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VW Crafter Erste Testfahrt im 3,5-Tonner

VW Crafter Foto: VW

Eine erste Runde mit mehreren frontgetriebenen VW Crafter-Prototypen lässt Großes erwarten. Antrieb und Fahrwerk überzeugen. Maßstäbe setzt der 3,5-Tonner aber vor allem bei den Assistenzsystemen.

Im polnischen Wrzesnia (Wreschen) bei Poznan (Posen) produziert VW Nutzfahrzeuge (VWN) bald zahlreiche Varianten der leichten Nutzfahrzeuge des Konzerns. Das beeindruckende, rund 800 Millionen Euro schwere Werk ist fast vollständig fertiggestellt und das Team wird aktuell vor Ort auf das Produkt vorbereitet, das im September erstmals durch die Fertigungsstraßen laufen soll. Dann beginnt hier die Serienproduktion des neuen VW Crafter, der auch als MAN TGE auf den Markt kommen wird.

Eine kleine Schar ausgewählter Fachjournalisten hat bereits Gelegenheit, die Fahrzeuge zu bewegen. In der 850 Meter langen Montagehalle stehen dazu vier, noch getarnte, Prototypen sowie zwei Referenzmodelle der aktuellen Baureihe zu einer Ausfahrt bis nach Danzig bereit − insgesamt 315 Kilometer Landstraße und Autobahn zu etwa gleichen Teilen.

Als Erstes lädt eine Doka-Pritsche mit 103 kW (140 PS) starkem 2.0 TDI, manuellem Sechsganggetriebe sowie Blattfedern an der einzelbereiften Hinterachse ein. Gleich nach Motorstart fällt auf, dass der Antriebsstrang wesentlich kultivierter und weniger lautstark als zuvor zu Werke geht. Ein sanfter Tritt aufs Gaspedal reicht und der Crafter schnurrt vors Hallentor. Nach der Ausfahrt vom Werksgelände sprintet die Doka leichtfüßig auf Landstraßentempo. Die Abstimmung von Motorleistung, Getriebe- und Hinterachsübersetzung ist trefflich gelungen.

Hoher Fahrkomfort

Erst ab dem spürbar länger übersetzten fünften Gang verliert der 103 kW starke Crafter (340 Nm) ein wenig an Temperament. Das stört aber nicht weiter. Der Fahrkomfort ist insgesamt sehr hoch. Einzig und allein kurze Querwellen regen die Hinterachse des mit etwa einer halben Tonne beladenen Transporters zum Nachschwingen an. Das aber ist Jammern auf hohem Niveau.

Das unproblematische Fahrverhalten gewährt Zeit, um den Blick im Innenraum schweifen zu lassen. Der Arbeitsplatz folgt nun der Bedienphilosophie von VW, entsprechend schnell findet man sich zurecht. Die Inneneinrichtung der Prototypen gleicht dem Serienstand, jedoch sind die Kunststoffe noch nicht genarbt und nicht jede Fuge sitzt schon so, wie sie sein soll. Das gibt Dr. Eckhard Scholz, Vorstandsvorsitzender von VWN, unumwunden zu. Die Abstimmung mit den Zulieferern, aber auch das Einrichten einiger Maschinen und Werkzeuge sei je nach Modell noch in vollem Gange.

Modern und praxistauglich

Ins Auge springt das Design. Der Innenraum des Crafter, insbesondere der Armaturenträger inklusive Multimediasystem mutet modern und praxistauglich an. Die Bedienmöglichkeiten sind mannigfaltig und erklären sich von selbst. Große Icons lassen die einzelnen Funktionen gut erkennen. Bedient wird per Drehdrücksteller
oder via Touchscreen. Das Smartphone lässt sich mit dem System koppeln, was unter
anderem das Abrufen von internetbasierten Infos wie zum Beispiel dem Wetterbericht am Zielort ermöglicht.

Nicht nur im Inneren, auch außen ist die Zugehörigkeit des Transporters zur Nutzfahrzeugfamilie unverkennbar. Und auch wenn die Nase des Crafter noch getarnt ist, so lässt sich beim Spicken unter die Verkleidung erkennen, dass Front und Heck die typischen Designelemente der Nutzfahrzeugsparte tragen. An Kombi und Kastenwagen ist ersichtlich, dass die Seitenlinie gegenüber dem Vorgängermodell weitgehend erhalten geblieben ist. "Bewährte Eigenschaften haben wir natürlich beibehalten. Dazu gehören die Best-in-Class-Werte bei der Öffnung von Schiebetür und Heckportal", erklärt der technische Projektleiter Andreas Teuber.

