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Stress Achtung, gestresster Fahrer

Foto: Carlos A. Oliveras

Drängeln, schneiden, rasen – das Klima im Straßenverkehr scheint rauer zu werden. Warum viele Autofahrer immer aggressiver ­unterwegs sind und was Flottenbetreiber dagegen tun können.

"Aggressive Fahrweise ist die Ursache für rund ein Drittel der Verkehrsunfälle mit Todesopfern", sagt Unfallforscher Siegfried Brockmann vom ­Gesamtverband der Versicherer (GDV). Vor allem auf Autobahnen werde gerast, gedrängelt und gepöbelt. Drängler würden dabei als größte Plage empfunden. Laut ADAC fühlen sich 80 Prozent der Autofahrer zunehmend provoziert. Umgekehrt ärgerten sich 30 Prozent über Schleicher auf der Fahrbahn.

Vor allem Vielfahrer besitzen ein höheres Aggressionspotenzial. Immerhin gaben bei einer Umfrage von Lease Plan fast zwei Drittel der Dienstwagenfahrer zu, sich gegenüber anderen Verkehrs­teilnehmern schon einmal aggressiv verhalten zu haben.

Die Stress-Spirale dreht sich

Die Gründe dafür sind vielfältig: Da ist auf der einen Seite die steigende Verkehrsdichte, auf der anderen Seite stehen Zeitdruck, Stress, ständige Erreichbarkeit und weitere psychische Belastungen. 2Aggressionen entstehen beim Fahren vor allem dann, wenn die eigenen Ziele von außen blockiert werden, dann lassen die Menschen ihre Emotionen hinterm Steuer raus2, erklärt Verkehrspsychologe Prof. Dr. Marc Vollrath von der TU Braunschweig.

Auch wenn aggressive Fahrer nur selten mit Bußgeld oder Strafanzeige belegt werden, wissen doch die meisten Fuhrparkleiter um die Mitarbeiter, die Pro­bleme haben, ihre Emotionen zu kontrollieren. Um ihnen zu helfen, gibt es eine Reihe von Möglichkeiten. So bietet etwa der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) spezielle Seminare an. Dort lernen Mitarbeiter, Stress zu verringern oder gar zu vermeiden. Im Rahmen des Seminars erstellen die Teilnehmer individuelle "Stress-Fahrpläne", um Stressoren im Vorfeld auszuschalten, Stressreaktionen zu erkennen, Veränderungen in der Einstellung zu bewirken und ihre Belastbarkeit zu erhöhen.

Was tun bei aggressiven Fahrern?

Grundsätzlich gilt: An Staus, Baustellen oder anderen Behinderungen kann der einzelne Fahrer kaum etwas ändern, sehr wohl aber an seiner eigenen Einstellung. Schließlich bringt das "Rasen" – Termindruck hin oder her – meistens kaum Zeitersparnis. Auch auf Strecken von mehreren Hundert Kilometern gewinnt man durch das Ausreizen aller Tempolimits und Verkehrslücken in der Regel nur ein paar Minuten.

Hinzu kommt: Stress ist ein gefährlicher "Info-Killer". Wer bereits von Stresshormonen überflutet ist, kann neue Informationen schlechter verarbeiten und wird unaufmerksam. Fuhrparkleiter sollten demnach ihre Dienstwagenfahrer warnen, ihr Auto nicht zum Multitasking-Arbeitsplatz umzufunktionieren. Zudem empfiehlt es sich, die Fahrer per Überlassungsvertrag anzuweisen, nur in dringenden Fällen zu telefonieren. Selbst bei routinierten Fahrern lässt die Aufmerksamkeit während anspruchsvoller Gespräche stark nach – und die Unfallgefahr steigt.

Viele Flottenbetreiber geben bereits in ihrer Car Policy zwingend den Einsatz von Fahrerassistenzsystemen (FAS) wie Abstandsregler, Spurhalteassistent, Totwinkelwarner, Notbrems- und Fernlichtassistent sowie Nachtsichtassistent mit Fußgängererkennung vor. Zwar sind nicht alle Systeme gleich effektiv, ­dennoch gilt: Jedes System ist besser als gar ­keines. Verkehrspsychologe Vollrath geht davon aus, dass mit zunehmender Fahrzeugtechnik der Stress abnimmt. Der Fahrer steht weniger unter Anspannung, da die Systeme für Sicherheit sorgen.

Dehn- und Atemübungen sorgen für innere Balance

Lässt sich Stress nicht vermeiden, helfen kleine Tricks und Übungen: Dazu eignen sich regelmäßige Pausen mit Bewegung und Dehnübungen sowie Entspannungsmusik und Atemübungen, etwa bei längeren Ampelschaltungen. Wer abwechselnd die Muskeln von Bauch, Beinen und Rücken anspannt, verbraucht überschüssige Energie und sorgt für einen ­effektiven Stressabbau.

Zeitdruck gilt als maßgeblicher Faktor für Stress. Entsprechend sollten die Flottenverantwortlichen im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht Fahrer und Termindisponent darauf hinweisen, bei Touren auch aktuelle Verkehrsbehinderungen wie Dauerbaustellen oder die Rushhour zu berücksichtigen. Autofahrer, die ­genügend Zeit einplanen dürfen und ihren Terminkalender nicht zu eng ­setzen, stehen weniger unter Druck und kommen sicherer ans Ziel.

Nicht ganz so offensichtlich ist die Tatsache, dass Stress durch zu wenig Abstand zum Vordermann entstehen kann. Das erfordert eine höhere Konzentration, die wiederum über einen längeren Zeitraum Stress auslöst. Ausreichend Abstand führt zu mehr Gelassenheit und beugt Aggressionen vor. Fazit: Oft sind es die vermeintlich unwichtigen Dinge, die helfen, schwerwiegende und teure Unfälle zu vermeiden.