeladen. Im Nissan-Entwicklungszentrum in Kanagawa (Japan) beispielsweise dienen noch funktionierende Batterien von Unfallwagen als Energiespeicher. Dort wurden auch die ersten Mitarbeiterfahrzeuge in ein Vehicle-to-Grid-System integriert.

Das weltweit erste gewerbliche Vehicle-to-Grid(V2G)-Projekt ging Ende August 2016 am Hauptsitz des dänischen Energieversorgers Frederiksberg Forsyning ans Netz. Gewerblich bedeutet: Bei dieser Anlage sind sämtliche Komponenten und Technologien, die hier unter Alltagsbedingungen genutzt werden, für Endverbraucher frei erhältlich: der Elektro-Kastenwagen Nissan e-NV200, die Ladesäulen sowie die elektronische Plattform GIVe zur Steuerung des Energieflusses. Alle zehn Transporter laden Strom, speisen ihn bei Bedarf aber auch wieder ins Stromnetz ein.

Foto: bob