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Mobilitätsvisionen Der Weg wird zum Ziel

Der Sonne entgegen ... Foto: lassedesignen - Fotolia

Unsere Mobilität ändert sich. Weniger, weil die Autos elektrisch werden. Sondern, weil wir sie anders nutzen. Gerade in Unternehmen bleibt nichts, wie es war.

Die Urlaubszeit gibt einen Vorgeschmack auf das, was kommen wird. Der Gegenwert für eine Tankfüllung erreicht Mondpreisniveau. Was nichts daran ändert, dass der Mensch auch in Zukunft darauf angewiesen ist, von A nach B zu kommen. Ändern wird sich allerdings die Art, wie er das tut. Der Weg wird zum Ziel. Das zumindest lässt die Studie „The future of mobility“ der Unternehmensberatung Oliver Wyman vermuten.

Die Autohersteller sind hellhörig geworden. Zwar bleibt das Auto zentrales Element der persönlichen Mobilität. „Doch um auch in Zukunft im Spiel zu bleiben, müssen die Autohersteller das Fahrzeug als zentralen Baustein in einem Mobilitätsmix positionieren. Verschiedene Transportmittel sind benutzerfreundlich miteinander zu verzahnen“, sagt Matthias Bentenrieder, Automobilexperte bei Oliver Wyman in München.

Konkret fand die Studie unter anderem folgendes heraus: Bei stark steigenden Kraftstoffpreisen sind 77 Prozent der befragten 3.000 Personen bereit, ihr Mobilitätsverhalten zu ändern. Etwa durch den Umstieg auf kleinere Autos, Elektrofahrzeuge oder – und das ist aus Sicht der Autoindustrie besonders bedenklich – durch die Nutzung variierender Transportmittel.

Eigenes Auto? Die Jugend hat heute andere Wünsche

„Vor allem junge Menschen legen nicht mehr so großen Wert auf das eigene Fahrzeug wie frühere Generationen“, so Bentenrieder. Die „Generation Smartphone“ sei offener für neue Mobilitätskonzepte und werde den Wandel der Industrie vorantreiben. Schon jetzt tun sich Allianzen von Marktprotagonisten auf, die sich bislang spinnefeind waren, zumindest aber im Wettbewerb um Kunden standen: Autoproduzenten, Autovermieter, Reiseanbieter, die Bahn und irgendwo dazwischen Autohändler, die bislang ausschließlich vom Verkauf der Autos oder ihrer Reparatur lebten.

Für Letztere ändert sich einiges. Es gibt mittlerweile viele Automarken, die ihren Kunden Mobilität anbieten, ohne ihnen gleich ein Auto zu verkaufen. Ob bei Citroën (Multicity), Peugeot (Mu), BMW (Drive Now), Mercedes (Car2go) oder VW (Quicar) – allen Systemen gemein ist der Anspruch, Fortbewegungsmittel so miteinander zu verknüpfen, dass endlich auch das Elektroauto unters Volk kommt.

Auf Kurzstrecken, in der Stadt, als Zuganschluss, als Flughafenzubringer. Carsharing-Konzepte stehen ganz hoch im Kurs. König Kunde lernt teilen. Mein Auto wird auch dein Auto. Die Jüngeren werden es noch erleben. In 40 Jahren: „Die Städte sind grün, liebenswert, fußgänger- und radfahrerfreundlich, es gibt Carsharing-Plätze allenthalben und die täglichen Bedürfnisse lassen sich insgesamt mit weniger Verkehrsleistung realisieren.“

Was sich anhört wie Ferien auf dem Ponyhof, ist wissenschaftlich fundiert. Es ist das Resultat eines Szenarioprozesses des Fraunhofer Instituts für System- und Innovationsforschung, kurz ISI. Die darin erarbeitete „Vision für nachhaltigen Verkehr in Deutschland“ (VIVER) im Jahr 2050 macht das Ergebnis an mehreren Faktoren fest: am Wertewandel vom Statussymbol Pkw hin zur intelligenten, flexiblen Mobilität. Am Klimaschutz, an der Verknappung fossiler Energieträger und natürlich am technologischen Wandel mit neuen Antriebs- und Infrastrukturkonzepten.

