Firmenauto Fahrbericht: Hightech Volvo S60

Bloß nicht mehr bieder! Diese Forderung stand offensichtlich ganz oben bei der Entwicklung der zweiten Generation des Volvo S60. Im Jahr Eins unter den Fittichen des neuen Eigentümers Geely, welcher die schwedische Marke im März für 1,8 Milliarden  Dollar von seiner langjährigen Konzernmutter Ford gekauft hat, soll die Marke frischer und selbstbewusster auftreten. Da passt die erste Neuerscheinung trefflich ins gewünschte geänderte Bild: Mit dem neuen S60 entdeckt Volvo für sich auch die Leidenschaft – und überrascht die Interessenten positiv. Die Limousine bringt einen kühnen Schwung in die bislang eher betulich auftretende Modellpalette, wirkt fast schon wie ein viertüriges Coupé im Stile des Audi A5 Sportback. Blumig versprechen die Schweden, der S60 sei der sportlichste Volvo aller Zeiten. Wir haben es auf bergigen Straßen in Portugal ausprobiert. Die Technik So viel Hightech hat bislang kein anderer Volvo an Bord – beispielsweise das aufwändige Dynamikfahrwerk mit ausgewogenem Kompromiss aus Sportlichkeit und Komfort. Der S60 ist der erste Volvo mit Advanced Stability Control. Hinter diesem sperrigen Begriff verbirgt sich die Integration eines neuartigen Wankwinkel-Sensors, der ein drohendes Schleudern des Autos schon frühzeitig erkennt. Sportlich versierte Fahrer werden sich über die Corner Traction Control freuen. Diese elektronische Fahrhilfe ermöglicht ebenso schnelle wie harmonische Kurvenfahrten, indem sie bei Bedarf das innere Antriebsrad abbremst, während das kurvenäußere Rad mehr Antriebskraft erhält – so lassen sich Biegungen enger und dynamischer fahren. Hinzu kommen ein neu entwickeltes Infotainmentsystem sowie ein Super-Audiosystem mit der MultEQ-Technologie von Audyssey Laboratories, die Akustikverzerrungen im Wageninneren entzerren kann und so für glasklaren Sound sorgt.  Der Innenraum Dem Einsteigen folgt sofort der Aha-Effekt: Endlich macht einen auch ein Volvo an! Und anders als bei Audi oder BMW umschließen einen im S60 schon die serienmäßigen Sportsitze fest und zugleich freundlich, nicht zangenartig. Die Sitzposition „passt“ nach kurzem Einstellen, das neue Dreispeichen-Lenkrad liegt gut in der Hand; die Mittelkonsole im typisch schwedischen kühlen Schwebedesign neigt sich zum Fahrer, wie früher bei BMW. Die vielen kleinen Knöpfe irritieren nur zu Beginn; nach kurzer Zeit stellt man fest, dass sie alle spielend leicht zu erreichen sind, wenn die Hand auf dem Schalthebel oder dem Automatikknauf ruht. Wer will, kann Klima, Radio und Navigation auch per Rändelschraube am Lenkrad bedienen – wie bei Audi. Das funktioniert nach einiger Übung ebenfalls ganz einfach. Die gefühlte Qualität an Bord steht der von Audi kaum noch nach, übertrifft aber schon jene von BMW. Volvo ist mit diesem S60 in die Businessklasse der Geschäftsleute aufgestiegen. Vorn herrschen üppige Platzverhältnisse vor, im Fond erstaunlich viel Beinfreiheit (2,78 Meter Radstand), aber für Menschen ab 1,85 Meter wird’s eng über dem Kopf. Auf der sportlich ausgeformten Sitzbank finden nur zwei Erwachsene Platz; ein echter Fünfsitzer, wie Volvo behauptet, ist der S60 nicht. Allenfalls Durchschnitt beim Kofferraumvolumen: nur 380 Liter, gerade mal 30 Liter mehr als beim einem VW Golf und immerhin 100 Liter weniger als beim Audi A4.  