Mia-Entwicklungschef Murat Günak "Elektromobilität muss vorstellbar sein"

Murat Günak (54) gilt als einer der bekanntesten Automobildesigner Europas. Der Absolvent der Kunsthochschule Kassel erlangte anschließend den "Master of Automotive Design" am Londoner Royal College of Art. Günak machte sich einen Namen als leitender Designer bei Mercedes, Volkswagen und Peugeot. Aus seiner Feder stammen die Entwürfe der Mercedes C-Klasse (W202), die seinerzeit den 190er ablöste. VW Golf V, VW Eos und VW Tiguan gehören ebenso zu seinen Kreationen wie bei Peugeot die Modelle 206 CC, 307 und 607. Seit Juni 2010 ist Günak Chef der Unternehmens- und Entwicklungsstrategie bei Mia.

Ein französisches Traditionsunternehmen als Produzent, ein saarländischer Pharmalogistiker als Investor, ein renommierter Designer als Strategiechef: Das klingt hochspannend. Für Sie auch?

Absolut. Wenn gleich nicht verwunderlich. Diese internationale Zusammenarbeit ist letztlich ein Zeichen der Globalisierung. Wir überschreiten Grenzen im wahrsten Wortsinn. Jeder spielt in dieser Kooperation eine andere, wichtige Rolle. Das Werk von Heuliez war die optimale Basis, um das Elektroautoprojekt Mia zu verwirklichen. Wir profitieren hier von jahrzehntelanger Erfahrung im Automobilbau. Das Zusammenspiel aller Akteure eröffnet nun neue Denkweisen und Möglichkeiten.

Die Kohl-Gruppe als Investor und Hauptanteilseigner ist plötzlich auch ein Automobilhersteller. Das passt?

Professor Edwin Kohl ist ein Visionär und sieht – so wie ich auch – die Zukunft in der Elektromobilität. Als Pharmaunternehmer weiß er um den Zusammenhang von Gesundheit und Mobilität. Mit der Mia machen wir Mobilität einfach und legen den Grundstein für eine umweltbewusste Fortbewegung.

Sie gelten gleichermaßen als künstlerischer Freidenker und konzernerfahrener Pragmatiker. Welche dieser Rollen ist denn zur Zeit mehr gefragt?

Sie können es auch umdrehen: Der künstlerische Pragmatiker oder der konzernerfahrene Freidenker. Jedenfalls sind alle diese Eigenschaften gefordert: Die Mia wird im kommenden Jahr auch für Privatkäufer erhältlich sein, auf der IAA haben wir das Concept Car Mia Paris vorgestellt und die ersten Fahrzeuge wurden dieses Jahr bereits an Flottenkunden ausgeliefert. Innerhalb eines Jahres hat sich Mia electric enorm weiterentwickelt. Das fordert Erfahrungen, die man bei großen Konzernen gemacht hat. Genau so gefragt ist die künstlerische Weitsicht bei der Konzeption neuer Modelle. Es geht nicht nur um Design. Es geht auch um die Besinnung auf die wesentlichen Dinge, auf die Einfachheit unseres Produktes und darum, wie wir es präsentieren wollen.

Der Kauf eines Elektroautos ist kein Produkt-, sondern ein Systemwechsel. Ist die Gesellschaft schon reif dafür?

Vielleicht sogar reifer als wir denken. Im Grunde nehme ich den Stecker und stecke ihn in eine Steckdose, schon habe ich den Systemwechsel vollzogen. Natürlich ist es in der Praxis nicht ganz so simpel, da man Stromtankstellen benötigt, um sein Auto überall, nicht nur zu Hause oder in der Firma, aufladen zu können. Das ist die Aufgabe anderer. Alle Beteiligten zusammen müssen allerdings die Voraussetzungen schaffen, dass dieser Systemwechsel auch in den Köpfen stattfinden kann. Das funktioniert nicht mit komplizierter Technologie. Elektromobilität muss vorstellbar sein, der Nutzen klar erkennbar. Zwar ist der Anschaffungspreis höher, jedoch sind die später anfallenden Kosten wesentlich geringer. Nicht nur im "Sprit"-Vergleich, sondern auch beim Wartungsaufwand und den Unterhaltungskosten.

Angenommen, Sie dürften nur ein Alleinstellungsmerkmal der Mia nennen…

…dann eindeutig das einzigartige Konzept der Mia und ihre Reduktion auf das Wesentliche in einer von Stilelementen überladenen Welt. Die Mia fokussiert klar die Einfachheit. Sie ist ein hundertprozentiges Elektroauto, das vor allem praktisch ist.

Praktisch für wen?

Nehmen Sie die beidseitigen Schiebetüren. Sie erleichtern das Ein- und Aussteigen und auch das Be- und Entladen erheblich. Ob nun für mobile Dienstleister, Kleintransporteure oder Privatleute. Auch der einzelne Fahrersitz in der Mitte ist etwas ganz Besonderes in der Automobilbranche. Vor allem für mitfahrende Kinder. Sie können dank des zentralen Fahrersitzes während der gesamten Fahrt nach vorne schauen – wie der Chauffeur. Ein großer Pluspunkt, wie mein Jüngster findet.

Das Unternehmen Mia

Die Aktiengesellschaft Mia Electric SAS wurde im Juni 2010 gegründet. Im westfranzösischen Cerizay hat das Unternehmen Teile des Personals und der Anlagen des insolventen Automobilherstellers Heuliez übernommen. Die Serienproduktion des Elektroautos Mia lief dort im Juli 2011 an. Federführend entwickelt hat das Auto Stardesigner Murat Günak.

Die Mehrheitsbeteiligung an der Mia SAS halten die Merziger Kohl Pharma Gruppe und die Essener Unternehmensberatung Conenergy in Form der Mia Electric GmbH. Geschäftsführer und gleichzeitig größter Einzelaktionär ist der Pharmaunternehmer Prof. Edwin Kohl. In Deutschland bereitet Mia derzeit die Markteinführung für Ende des Jahres vor. Vertriebspartner ist das Leasingunternehmen Athlon. Das Service- und Werkstättengeschäft werden die Filialen der Pit Stop Gruppe übernehmen.