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Firmenwagenklassiker VW T1 und T2 Bye bye Bulli

VW Bulli in Brasilien Foto: Hanno Boblenz 29 Bilder

Ende einer Firmenwagen-Ikone: In Brasilien lief im Dezember 2013 der letzte VW Bus vom Band – nach 56 Jahren Bauzeit.

Für Samson Cardoso geht eine 30-jährige Liebesbeziehung zu Ende. Im Dezember 2013 lief der letzte Bulli vom Band. Sein Bulli. Mehr als ein halbes Leben lang bestimmte der T2 Cardosos Arbeitsalltag. Wie viele Kombis und Transporter er im VW-Werk Anchieta bei São Paulo montierte, weiß er nicht. Tausende wahrscheinlich. Von weltweit 3,9 Millionen VW Bussen des Typs T2 -liefen 1,12 Millionen in Anchieta vom Band, zuletzt 26.000 Stück pro Jahr.

Es hätte wohl lange so weitergehen können. Aber Brasiliens Regierung will Neuwagenkäufer künftig mit ABS und Airbag schützen. Das ist ehrenvoll, doch die Sicherheitstechnik passt nicht in ein Auto, das die Zeit seit 1968 bis auf kleine Retuschen fast unverändert überstanden hat. "Nicht der Markt, sondern der Gesetzgeber macht dem T2 den Garaus", klagt Werksleiter Frank Sowade. Der Arbeiter Cardoso ist nicht der Einzige, bei dem das Auto eine Lücke hinterlässt. Auch Jochen Funk hat nun ein Problem. "Kein anderes Auto transportiert so günstig neun Personen", sagt der Vertriebschef für Brasilien. Im VW-Portfolio adäquaten Ersatz für den T2 zu finden wird schwer. 47.500 Real, umgerechnet knapp 15.000 Euro, kostete der nackte Lieferwagen zuletzt, der Kombi 1.500 Euro mehr. Dafür bekommt der Käufer ein Auto, das keinerlei Luxus bietet, aber eine Tonne schleppen kann. Und das zählt bei brasilianischen Handwerkern, Busunternehmern oder Kurieren letztlich. Aus dem Transporter des deutschen Wirtschaftswunders wurde so der Motor für Brasiliens wirtschaftlichen Aufstieg.
Auch für den von Rolando Vanucci. 2007 kaufte der Jungunternehmer in São Paulo seinen ersten gebrauchten T2 und rüstete ihn zum Grillwagen um. Mittlerweile betreibt Vanucci ein Restaurant und seine mobile Frittenbuden-Flotte wuchs auf sechs Autos. Das älteste ist Baujahr 1997. "Die Großmutter", lacht Vanucci. "Aber der bleibe ich treu. Es gibt einfach keinen besseren und billigeren Transporter."

VW Bulli in Brasilien Foto: Hanno Boblenz
Es gab Kurioses zu sehen wie diesen verkürzten Kombi…

Der Bulli wird also weiter das Straßenbild von Brasilien prägen. "Mein Auto werde ich hegen und pflegen, das brauche ich noch lange", sagt auch Zuckerrohrsaft-Verkäufer Ferreira de Almeida. Mindestens zehn Lieferwagen hatte er in den letzten 15 Jahren, alle reparierte er selbst. "Das ist kein Hexenwerk", sagt der gelernte Mechaniker. "Den Bulli kann hier jeder am Straßenrand auseinandernehmen und wieder zusammenbauen."

Einfachste Technik für 15.000 Euro

Kein Wunder, unter dem Blech des T2 steckt einfachste Technik, Stand 60er-Jahre. Viel nacktes Blech, keine Servolenkung, keine Heizung, kein Gebläse, keine elektrischen Fensterheber. Und die 142 Bullis pro Tag werden so gebaut wie schon vor 50 Jahren, von Hand. Wo sie zusammengeschraubt werden, zischen keine Roboter hin und her, nirgends sprühen Funken. Stattdessen kriechen Gruppen von Arbeitern in die Rohkarosse, verrenken sich, um Lenkung, Sitze oder Elektrik zu montieren. Sechs Stunden dauert der arbeitsintensive Durchlauf, bis der fertige Bulli aus der Werkshalle fährt. "Die Produktion ist so altmodisch wie das Auto", bestätigt Werksleiter Sowade. "Aber die Technik erlaubt keine Automatisierung." Ganz grobe Patzer gleichen die Arbeiter der Endkontrolle aus. Cardoso kennt die Schwachstellen, weiß genau, wo er hinschauen muss. Mit seinem kleinen Hammer klopft er Dellen raus, biegt Krummes gerade. Was nicht passt, wird passend gemacht, notfalls mit Nachdruck. Schließt die Tür nicht, muss man sich eben dranhängen und die Scharniere in Form bringen.

