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Brennstoffzelle Ist Carbazol der Sprit der Zukunft?

Strom aus der Zapfsäule Foto: Gugu Mannschatz

Löst Carbazol als Trägerflüssigkeit für Wasserstoff die Anlaufprobleme von Brennstoffzellenautos? Der Kraftstoff bräuchte jedenfalls keine neuen Tankstellen.

Niemand weiß, wie die Dinge gelaufen wären, hätte der Wieslocher Stadtapotheker am 5. August 1888 die Kundin aus Mannheim abgewiesen. Die Dame namens Bertha Benz wollte sämtliche Ladenvorräte an Ligroin aufkaufen. Aber nicht, um es wie seinerzeit üblich als Waschbenzin zu verwenden. Nein, Frau Benz gedachte, das hochexplosive Gebräu geradewegs in den Tank ihrer mitgeführten Motorkutsche zu schütten. Trotz größter Bedenken willigte der Apotheker schließlich ein. Brennstoffzellentechniker wünschen sich heute ähnlich mutige Entscheidungsträger.

Carbazol lässt sich genauso einfach handhaben wie herkömmliche Kraftstoffe - Wunder darf man allerdings nicht erwarten

Eine solche Zelle dient schließlich dazu, elektrisch leitenden Wasserstoff in Strom umzuwandeln, um damit ein Auto zu bewegen. Um elektrisch leitenden Wasserstoff aber überhaupt im Fahrzeugtank mitführen zu können, muss man ihn unter einem gewaltigen Druck von 700 bar zur Gasform komprimieren. Die beiden Professoren Wolfgang Arlt und Peter Wasserscheid der Universität Erlangen-Nürnberg experimentieren daher seit geraumer Zeit mit einer Kohlenwasserstoffverbindung namens N-Ethylcarbazol, kurz: Carbazol. Diese energiearme Flüssigkeit ist in der Lage, leitenden Wasserstoff – zum Beispiel in Windkraftanlagen elektrolytisch hergestellt – ohne Druck zu speichern, vor allem aber auch wieder abzugeben.

Die angereicherte Substanz ist genauso handzuhaben wie herkömmliche Kraftstoffe. Damit würde sich das System grundsätzlich auch für den Betrieb von Brennstoffzellenautos eignen. Das Zukunftsszenario: Der Fahrer zapft an seiner Tankstelle das angereicherte Carbazol. Der darin enthaltene, energiebeladene Wasserstoff wird zum Fahren chemisch abgespalten und in der Brennstoffzelle verwertet. Geht der energiereiche Wasserstoff im Carbazoltank zur Neige, wird beim nächsten Tankstopp zunächst das energiearme Gemisch aus dem Auto abgepumpt. Anschließend tankt der Fahrer wieder energiebeladenes Carbazol. Im Fahrzeugtank ist eine Art Ziehharmonikasystem denkbar, das sukzessive die Tankvolumina von geladen in energiearm verschiebt.

Ein Auto würde einen doppelt so großen Tank benötigen wie heute

Der Stoff durchläuft also einen Kreislauf: angereichert aus dem Tank hin zur Brennstoffzelle, danach energiearm wieder zurück. Zudem ist der logistische Kreis geschlossen. Lkw fahren energiebeladenes Carbazol zur Tankstelle und bringen energiearmes wieder zum Aufladen zur Windkraftanlage. Klingt toll, Wunder sind kurzfristig allerdings nicht zu erwarten. "Wir stehen noch ganz am Anfang", so Arlt. Derzeit kann ein Liter Carbazol lediglich 58 Gramm Wasserstoff aufnehmen. Demnach würde ein Auto etwa doppelt so viel Carbazol wie Superbenzin benötigen und somit einen doppelt so großen Tank. Hinzu kommt, dass die Herauslösung des Wasserstoffs erst ab 180 bis 200 Grad funktioniert. Heutige Brennstoffzellen kommen aber nur auf eine Reaktionstemperatur von etwa 80 Grad. Würde man diese zwangsweise erhöhen, sänke der Wirkungsgrad entsprechend, kritisiert der Deutsche Wasserstoff- und Brennstoffzellenverband (DWV). Vergleichbar mit Glühbirnen, bei denen die meiste Energie als Wärme verpufft.

Zudem ist der in Carbazol transportierte Wasserstoff noch nicht rein genug für die empfindlichen Membranen der Brennstoffzellen. Und: Das Herauslösen des Wasserstoffs aus dem Carbazol dauert einen Moment, die Beschleunigung des Autos wäre merklich langsamer. Auf großes Interesse stößt die Arbeit der Forscher dennoch. Denn sie eröffnet auch der Mineralölindustrie und ihrer Infrastruktur Alternativen für die postpetrole Zeit. Die Professoren haben ein Konsortium gegründet, dem Vertreter der Fahrzeugindustrie angehören, aber auch der Chemie- und der Energiebranche. Zudem stellten sie beim Verkehrsministerium einen Förderantrag über 500.000 Euro. Was fehlt, ist noch ein Prototyp. Einer wie 1888 vor der Wieslocher Apotheke.

"Die Realisierung wäre dank bekannter Unternehmen gesichert"

Drei Fragen an Prof. Dr. Wolfgang Arlt, Leiter des Energie Campus Nürnberg und Erforscher von Carbozol

Wann sehen wir den ersten mit Carbazol betriebenen Prototypen?

Realistisch betrachtet in zehn Jahren. Sobald die ersten H2-Autos der Zukunft ihre Kinderkrankheiten abgelegt haben, bauen wir die Drucktanks aus und unsere Technologie ein. Bitte bedenken Sie aber, dass wir Carbazol generell als energietragenden Stoff etablieren wollen, zum Beispiel auch zur Netzstabilisierung oder Hausenergieversorgung. Wir reden nicht alleine von einem Pkw-Kraftstoff.

Die Hersteller halten sich bedeckt. Jubelt die Chemie- und Mineralölindustrie umso mehr?

Schwer zu sagen, wann eine Firma begeistert ist und wann nicht. Jedenfalls stehen hinter dem Förderantrag sieben bekannte Unternehmen aus allen Interessenbereichen, die Realisierung wäre dadurch technisch gesichert.

Wissen Sie schon, wann über Ihren Förderantrag entschieden wird?

Das möchte ich heute – Stand September – auch gerne wissen. Staatssekretär Rainer Bomba vom Verkehrsministerium hatte sich ja öffentlich sehr befürwortend geäußert. Die letzte Version des Antrags habe ich jedenfalls Ende Mai eingereicht.