„Wir haben eine Vision entwickelt, die aus unserer Sicht ein realisierbares Bild der notwendigen und möglichen Veränderungen unserer Verkehrssysteme im Verkehr beschreibt“, fasst Dr. Wolfgang Schade, Projektleiter am Fraunhofer ISI die Ergebnisse zusammen.

Intelligenten Sharing-Konzepten gehört die Zukunft

Die Forscher zeichnen ein Zukunftsbild für urbane Regionen, in denen eine flexible Kombination und Nutzung verschiedener Verkehrsmittel Standard ist. Bausteine der neuen Multimodalität sind demnach der öffentliche Verkehr, Carsharing, Mietwagen, Bikesharing, Mitfahrdienste, Lieferdienste und Taxi. Mit ganz neuen Abrechnungsverfahren, disponierbar über verschiedene Kommunikationskanäle.

Aus der Car Policy wird in Zukunft eine Mobility Policy

Bis 2050 will Michael Schramek gar nicht warten. Er ist Geschäftsführer der jungen Mobilitätsberatungsfirma Eco Libro in Siegburg und der Meinung, dass es schon heute viele Möglichkeiten gibt, das Flotten- und Dienstreisemanagement zu ändern. „Die Flottenformel – ein Mitarbeiter gleich ein Firmenwagen – muss nicht mehr gelten. Stattdessen wird jedem Mitarbeiter zum Beispiel eine Art Mobilitätsbudget zur Verfügung gestellt.“ Natürlich werde darin das Auto eine gleichberechtigte Rolle spielen, vermutlich weiterhin definiert über Umwelt-, Hierarchie- oder sonstige Standards, die das Unternehmen vorgibt.

Daneben aber sind Alternativen im Rahmen des Mobilitätsbudgets denkbar: „Eine Bahncard beispielsweise oder ein Kontingent für Carsharing, Mietwagen, E-Roller.“ Aus einer Car Policy werde somit eine Mobility Policy, die jedem Mitarbeiter zugutekommt und „nicht nur wie bisher dem Kreis der Dienstwagenbesitzer“. Mobilitätsberater Schramek verweist auf motivierende Ziele wie beispielsweise einen Bonus, falls der Mitarbeiter unterhalb seines Mobilitätsbudgets bleibt. Schließlich gewinne dann ja auch das Unternehmen. Jedenfalls steigt das Interesse der Flottenchefs mit jedem Cent, den der Literpreis für Sprit näher an die Zwei- Euro-Marke heranrückt.

Zu den Kunden von Eco Libro zählen der Versicherungskonzern HDI Gerling oder die Bremer Landesbank, daneben lassen sich viele Kommunen beraten. Neue Mobilitätskonzepte also sind keine Vision mehr, sie sind bald Realität. Was allerdings noch fehlt, ist eine daran angepasste, viel einfachere Steuergesetzgebung für Dienstwagen und -reisen. In einem Land aber, in dem selbst für Frühstück und Bett unterschiedliche Steuern gelten, dürfte das noch etwas dauern.

Vier Thesen zum technologischen Wandel

These 1: Die Infrastruktur wird intelligent

Die Tage des Asphalts scheinen gezählt. Künftige Trassen sind aus Fiberglas, vollgestopft mit Elektronik zur Überwachung des Verkehrsflusses. Dank Heizung sind sie im Winter frei von Schnee und Eis. Die notwendige Energie dafür erzeugt die Fahrbahn mittels Solarmodulen sogar selbst. Wir spinnen? Nein, in den USA hat die zuständige Behörde Federal Highway Administration (FHWA) eine Million US-Dollar für die Entwicklung eines Prototypteilstücks bereitgestellt. 

