Vom belächelten Start-up zum gefürchteten Elektro-Autobauer: Was ist dran am Tesla-Hype? Und wie gut sind die E-Autos der US-Amerikaner wirklich? Das Tesla Model S im Praxistest.
Einfach putzig, dieser Tesla-Werbespot: wie der kleine Junge im tiefschwarzen Darth-Vader-Kostüm mit magischen Händen die Scheinwerfer des Passat … Ach ne, das ist ja eine VW-Werbung. Aber der Slogan "Vorsprung durch Technik" passt auch wie die Faust aufs Auge zu dem Elektroautobauer aus den USA. Stimmt, diesen Claim verwendet schon Audi. Macht Tesla überhaupt Werbung? Null. Kein Werbefilm, keine Imagekampagne, keine Anzeigen – nicht einmal in Autozeitschriften. Und dennoch spricht die ganze Welt über die Autos aus dem Start-up-Mekka Silicon Valley. Warum? Weil sie so herrlich anders sind und aus dem Einerlei der immerzu gleich gepolten Fahrzeugmassen herausstechen.
Beispiel gefällig? Als wir das erste Mal auf das Model S zulaufen und einsteigen wollen, grübeln wir noch kurz, wo wir die schmale, in die Tür eingelassene Chromspange überhaupt greifen sollen. "Müssen wir jetzt irgendwo dagegen drücken?" Ha, hat sich erledigt, im gleichen Moment, wie wir den Arm ausstrecken, surren die Türgriffe eine Handbreit aus dem Blech heraus. Ein Vorgeschmack auf das kommende Tesla-Erlebnis.
Sie fragen sich, ob Tesla-Fahren wirklich so faszinierend ist? Definitiv – zu Beginn Alleine bei dem Anblick des Touchscreens sind wir baff. 17 Zoll! Das war früher noch eine gängige Laptop-Größe. Heute sind uns diese schweren Trümmer zu groß, wir würden sie auf keinen Termin mehr mitschleppen. Hochkant eingesetzt, mit Chromrand, ist es das größte Display, das es derzeit in der Automobilwelt gibt. Die Ingenieure machten sich erst gar nicht die Mühe, dieses System intuitiv aufzubauen. Auf den riesigen Bildschirm passen Infos ohne Ende. Die Touchflächen sind so ausführlich beschrieben, dass sie jeder auf Anhieb versteht.
Diese Elektro-Limousine springt nicht an, sie erwacht. Dafür reicht ein sanfter Tritt auf das Bremspedal – schon signalisiert Instrumentenlicht die Fahrbereitschaft. Die Beschleunigung ist einfach brutal: 660 Nm Drehmoment greifen vom Stand weg mit voller Wucht an. Drehen die beiden 197-kW-Elektromotoren an Vorder- und an Hinterachse ganz auf, sprintet der S 100D in 4,3 Sekunden auf die 100 zu. Zum Bremsen lupfen wir dann einfach den Fuß vom Gaspedal. Das Auto rekuperiert so stark, dass wir die eigentliche Bremse bloß selten nutzen. Manchem Beifahrer schlägt diese ungewohnte Gangart auf den Magen. Wohl auch deswegen hat Tesla mit einem Update den "Kriechmodus" eingeführt. Er soll die Schaukelfahrt – stark bremsen, noch stärker beschleunigen – mildern und es dem Fahrer erleichtern, den Wagen in enge Parklücken zu steuern.
Updates? Sie haben richtig gehört. Jeder Tesla bekommt laufend neue Funktionen zugespielt, wie beim Smartphone. Denn jeder Tesla auf der Straße sammelt Daten, die analysiert und zur Verbesserung laufend an die Autos zurückgeschickt werden. Alleine per Softwareupdate macht die Marke das Model S fit fürs autonome Fahren. Die dafür notwendige Hardware sei schon längst in allen Modellen verbaut.
In unserem Model S überwacht ein Radar den Bereich vor dem Auto, zwölf Ultraschallsensoren und acht Kameras scannen das gesamte Umfeld in bis zu 250 Meter Entfernung. Manche Kameras, wie die in der B-Säule, schlummern allerdings noch und warten auf ihren Einsatz im autonomen Zeitalter. Ein bisschen Schmunzeln müssen wir daher schon. Denn beim Einparken können wir nur die klassische Heckkamera zur Unterstützung auf dem Riesen-Display anfordern. Selbst so etwas Banales wie einen Regensensor für die Scheibenwischer bietet Tesla trotz des umfangreichen Hightech-Equipments nicht an.
Alle Kameras und Sensoren scheinen dem Autopiloten vorbehalten zu sein. Autopilot? Den kennen wir nur vom Flugzeug. Die Maschinen fliegen dann ganz alleine und der Kapitän schaut zu. Darauf wollen wir lieber nicht blind vertrauen. Dieser Wagen fährt zwar so präzise von alleine wie kaum ein anderes Auto. 100 Prozent fehlerfrei ist er jedoch noch lange nicht. Eine scharfe Kurve auf der Landstraße packt er genauso wenig, wie an einer Kreuzung abzubiegen. Aber wie gesagt, sobald es die Gesetzeslage zulässt, braucht es laut Tesla dafür nur ein Update. Auch beim Elektroantrieb sind die US-Amerikaner noch einen Schritt voraus. Schließlich konzipierten sie mit dem Roadster schon 2008 ein reines Elektroauto. Über den kompletten Unterboden sind Lithium-Ionen-Akkus verteilt. Die Zellen kommen von Panasonic und stecken in ähnlicher Form auch in Laptops. Je nach Modell beträgt die Batteriekapazität 75, 90 oder 100 kWh.
Mit 100er-Batterie schafft es das Model S nach NEFZ-Zyklus 632 km weit. Auf unserer Normrunde saugten die E-Motoren 22,8 kWh/100 km. Umgerechnet kommt er dann immer noch stolze 440 km weit. Und wir halten fest, dass wir bei winterlichen Temperaturen unterwegs waren. Solch eine Reichweite bietet momentan kein anderes Elektroauto. Schon gar nicht eines der Oberklasse und mit diesen Beschleunigungswerten. Klassische Tugenden, wie wir sie von deutschen Autobauern kennen, vermissen wir wiederum. Ein kunstvolles Lichtdesign à la Audi oder Laser-Licht wie im BMW 7er, davon ist das Model S weit entfernt.
Seit dem Facelift 2016 linst es mit LED-Scheinwerfern in die Kurve – fertig. Zwar dämpfen Luftfedern unseren Testwagen, aber so richtig komfortabel fährt der Tesla dennoch nicht. Die Hinterachse verschafft sich durch polternde Stöße immer wieder Luft. Ein weiterer Kritikpunkt ist das eingestaubte Interieur. Das Hartplastik mit Carbon-Folierung passt ebenso wenig ins Bild eines Premium-Modells wie das Knarzen, das wir im Wagen oft hören, selten aber lokalisieren können. Am weichen Leder gibt es nichts auszusetzen, ebenso an den Tasten und Lenkradhebeln, die übrigens von Daimler stammen. Sie wussten es nicht? Daimler hielt bis 2014 Anteile an Tesla, gab sie aber alle auf. Unterm Stern in Untertürkheim raufen sie sich deshalb heute noch die Haare. Was die Schwaben ebenfalls ärgern dürfte: Obwohl das technisch teils stark veraltete Model S über 90.000 Euro kostet, verkaufte Tesla im vergangenen Jahr in Europa mehr Modelle als Daimler von der Mercedes S-Klasse.