Das VW-Management schätzt die lange Erfahrung von Cardoso und seinen Kollegen. "Ich war schon im Vorruhestand, dann hat mich VW vor fünf Jahren wieder zurückgeholt", sagt der 58-Jährige. Sogar lackiert wird manuell. Eine eigene Lackierstraße für ein Modell, das nur zehn Prozent der Gesamtproduktion der Fabrik ausmacht, lohnte sich nie. Zumal die Farbauswahl bescheiden ist. 99 Prozent der Kunden bestellen den Bus in Weiß. Rot war reserviert für die Feuerwehr, Blau für die Luftwaffe.

Lacknasen? Spaltmaße? Was VW-Chef Ferdinand Piëch Tränen in die Augen treiben würde, nimmt der brasilianische Kunde als gegeben. "Ein Auto muss billig, zuverlässig und robust sein, mehr nicht", sagt Milton Atsushi Oshiro. In einem Zelt vor seinen vier bis unters Dach vollgepackten Bullis verkauft er frittierte Teigtaschen. Seine VW-Flotte sei die Basis seines Geschäfts. Seit 20 Jahren rumpelt Familie Oshiro täglich von Markt zu Markt. "Ich bin sehr traurig, dass der Wagen nicht mehr gebaut wird, er hat mich mein ganzes Leben lang begleitet." Oshiro las in der Zeitung vom Ende der Bulli-Ära. Mit einer ungewöhnlichen Anzeigenkampagne verabschiedet VW seine Ikone. Witzige Motive, wie man sie noch vom Käfer kennt. Die letzte Annonce zeigt das Auto von hinten: "Abschied des VW Bus - demnächst bei keinem Händler in ihrer Nähe." Zum Schluss legt VW noch eine 12.000 Euro teurere Last Edition auf, mit Vorhängen und -Sitzen im Retro-Stil. Die 1.200 Busse sind im Nu ausverkauft, an Sammler in der ganzen Welt.

Die Last Edition war schnell ausverkauft

Im Dezember lud VW spontan zum Abschiedstreffen ins Werk ein. Über 100 Autos reisten an. Originale Kombis aus den 50ern, ein getunter mit 200-PS-Turbomotor, Reisemobile und nackte Transporter. So bunt gemischt wie die Autos sind die Fahrer. Adriano Esperandeu und Regis Marcolongo etwa kamen mit zwei auf Hot Rod getrimmten T1 aus den -frühen 60ern. Die beiden Mitglieder des Bulli-Clubs importierten ihre Autos aus den USA und haben nichts an den Autos geändert. "Wir lieben die Patina. Außerdem fahren wir nur am Wochenende. Die Polizisten kennen uns schon und drücken dann ein Auge zu."

Im Internet legte VW eine Fanseite an. Mehr als 300 Bulli-Fahrer erzählen, was sie mit dem Auto verbindet. Bei einigen Besitzern bedankte sich VW für ihre Treue persönlich mit ausgewählten Geschenken. Jason Rehms Familie tauschten vor Jahren ihr Haus gegen ein Wohnmobil ein und reist seitdem durch Südamerika. Für ihren T2 bekamen sie mit einem Bild des Autos bedruckte Fußmatten. Auch Jungunternehmer Vanucci wurde bedacht, mit Ausstechern in Busform für die Pasta in seinem Restaurant.

Samson Cardoso dagegen wird wohl leer ausgehen. Dort, wo er 30 Jahre lang seine Bullis zusammenschraubte, soll die Vorproduktion für die anderen in Anchieta gebauten VW-Modelle entstehen. Mit 58 Jahren muss sich der Brasilianer nochmals umstellen. Der Fortschritt ist auch in Brasilien nicht aufzuhalten.