Trost: Im November startet der Kombi V60. Also abwarten.   Die Weltneuheit Fünf Jahre Entwicklungszeit sowie mehr als eine halbe Million Testkilometer waren nötig, um das neuartige Fußgänger-Erkennnungssystem mit automatischer Vollbremsung serienreif zu machen. Diese Technik mit integriertem Radar- und Kamerasystem musste nämlich unterschiedliche Bewegungsmuster von Fußgängern in verschiedenen Ländern und Kulturen „erlernen“. Das funktioniert bis 35 km/h. Wir haben es ausprobiert. Es kostet Nerven und erfordert auch eine gewisse Abgebrühtheit, auf ein Kind zuzufahren, ohne selbst zu bremsen. Doch das Kind ist zum Glück ein Dummy, und das Volvo-System agiert perfekt. Es handelt sich um eine Weiterentwicklung der von den Schweden bereits eingeführten Kollisionswarnung mit automatischer Bremsfunktion – ein großer Fortschritt. Gut, dass die Nordländer diesen Gewinn an Sicherheit zu einem akzeptablen Aufpreis anbieten: 1639 Euro im Paket mit einem Warnsystem zur Überwachung des toten Winkels bei nachfolgendem Verkehr sowie einem Assistenzsystem, welches das Verhalten des Autos innerhalb der Fahrbahnbegrenzungen überwacht. Es warnt den Fahrer, wenn er durch Übermüdung oder Unaufmerksamkeit seine Fahrweise plötzlich ändert und das Auto die Fahrspur zu verlassen droht. Das Fahrerlebnis Verblüffend! So präzise lenkte sich noch kein Volvo und so agil war auch noch keiner. Der S60 fühlt sich so solide an wie ein  Audi A4 – und ebenso  unverschämt satt auf der Straße liegt er auch. Dennoch – und das dürfte ein Kaufgrund für viele Flottenkunden sein – widerstanden die Schweden der Versuchung, dieses Auto so übertrieben sportlich abzustimmen wie die Münchner ihren Dreier. Ja, selbst ohne das so genannte Four C-Fahrwerk mit elektronisch geregelten Dämpfern (966 Euro) schluckt der S60 geschmeidig, aber dennoch ausreichend straff Fahrbahnverwerfungen. Eine völlig neue Volvo-Welt ohne Nebenwirkungen. Da verzeiht man diesem Volvo auch das letzte Quäntchen an Lenkpräzision gegenüber einem BMW Dreier. Stattdessen freuen sich Geschäftsleute über die angenehme Langstreckentauglichkeit dieses Schweden. Die Motoren Da hält es Volvo leider wie BMW und Co. Zum Marktstart gibt es zunächst nur die teuren PS-Riesen; die vernünftigeren Triebwerke folgen später. Unsere Testfahrten ergaben eine überraschende Erkenntnis: Leistung kann durchaus Sünde sein, denn nicht immer die stärkere Maschine auch die bessere sein. Aktuelles Beispiel ist der neue D3-Diesel mit 163 PS – unser klarer Favorit. Dieser Fünfzylinder mit zwei Liter Hubraum wurde aus dem bekannten 2,4-Liter-Fünfzylinder abgeleitet, hat einen kürzeren Hub und stemmt gerade mal 20 Newtonmeter weniger Drehmoment auf die Kurbelwelle. Im Alltag erweist sich der kleinere Diesel sogar als das kultiviertere Triebwerk, und den minimalen Drehmomentunterschied spürt man so gut wie nicht. Die 1932 Euro Mehrpreis für den großen Motor kann man sich sparen. Auch eher etwas für den Stammtisch als für die Flotten dürfte der stärkste 304-PS-Benziner sein. Schade, dass auf die interessanten kleineren Motoren einige Monate länger gewartet werden muss. Bestellt werden kann zwar schon jetzt, ausgeliefert wird frühestens am 18. September. Zeit also, bis zu diesem Zeitpunkt die dann vollständigen Verbrauchs- und Kostendaten aufmerksam für seine Entscheidung zu studieren. Die Preise Sie reichen vom Kampfpreis für das Basismodell mit 150 PS bis zur sehr selbstbewussten Summe für das Topmodell mit 304 PS – also von 22 689 Euro bis zu 41 638 Euro.  