Siegfried Brockmann/UDV "Unternehmen müssen bei Verkehrssicherheit Prioritäten setzen"

Der Politikwissenschaftler und Kfz-Mechaniker Siegfried Brockmann Foto: Werner Popp

Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Versicherer (UDV), über Tempolimits, Assistenzsysteme und die Verantwortung der Unternehmen.

FIRMENAUTO: Herr Brockmann, wann hatten Sie Ihren letzten Unfall?

Brockmann: Vor fünf Jahren. Allerdings war das ein atypischer Unfall mit einem  Oldtimer, einem Porsche 911, Baujahr 1975. Bei meinem Unfall staute sich der Verkehr auf der Autobahn-Einfädelspur. Vollbremsung, die Reifen blockierten, das Auto schlitterte. Erst dann hat sich mein Großhirn eingeschaltet: kein ESP, also Intervallbremsung! Durch den Umweg über das Großhirn fehlten die entscheidenden Zehntelsekunden und es krachte.

Das wäre mit Assistenzsystemen nicht ­passiert. Wie viel bringt moderne Technik?

Brockmann: Sehr viel. Die größten Errungenschaften im Bereich Verkehrssicherheit kommen aus der Fahrzeugtechnik. Ohne ESP, Airbags oder Gurtstraffer sähe die Bilanz düsterer aus – und die Entwicklung ist noch längst nicht abgeschlossen. Nehmen Sie zum Beispiel die Notbremsassistenten mit Fußgängererkennung oder die nächste Stufe mit Radfahrererkennung. Was vor einigen Jahren noch in den Kinderschuhen steckte und teilweise komisch anmutete, ist heute ein echter Sicherheitsgewinn.

Allerdings sind längst nicht alle Dienstwagenfahrer bereit, für diese Features zu bezahlen.

Brockmann: Stimmt. Wenn die Dienstwagenordnung des Unternehmens die entsprechende Ausstattung nicht vorschreibt, sondern lediglich den Höchstbetrag der Leasingrate oder des Kaufpreises vorgibt, braucht es viel Idealismus und Eigen­initiative. Man muss daran glauben. Es geht nicht nur ums Geld, letztlich geht’s ums Leben. Allerdings werden viele Neuerungen zunächst nur im Premiumsegment angeboten.

Wie haben Sie sich entschieden?

Brockmann:  Ich fahre ein Auto mit allen verfügbaren Sicherheitssystemen. Doch das Sicherheitspaket war teuer. Für das Geld hätte ich mir locker eine Standheizung oder andere Annehmlichkeiten leisten können. Selbst die Metalliclackierung war nicht mehr drin. Hier gilt es, Prioritäten zu setzen.

Dennoch ist immer wieder von Überforderung durch Assistenzsysteme zu lesen. Was wiegt mehr: Ablenkung oder Sicherheitsgewinn?

Brockmann: Die Mensch-Maschine-Schnittstelle bleibt ein großes Problem, damit beschäftigen sich die Forscher intensiv. Allerdings muss man unterscheiden zwischen Komfortsystemen wie dem Navi und Sicherheitssystemen wie dem Notbrems­assistenten. Ideal sind Systeme, über die der Fahrer nicht nachdenken muss. ESP beispielsweise. Meiner Meinung nach gibt es bei den reinen Sicherheitssystemen keinen Zielkonflikt. Leider verkaufen sich die Komfortsysteme besser.

Ist es dann nicht sinnvoller, in Fahrsicherheitstrainings zu investieren?

Brockmann: Ja, aber nur, wenn der Flottenbetreiber die Fahrer mindestens einmal pro Jahr zu einem Training schickt. Allerdings ist es streng wissenschaftlich nicht be­wiesen, dass die Trainings einen positiven Effekt haben.

Dann kann man sich die Zeit und das Geld für die teuere Ausbildung also sparen?

Brockmann: Nein, ich persönlich glaube daran, dass Dinge, die automatisiert ablaufen, immer einen Nutzen bringen. Das weiß man aus der Forschung von Kampfjet-Piloten. Je mehr sie automatisiert abläuft, umso schneller und richtiger ist die Reaktion. Dieser Effekt findet bei einem einmaligen Training nicht statt.

Sehen Sie die Flottenbetreiber hier in der ­Verantwortung?

Brockmann: Auch die Unternehmen profitieren davon, wenn sie ihre Mitarbeiter zu regelmäßigen Trainings schicken. Das ist eine klassische Win-win-Situation. Als sehr nützlich haben sich Ecotrainings erwiesen. Sie generieren dreifachen Nutzen: Der Spritverbrauch sinkt, die Zahl der Unfälle geht durch die defensive Fahrweise zurück und dadurch sinken die Versicherungsprämien.

Die EU will bis 2020 die Zahl der Verkehrstoten halbieren – ist das zu schaffen?

Brockmann: Wenn wir das schaffen sollten, braucht es energische Maßnahmen, die ich zurzeit aber nicht sehe. Dazu gehören unter anderem eine strengere Durchsetzung der Verkehrsvorschriften sowie Tempolimits in Bereichen, in denen Fußgänger und Radfahrer unterwegs sind. Zwar ist die Zahl der Toten nach einem schlechten Jahr 2011 in den ersten Monaten des Jahres 2012 wieder deutlich gesunken. Das kann sich aber schnell umkehren.

Inwiefern können Flottenchefs diesen positiven Trend unterstützen?

Brockmann: Das ist von Flotte zu Flotte unterschiedlich. Besteht ein Fuhrpark überwiegend aus Motivationsfahrzeugen, hat das Unternehmen relativ wenig  Möglichkeiten. Anders sieht es aus, wenn die Autos auch zu gewerblichen Zwecken genutzt werden. Dann kann der Fuhrparkchef auf die Ausstattung und den Einsatz der Firmenwagen mehr Einfluss nehmen.