Es geht noch doller. Was wäre, wenn die Fahrbahn selbst mittels Induktionsschleifen Energie an Elektroautos abgeben würde? Kabel- und kontaktlos, während der Fahrt sozusagen. An exakt solchen Möglichkeiten arbeiten Forscher von Siemens oder der Hochschule Karlsruhe. Mit dem E-Quickie haben sie auch schon ein passendes Auto dafür entwickelt. Es zieht seine Kraft aus etwa daumendicken Leiterschleifen, die in der Fahrbahn verlegt sind. Durch diese fließt Wechselstrom. Das dadurch entstehende elektromagnetische Feld versorgt das Fahrzeug berührungsfrei mit Energie.

These 2: Haushalte werden zur Stromtankstelle

Anders als Sprit wird Strom ins Haus geliefert. Ein Problem, das vor allem in Japan diskutiert wird, ist die Überlastung von Stromkreisen in den Haushalten. Toyota kam dort im Januar mit einem Lademanagementsystem auf den Markt, mit dem sich das Aufladen von Elektroautos und Plug-in-Hybriden an der heimischen Steckdose regeln lässt.

Nutzer können sich per Computer, TV oder Smartphone mit dem System verbinden, um die Ladezeiten des Fahrzeugs einzustellen und die Energieversorgung des übrigen Haushalts zu kontrollieren. Bei erhöhtem oder plötzlichem Energiebedarf anderer Verbraucher im Haus unterbricht das System den Ladevorgang des Autos automatisch. Sind Kapazitäten wieder frei, setzt es ihn fort. Bei einer gleichzeitigen Nutzung mehrerer elektrischer Verbraucher lässt sich eine Überlastung auf diese Weise verhindern.

These 3: Das Zweirad erlebt eine Renaissance

Auf dem Weg ins Zeitalter der Elektromobilität bringen sich alle Autohersteller in Stellung. Doch nicht nur auf vier Rädern. 2011 war das erste Jahr in diesem Jahrtausend, in dem der deutsche Motorradmarkt wieder im Aufschwung war. Bis Ende des Jahres wurden 127.086 Motorräder und Roller über 50 cm³ neu zugelassen. Das sind gut 3,7 Prozent mehr als im Vorjahr.

Da will man als Autobauer doch gerne ein Stück ab vom Kuchen. Volkswagen hat schon mal durchblicken lassen, künftig auch Roller bauen zu wollen. Mittlerweile hat der Konzern in seinem Produktportfolio dank Ducati schon Motorräder und Daimler kommt 2014 mit dem Smart E-Scooter. Spitzenreiter auf Deutschlands Zweiradmarkt ist BMW mit einem Marktanteil von 15,40 Prozent. Auch dort arbeitet man fieberhaft an künftigen Elektrozweirädern. Verkehrsforscher bescheinigen dem Zweirad eine wahre Renaissance. Nicht nur aus Platz- und Umweltgründen. Gerade in Großstädten gibt es immer mehr Singles. Einen Viersitzer brauchen die wenigsten von ihnen.

These 4: Das Auto wird Teil einer vernetzten Welt

Car-to-X-Kommunikation ist längst schon keine Zukunftsmusik mehr. Konkret geht es darum, Fahrzeuge untereinander und mit ihrer Infrastruktur zu verbinden. In Hessen beispielsweise läuft unter dem Namen Sim TD ein Flottenversuch, der gleich mehrere Techniken testet: etwa Systeme, die eine Vollbremsung des Vor-Vordermanns zeitgleich im eigenen Fahrzeug signalisieren. Die entgegenkommende Einsatzwagen frühzeitig ankündigen oder bevorstehende Baustellen auf den Meter genau avisieren.

Hinzu kommen Mehrwertdienste, Apps, Anbindungen an Flottenmanagementsysteme – die Möglichkeiten scheinen dank immer leistungsstärkerer Übertragungswege unbegrenzt.