Fahrverbote Diesel unter Generalverdacht

Berufspendler mit Diesel Foto: AdobeStock

Der Diesel wurde längst vorverurteilt, erst jetzt wird die Grundlage der Vorwürfe geprüft. Ärzte zweifeln die Grenzwerte für Fahrverbote an, Juristen nehmen die Messverfahren in den Fokus.

Vielen deutschen Städten droht bald ein Fahrverbot. Dabei sind längst nicht mehr nur Diesel nach Euro-4-Norm und schlechter betroffen. Auch Selbstzünder mit Abgasnorm Euro 5 und gar neuere Euro-6-Diesel könnte es erwischen – die Rechtsgrundlage dafür schaffte jüngst der Europäische Gerichtshof. Weil die ­Diskussion um Fahrverbote immer weitere Kreise zieht, werden auch die Zweifel an den Messmethoden größer.

In Stuttgart gibt es bereits Fahrverbote, momentan nur für Auswärtige. Hier dürfen zunächst Dieselautos mit der Abgasnorm Euro 4 und älter nicht mehr in die Umweltzonen einfahren. Gemessen wird an den Hauptverkehrspunkten, die Fahrverbote erstrecken sich aber nahezu über das ganze Stadtgebiet. Ab April sind auch Stuttgarter selbst betroffen. Ausnahmen gibt es für den Lieferverkehr, Menschen mit Behinderung oder Rettungsdienste. Der normale Dienstwagenfahrer zählt nicht dazu. Möglicherweise kann er oder sein Unternehmen aber gegen ein Fahrverbot klagen. Das behauptet zumindest Rechtsanwalt Matthias Götte.

Auf dem 57. Verkehrsgerichtstag in Goslar stellte der Jurist jüngst klar, dass die Messverfahren für verschmutzte Luft völlig uneinheitlich seien. Laut EU-Verordnung dürfen die Messstellen nicht weiter als zehn Meter vom Fahrbahnrand entfernt sein. Sie können sehr wohl aber direkt an der Straße stehen, was genauso die Ergebnisse verzerrt. Ebenso Baumkronen, die wie eine Luftmauer wirken. Solange es keine präzise Definition der Standortkriterien für Messstationen gibt, verstößt das Gesetz gegen den sogenannten Bestimmtheitsgrundsatz.

NOx nach Automarke Foto: firmenauto
Im ADAC-Test stoßen Diesel von Renault und Dacia am meisten Stickoxid aus.

Zu diesem Schluss kommt das gesamte Expertengremium in Goslar. In seiner Abschlussempfehlung fordert es den Gesetz­geber dazu auf, eindeutige, standardisierte Vorgaben für die Positionierung von Messstationen festzulegen. Juristen sehen die Messverfahren als Achillesferse der Fahrverbotsurteile. Deshalb soll jede Kommune transparent aufzeigen, wie die einzelnen Messstellen positioniert wurden. Auch Bundesverkehrs­minister Andreas Scheuer will die Standorte der Messstellen "diskutieren". Und die Goslarer Experten fordern noch mehr. "Erlassene Fahrverbote sind fortlaufend auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen", heißt es in der Schlussempfehlung.

Für Flottenchefs dürfte es trotzdem schwer werden, sich gegen Fahrverbote zu wehren. Andreas Krämer, Fachanwalt für Verkehrs- und Versicherungsrecht, zählt zwei Möglichkeiten auf: "Wer das Fahrverbot versehentlich missachtet hat, kann gegen das Bußgeld Einspruch einlegen und später vor dem Amtsgericht klagen." Der Jurist rechnet aber nicht damit, dass man damit eine endgültige Klärung erreicht. "Wegen geringer Schuld dürften die meisten Verfahren eingestellt werden." Doch es gibt die Möglichkeit, gegen die Kommune zu klagen, die das Fahrverbot erlassen hat. "Dann landet der Streit vor einem Verwaltungsgericht", so Krämer. In der Regel dürfte man den Streit in beiden Fällen sogar unter dem Schutz der Firmenverkehrsrechtsschutz-Police führen können. So bietet beispielsweise die Arag im Tarif Aktiv-Rechtsschutz Komfort einen "­Verwaltungsrechtsschutz in verkehrsrechtlichen Angelegenheiten vor Verwaltungsbehörden und ­Verwaltungsgerichten".

NOx nach Abgasnorm Foto: firmenauto
Wer jetzt einen Diesel kauft, sollte nur ein Modell mit Euro 6d oder 6d-Temp wählen.

Viel schwieriger dürfte es werden, den ­umstrittenen Grenzwert für Stickstoffdioxid (NO2) von 40 Mikro­gramm pro Kubikmeter aus der Welt zu schaffen. In einer großen Aktion kritisierten Lungenärzte den Wert als viel zu hoch. Trotzdem verwies die Justizministerin von Niedersachsen, Barbara ­Havliza, darauf, dass man Urteile von Gerichten akzeptieren und befolgen müsse. Doch es mehren sich die Stimmen, die den Grenzwert für problematisch halten. Daher fordert der ADAC die Europäische Kommission auf, ihn zu prüfen. "Der Wert ist schon zehn Jahre alt", kritisiert Christian Reinicke, Generalsyndikus des ADAC. Zwar ist die Beschwerde nach Brüssel sinnvoll, doch zeitlich dürfte sie deutsche Fahrverbote kaum aufhalten.

Wenig Hoffnung gibt es für betroffene Flotten­betreiber, einen Ausgleich für wirtschaftliche Schäden zu erhalten, die durch Fahrverbote entstanden sind. "Nach der derzeitigen Rechtsprechung gibt es keinen Anspruch auf Schadenersatz", stellt Reinicke fest. Viel Kritik äußerten die Goslarer Experten auch an der Bundesregierung. "Es gibt bis heute kein Umweltgesamtkonzept, das alle Schadstoffe umfasst", ärgert sich Jurist Reinicke. So bestehe heute die Gefahr, dass Autofahrer, die von einem Diesel auf einen Benziner wechselten, morgen vor dem Pro­blem stünden, dass auch ihr neues Fahrzeug nicht mehr umweltgerecht sei.