Ob rustikales Baustellenfahrzeug oder vornehmes Hotel-Shuttle, der Mercedes Vito Tourer ist ein wahrer Verwandlungskünstler. In der Top-Version kommt er sogar der V-Klasse nahe – optisch und beim Preis. Welcher Van zu Ihrem Fuhrpark passt, klärt der Modellcheck.
So wie die V-Klasse – ehemals Viano – hat sich bei Mercedes noch kein Van rausgeputzt. Elegant sieht er aus. Das Cockpit ist modern und jugendlich frisch, so wie wir‘s von
A- und C-Klasse kennen. Und ausstaffieren lässt er sich mit Extras wie der Soundanlage von Burmester fast so edel wie eine S-Klasse.
Ende vergangenen Jahres, also rund ein halbes Jahr nach der V-Klasse, startete Mercedes seine Neuauflage des Vito – die rustikalere, vom Nutzfahrzeug abstammende Van-Variante. Doch auch der Vito tritt deutlich vornehmer auf als sein Vorgänger. Er übernimmt ja auch bis auf wenige Details das flotte Design der V-Klasse. Vor allem, wenn beim Tourer Stoßfänger und Schweller für schlappe 320 Euro in Wagenfarbe lackiert sind, kommt man ins Grübeln, welcher der beiden gerade vorbeigefahren ist. Dass der Vito dabei seine Außenspiegel stets in schwarzes Plastik hüllt und im Gegensatz zur V-Klasse auf verchromte Fensterrahmen und glänzende Streben im Kühler verzichtet, fällt nur bei längerer Betrachtung auf.
Neu: 1,6-Liter-Motor und Frontantrieb
Der Unterschied im Portemonnaie des Fuhrparkleiters ist umso größer: 36.850 Euro verlangt Mercedes für die Einstiegs-V-Klasse 200 d Lang mit 136 PS starkem 2,1-Liter-Motor. Beim Vito geht’s mit identischen Abmessungen und gleicher Motorisierung (114 Bluetec) ab 29.980 Euro los. In Kombination mit dem kleineren 1,6-Liter-Motor von Renault (nicht für V-Klasse erhältlich) samt Frontantrieb purzeln die Preise um bis zu weitere 3.000 Euro.
Ganz so einfach geht die Rechnung aber nicht auf. Denn während die V-Klasse im Innenraum selbst in der Grundausstattung ein wohnliches Pkw-Ambiente zu bieten hat und stets als VIP-Shuttle vorgesehen ist, fällt der Unterschied bei den drei Ausstattungslinien Base, Pro und Select des Vito erwartungsgemäß groß aus. So sitzen die Passagiere in der Base-Variante des Tourer buchstäblich in der Holzklasse. Der leicht zu reinigende Siebdruckfußboden und die robusten Hartfaserplatten an Türen und Seitenwänden sind genau das Richtige für Handwerker auf dem Weg zur Baustelle. Solch eine rustikale Ausführung sucht man bei manchen Konkurrenten übrigens vergebens.
Wer Gäste kutschiert, sollte mindestens die mittlere Pro-Linie (114 Bluetec ab 33.530 Euro) ordern, die mit hellem Stoffdachhimmel, schwarzem Kunststoffboden und schwarzer Hartplastik-Verkleidung wesentlich charmanter wirkt.
Vito Tourer Select teurer als V-Klasse
Noch eine Stufe eleganter chauffiert der Vito Select seine Passagiere. Komfortsitze mit Armlehnen und in der Neigung individuell verstellbaren Rückenlehnen, Teppichboden und Klimaanlage machen das Reisen noch angenehmer. Und durch die serienmäßig lackierten Stoßfänger fliegt der Shuttle-Van nicht gleich als Transporter-Abklatsch auf.
Der Preis des Vito in der Top-Version steigt allerdings auf 38.080 Euro. Damit liegt der Transporter-Ableger preislich mehr als Tausend Euro über dem Einstiegsmodell der V-Klasse, das dann mit vergleichbarer Ausstattung aber deutlich besserer Materialan-mutung antritt. Die Preisüberlappung von Vito und V-Klasse ist von Mercedes gewollt. Der Hersteller will damit eine Lücke schließen, erschwert dem Shuttle-Unternehmer aber die Entscheidung.
Das triste Hartplastik-Cockpit des Vito versucht Mercedes mit Elementen aus seinen Pkw aufzupeppen. Dazu zählen beispielsweise das Multifunktionslenkrad oder das verchromte Kombiinstrument mit großem Bordcomputer. Genauso die grauen Tasten für Fensterheber und Sitzheizung, die allerdings sichtbar als Pkw-Bauteile herausstechen und eher fehl am Platz wirken. Beim Infotainmentsystem wiederum hätten die Ingenieure lieber ins Pkw-Regal greifen sollen. Das grobpixelige Becker-Navi ist grafisch nicht mehr up to date und kann mit dem Garmin-Navi aus der V-Klasse bei Weitem nicht mithalten. Umso größer ist die Verwunderung, dass Mercedes für beide Geräte den gleichen Aufpreis in Höhe von 500 Euro verlangt.