Am Ablagenkonzept hat VW jedoch kräftig gearbeitet. Eine Flut von offenen Fächern in allen erdenklichen Formaten finden sich auf dem Armaturenträger, in den Türen sowie als Dachgalerie bei bestimmten Karosserievarianten. Geschlossene Ablagen im Bereich des Armaturenträgers entfallen dafür genauso wie der Clip für lose Blätter. Als Ersatz gibt es ein geschlossenes, gekühltes Handschuhfach mit reichlich Platz. Eine geschlossene Ablage findet sich unter dem Sitzkissen des Beifahrers. Hinzu kommt bei der Doppelbeifahresitzbank ein Klapptisch in der Rückenlehne, der neben den obligatorischen Halterungen für Kaffeebecher und Block auch Schlitze umfasst, in die sich ein Tablet-PC stecken lässt. Natürlich sind auch 12-Volt- und USB-Buchsen vorhanden. Hinzu kommt eine 250-Volt-Steckdose mit ausreichend Leistung, sodass sich auch mal ein
Akkuschrauber oder der Laptop laden lässt.

Biturbo-Motor mit 177 PS/130 kW und 410 Nm

Aus der Doka geht es direkt in den Kasten­wagen. Stramme 410 Nm stemmt das 130 kW
(177 PS) starke Biturbo-Aggregat auf die Kurbelwelle. Auch hier kommt ein manuelles Sechsganggetriebe zum Einsatz. Automatversionen folgen später. Flugs ist der Crafter auf Landstraßentempo und genauso schnell darüber hinaus geschossen. Äußerst schaltfaul lässt er sich bei knapp 1.200 Touren bewegen.

Die Abgasreinigung übernimmt bei allen Die­selmotoren ein SCR-System in Verbindung mit einem Dieselpartikelfilter. Je nach Ausführung, Beladung und Fahrstil genehmigt sich der Crafter laut VWN-Entwicklungsvorstand Dr. Harald Ludanek 1 bis 1,5 Liter Adblue. Unter ständiger Volllast können es auch mal 3 Liter sein. Insgesamt sind 18 Liter vom NOx-Reduktionsmittel an Bord. Betankt wird über einen Stutzen, der neben dem des Dieselreservoirs sitzt.

Enorme Auswahl an Assistenzsystemen

Das spannendste Erlebnis ist die Armada an Assistenzsystemen, die für den Crafter zur Auswahl stehen. VW will scheinbar dem Mercedes Sprinter genau dort den Rang ablaufen, wo er seit Jahren Bestmarken setzt. Geboten wird im Crafter alles, was der einstige Kooperationspartner ebenfalls auffährt und noch ein wenig mehr.

Es gibt ESP mit Seitenwindassistent, Spurwächter und einen gekonnt applizierten Abstandstempomaten. Die Bedienung ist in Verbindung mit dem Multifunktionslenkrad ein Kinderspiel. Obendrauf sitzt der Notbrems­assistent, dem man auf der Testfahrt beinahe blind vertrauen konnte. Er geht auch mal beherzt in die Eisen, wenn Not am Mann ist. Das grenzt ans automatisierte Fahren – vor allem, weil es im Crafter nun eine elektromechanische Lenkung gibt, die bei Bedarf aktiv ins Geschehen eingreift. Etwa dann, wenn sich das Fahrzeug der Fahrbahnmarkierung nähert oder wenn der Fahrer auf der Autobahn den Blinker setzt, aber auf der linken Spur von hinten ein Fahrzeug anstürmt. Die Kombination von Ultraschall- und Radarsensoren erfassen den Rückraum bis zu 80 Meter hinterm Fahrzeug. Nehmen die Sensoren ein Hindernis wahr, erzeugt die Lenkung Ge­gendruck bis hin zu einem leichten Rütteln. Beides ist so gelungen gemacht, dass es den Fahrer weder erschreckt, noch die Warnung wirkungslos verpufft.

Nicht erproben ließen sich die Assistenzfunktion namens Trailer Control für den Anhängerbetrieb. Sie soll das Rückwärtsrangieren erheblich erleichtern. Auch fürs automatisierte Einparken gab es keine Testmöglichkeit.

Nach dem Umstieg von der Doka in Kasten­wagen und Kombi fällt zudem das niedrige Geräuschniveau auf – besonders im Vergleich mit der Vorgängergeneration. Bei allen Modellen überzeugt auch der Sitzkomfort. "Wir sind der erste Transporterhersteller, der sich die Sitze von der Arbeitsgemeinschaft Gesunder Rücken (AGR) hat zertifizieren lassen", sagt Scholz. Und das fühlt man. Die 300 Kilometer spürt man kaum und steigt nach der ersten Fahrt am Ziel mit vielen positiven Eindrücken und beinahe schon erfrischt aus.