Gut, anders als bei deutschen Premiumherstellern, verfügt bereits die günstigste Variante für den Einsteiger über alles Notwendige an Bord, um sich wohlzufühlen, wie beispielsweise Klimaautomatik und CD-Radioanlage mit sechs Lautsprechern und 4x20 Watt Leistung. Wie gehabt bei Volvo gibt es vier Ausstattungslinien sowie eine lange Aufpreisliste. Das Versprechen Die Schweden haben ­– mit der neuen ökonomischen Stärke der Chinesen im Hinterkopf – ebenfalls ihre Schicksalszahl entdeckt. Aber anders als die Agenda 2010 der ehemaligen Bundesregierung soll die Vision 2020 der Schweden den Menschen nur Gutes bringen: In zehn Jahren, so versprechen die Techniker, soll bei einem Unfall kein Mensch mehr in einem Volvo schwere Verletzungen erleiden oder gar zu Tode kommen. Mit dem weltweit bislang einmaligen Fußgängerschutzsystem haben die Neu-Chinesen schon mal einen wichtigen Pflock auf diesem sicher noch langen Weg eingerammt. Die deutschen Premium-Marken sollten sich vor diesem Konkurrenten nun in Acht nehmen. Der Ausblick Kein Start-Stopp-System im Angebot? Keine Sparmodelle zum Marktstart am 18. September? Gutes Timing sieht anders aus. Aber gemach; das alles kommt, entweder im Laufe dieses Jahres, oder zu Beginn des nächsten. Dann startet auch der  für Flotten hochinteressante  S60 DRIVe mit einem brandneuen 1.6-Liter-Diesel, der ich mit 4,3 Litern auf 100 Kilometern begnügen soll.  Wer indes glaubt, dieser 115 PS starke Vierzylinder würde das dynamische Volvo-Coupé mit den vier Türen zur lahmen Ente machen, der sollte schon mal jetzt beim Volvo-Händler vorbei schauen. Im größeren und schwereren S80 liefert bereits jetzt ein kleiner 109-PS-Diesel eine ganz starke Leistung ab. So dürfte plötzlich beim S60 ein völlig neuer Grundgedanke bei der Wahl des optimalen Triebwerks Einzug halten: Ich muss nicht mit dem kleinen Diesel leben, ich kann (gut) mit ihm leben! Und im November startet – als Novum – der erste S60 Kombi, der V60. Das dürfte dann der eigentliche Geheimtipp werden – nicht nur für kühl kalkulierende Flottenbetreiber. Das Fazit Dieser S60 ist nun ein wirklich ernst zu nehmender Konkurrent für die etablierten Platzhirsche in der Mittelklasse  –  Audi A4, BMW Dreier und Mercedes C-Klasse. Und so stellt er auch für Flottenbetreiber eine interessante Alternative dar, zumal mit den günstigen kleineren Motorisierungen. Bei der Sicherheitstechnik liegt der S60 jetzt auf Augenhöhe mit den Deutschen, punktet sogar mit zukunftsweisenden Sicherheitstechnologien wie dem Fußgänger-Erkennungssystem mit automatischer Vollbremsung. Und vor allem hat Volvo den Mund nicht zu voll genommen: Dieser S60 fährt sich so sportlich wie noch kein anderer Volvo. Er weckt in einem sogar die Leidenschaft. Wer hätte dies vor ein paar Jahren vorauszusagen gewagt.