Der Vito bringt eine umfangreiche Sicherheitsausstattung mit
Vergleicht man den Vito mit seinen Konkurrenten Ford Transit Custom, Opel Vivaro und VW Multivan, die ebenfalls dem Kastenwagen nahe sind, braucht sich der Mercedes nicht zu verstecken. Gut, bei Preis, Servicekosten und Wertverlust hat er zwar leicht das Nachsehen (Seite 49), dafür bewegt er sich in puncto Sicherheit auf hohem Niveau.
Mit acht Airbags, Seitenwind-Assistent und Tempomat ist der Vito Pro schon gut gerüstet. Optional erhöhen LED-Scheinwerfer (1.550 Euro), Spurhalte- und Totwinkelassistent sowie Kollisionswarner (im Paket für 930 Euro) die Sicherheit. Features, die er dankend von der V-Klasse übernimmt. Genauso wie das serienmäßige Komfortfahrwerk, mit dem der Vito Tourer gelassen über Bodenwellen hinweggleitet sowie die geschwindigkeitsab-hängige elektromechanische Servolenkung, mit der er einen großen Sprung beim Handling macht.
Der Vito bietet zudem eine Variabilität, die ihresgleichen sucht. Bei drei Längen: Kompakt (4,89 Meter), Lang (mit verlängertem hinteren Überhang 5,14 Meter) und Extralang (5,37 Meter), zwei Radständen (3,20 und 3,43 Meter) sowie dem Mixto – halb Kombi halb Kastenwagen – lässt der Vito bei Größe und Nutzungsmöglichkeit kaum Wünsche offen.
Variables Sitzschienen-Konzept
Maximal bekommt der Vito neun Personen unter. In der Select-Variante stehen die hinteren beiden Sitzreihen auf Schienen, die sich in den anderen Ausstattungslinien für 422 Euro extra ordern lassen. Besonders empfehlenswert für Fuhrparkleiter, die den Van vielseitig einsetzen wollen. Ein Handgriff genügt, um die Beinfreiheit der Insassen zu vergrößern oder den Kofferraum zu maximieren. Aufwendiger ist es, die schweren Sitzbänke ganz auszubauen.
Je nach Kundschaft können die Reihen in Fahrtrichtung oder vis-à-vis ausgerichtet werden. Mit Konferenztisch (550 Euro) zwischen den Reihen keimt sogar etwas Büro-Atmosphäre auf. Zwölf-Volt-Steckdosen an allen Ecken liefern Strom für Arbeitsgeräte. Oder man nimmt die Fondsitzreihen ganz heraus und nutzt die Sitzschienen als Verzurrschiene für Transportgut.
Bis zu 1.175 Kilo Nutzlast
Die Nutzlast liegt bei unserem 5,14 Meter langen Tourer mit 3,05 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht (Serie) bei 770 Kilo. Mit 17-Zoll-Rädern (1.171 Euro) ausgerüstet, lastet Mercedes den Vito auf 3,2 Tonnen (390 Euro) auf, die Nutzlast beträgt dann bis zu 1.175 Kilo. Seinem neuen 1,6-Liter-Motor (88 und 114 PS) aus der Renault-Kooperation traut Mercedes so viel Gepäck allerdings nicht zu. Der frontgetriebene Vito ist auf 3,05 Tonnen begrenzt, aufgrund seines Antriebskonzepts aber ohnehin für die leicht beladene Fahrt gemacht.
Der kleine, quer eingebaute 114-PS-Turbodiesel mit VTG-Lader will auf Touren gehalten werden, läuft aber dennoch ruhig und leise. Mit einem Normverbrauch von 6,3 Litern ist er durstiger als die leistungsstärkeren Motorisierungen mit 2,1 Liter Hubraum, weil diese mit weiter gespreiztem Sechsgang-Getriebe bei höheren Geschwindigkeiten mit niedrigeren Drehzahlen auskommen.
Wer die Nutzlast häufig ausreizt und auch mal mit Anhänger unterwegs ist, ist ohnehin mit dem Mercedes-Vierzylinder (136 bis 190 PS) samt Hinterradantrieb besser beraten. Das zweistufige Abgasturboladersystem baut das Drehmoment früher auf, dadurch kommt der Vito leichter aus dem Drehzahlkeller und fährt insgesamt gelassener. Für Komfort-Verwöhnte gibt es die Mercedes-Aggregate auch mit Siebengang-Wandlerautomatik (2.100 Euro) und Allradantrieb (3.300 Euro). Seit März sind alle Motorisierungen mit einem SCR-Katalysator und Adblue-Zusatz ausgerüstet und halten somit Euro 6 ein. Der Preis für den Mercedes-Van ist deshalb um 800 Euro gestiegen.