Kältemittel-Stopp bei Mercedes Der Anfang vom Ende der Sonnenwende

Klimaanlage, Kältemittel, Temperatur Foto: Spotpress

Daimler verweigert wegen Sicherheitsbedenken den Einsatz des neuen Kältemittels für Klimaanlagen. Der langwierige Streit um den offenbar brandgefährlichen Stoff erhält dadurch eine überraschende Wendung.

Umstritten war es schon lange, nun scheint seine Gefährlichkeit bewiesen zu sein: Das neue Kältemittel Solstice (Sonnenwende) für Pkw-Klimaanlagen hat sich bei einem internen Test von Daimler als leicht entzündlich erwiesen. Der Autohersteller verzichtet daher auf die geplante Einführung in seinen Modellen. Für die als besonders klimafreundlich beworbene Chemikalien könnte dies das Aus bedeuten.

Ersatz für R134a

Das neue Kältemittel sollte ursprünglich bereits seit 2011 bei neuen Pkw-Typen das bisher verwendete R134a ersetzen. 2017 ist es für alle Neuwagen Pflicht. Aufgrund von Lieferschwierigkeiten des weltweit einzigen Herstellers Honeywell Du-Pont läuft die Einführung bislang allerdings nur schleppend. Hintergrund für den Wechsel des Kältemittels ist eine EU-Richtlinie, die für derartige Stoffe ein niedrigeres Treibhaus-Potential fordert. Die deutsche Automobilindustrie hat sich vor diesem Hintergrund bereits 2010 für Solstice entschieden – obwohl es auch Alternativen gab.

Kritik an alternativloser Festlegung auf R124yf

Experten von Umweltbundesamt (UBA), Deutscher Umwelthilfe (DUH) und anderen Organisationen kritisieren die alternativlose Festlegung auf den in Chemiker-Terminologie R1234yf genannten Stoff daher schon seit Jahren. Vor allem aus Sicherheitsgründen: Solstice ist brennbar und enthält zudem Fluor. Wenn es sich entzündet, beispielsweise bei einem Motorbrand, entsteht laut Untersuchungen des UBA Fluorwasserstoff, der bei Kontakt mit Wasser die sehr giftige und stark ätzende Flusssäure bildet. Und dies ist ein besonders heimtückischer Stoff, da er sich bei Hautkontakt im Extremfall bis auf die Knochen durchfressen kann, ohne dass oberflächlich eine Verätzung sichtbar wäre.

Bislang fanden die Kritiker allerdings wenig Gehör. Der Hersteller von Solstice, das amerikanisch-französische Joint-Venture Honeywell Du-Pont, führte zahlreiche Studien ins Feld, die die Befürchtungen widerlegen sollten. Nun jedoch scheint der Daimler-Test den Kritikern Recht zu geben. Der Automobilhersteller hat einen eigenen Versuchsaufbau entwickelt, bei dem in den Kühlmittelleitungen eines serienmäßigen Fahrzeugs ein Ventil eingebaut wird. Der Motor wird warmgefahren, das Ventil daraufhin geöffnet, so dass das Kältemittel in Kontakt mit heißen Motorteilen kommt. „Dabei kann sich R1234yf unter bestimmten Umständen entzünden“, teilt der Hersteller mit.

Mit R134a komme nicht zu einer Entflammung

Zu den Voraussetzungen zählt unter anderem auch, dass das Kältemittel im Kühlkreislauf zur Ruhe gekommen ist. In der Praxis sei es durchaus ein denkbares Szenario, dass bei einem Unfall ein Kühlmittelschlauch abknicke und das Kältemittel beim bereits stehenden Fahrzeug mit dem heißen Motor in Berührung komme, heißt es weiter. Bei einem vergleichbaren Test mit dem herkömmlichen Kältemittel R134a sei es hingegen nicht zu einer Entflammung gekommen. Das Ergebnis ist laut Daimler jederzeit in Versuchen reproduzierbar. Honeywell wollte sich auf Anfrage dazu zunächst nicht äußern und ein Gespräch mit den Stuttgartern suchen.

Mercedes will R134a nutzen

Mercedes will Solstice künftig nicht mehr in Serienautos einsetzen und stattdessen das bisher verwendete R134a nutzen. Zurzeit bemüht man sich um eine entsprechende Genehmigung bei Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) und EU-Kommission. Bislang arbeiten die Klimaanlagen in einigen Erprobungsfahrzeugen sowie in einigen wenigen SL-Roadstern bereits mit dem brennbaren Stoff. Bei anderen Herstellern ist Solstice ebenfalls im Einsatz. Subaru etwa setzt es bei den Modellen XV und BRZ ein und verweist dabei auf die geltenden rechtlichen Vorschriften. Einige Hersteller sind dem offenbar bereits frühzeitig erkennbaren Problem aus dem Weg gegangen. So hatte Volkswagen die Typprüfung für den neuen Golf VII kurzerhand auf 2010 vorgezogen, als die neuen Regelungen noch keine Geltung hatten. Auch Audi setzt Solstice aktuell nicht ein und plant dies auch im laufenden Jahr nicht.

Kältemittel Solstice oder R134a?

Der Herstellerverband VDA will nun auf Basis der neuen Erkenntnisse die Festlegung auf Solstice prüfen. Wie und wann welche Entscheidung fällt, konnte man in Berlin auf Nachfrage jedoch noch nicht sagen. Eine der Alternativen zu Solstice ist das vorläufige Festhalten an R134a. Beide Chemikalien sind ohne größere Probleme austauschbar – konstruktive Änderungen an den mechanischen Teilen der Klimaanlage sind nicht nötig – übrigens einer der Gründe, aus denen Solstice für die Industrie ursprünglich besonders interessant war. Man kann einfach die bekannte Technik nutzen und tauscht lediglich das Kältemittel aus.

Andere Kältemittel würden größere Anpassungen der Technik nötig machen. So müssten etwa für den Einsatz von CO2 als Kältemittel Kompressor und Leitungen komplett neu konstruiert werden – mit weitreichenden Folgen für die Gesamtarchitektur des Fahrzeugs. CO2 stand schon bei der ursprünglichen Diskussion um ein neues Kältemittel zur Wahl, konnte sich aber nicht durchsetzen, obwohl es in Sachen Klimafreundlichkeit sogar noch besser abschneidet. Mit einem Treibhauspotential (GWP) von 1 ist es viermal weniger umweltschädlich als Solstice mit dem GWP-Wert 4. Zum Vergleich: Das herkömmliche Kältemittel R134a hat einen GWP-Wert von 1.430. Der aktuelle EU-Grenzwert liegt bei einem Treibhauspotential von 150.

R134a dürfte weiter Standard bleiben

Wie es mit den Pkw-Klimaanlagen weitergeht, ist jetzt mehr denn je ungewiss. Ob Solstice nach dem Daimler-Vorstoß in Deutschland noch eine Chance hat, ist jedoch mehr als fraglich. Zunächst dürfte daher R134a mit einigen Ausnahmen weiter Standard bleiben. Mittelfristig muss jedoch klimaschonender Ersatz her. So lange gehören zwar die Autokäufer zu den Gewinnern, die Umwelt hingegen steht bis auf weiteres auf der Verliererseite.