50 Jahre Mercedes 280 Schwäbisches Understatement

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Äußerlich kaum vom Diesel-Taxi zu unterscheiden, waren die 280er-Modelle der Strich-Acht-Baureihen Wölfe im Schafspelz und als Geschäftswagen in den oberen Etagen mehr als begehrt.

Nach Negativ-Rekorden in der Unfallstatistik schrieb die Politik Verkehrssicherheit 1972 ganz groß, wovon vor allem das auf bundesdeutschen Landstraßen eingeführte Tempolimit von 100 km/h kündete. Auch die inzwischen vier Jahre alten Mercedes-Strich-Acht-Modelle (W 114) sollten ihre Führungsrolle in der Fahrzeugsicherheit erneuern durch Features wie serienmäßiges Verbundglas und automatische Sicherheitsgurte. Zur Sensation avancierten die Bestseller der gehobenen Mittelklasse aber als 185 PS starke und 200 km/h schnelle Tarnkappen-Jäger mit den Typencodes 280 E und 280 CE (Coupé). Äußerlich bis auf vordere Doppelstoßstangen und längere hintere Stoßstangen kaum vom Typ 200 Diesel mit VW-Käfer-Temperament zu unterscheiden, bliesen die schlichten und doch scharfen 280er (es gab die Reihen-Sechser auch ohne Benzineinspritzung mit 160 PS) zur Jagd auf Oberklasse-Typen wie Jaguar XJ, BMW-Sechszylinder oder Speed-Ikonen wie den Porsche 911.

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"Das Beschleunigungsvermögen übertrifft gängige Vorstellungen", bejubelte der Stuttgarter Hersteller seine 4,69 langen Leistungsträger.

Leise, kultiviert, drehfreudig und ausgelegt für strengste amerikanische Abgasvorschriften erreichte der neu konstruierte Zweinockenwellen-Sechszylinder sogar PS-Werte von Oberklasse-Platzhirschen à la BMW 2800/3.0 S, Fiat 130, Jaguar XJ, Rover V8, Volvo 164 oder Opel Admiral. Manche Fachmedien ermittelten für den 280 E nur gut neun Sekunden für den Sprint auf 100 km/h und damit schnellere Zeiten, als sie sich amerikanische Asphalt-Brenner vom Kaliber eines Camaro 350 SS mit mächtigem 5,7-Liter-V8 genehmigten. Allerdings gab es einen frechen Preisbrecher aus Rüsselsheim, der den bis zu rund 23.000 Mark teuren Spitzentypen der Strich-Acht-Reihe die Pole Position im Performancevergleich streitig machen wollte. Der ebenfalls 1972 neu aufgelegte Opel Commodore GS/E kostete ein Viertel weniger als die 280er und ermöglichte mit 160 PS starkem Sechszylinder ähnlich sportliche Fahrleistungen, die er optisch durch aggressive Zusatzscheinwerfer und Rallyestreifen kommunizierte. Dagegen trugen die Käufer des Strich-Acht-Sechszylinders bevorzugt den Nerz nach innen. Ihnen war ein distinguiert-dezenter Auftritt wichtiger als Vmax-Imponiergehabe.

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Hohe Unfallzahlen hatten schnelle Autos in die Kritik gebracht.

Sicher, komfortabel und leistungsstark in legendärer Couture von Stardesigner Paul Bracq, so zeigte Mercedes mit den Strich-Acht-Limousinen und -Coupés seit 1968 in der oberen Mittelklasse erfolgreich Präsenz. Als vier Jahre später die 280er-Limousinen und -Coupés die Modellserie krönten, war die von Bracq in Form gebrachte Baureihe bereits auf dem Weg, Produktionsrekorde zu brechen, um am Ende als erster Mercedes-Pkw eine Gesamtauflage von mehr als 1,9 Millionen Einheiten zu erreichen.

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Doch im Spätsommer 1972 debütierte in München der schärfste Konkurrent der erfolgsverwöhnten Stuttgarter Sterne, der erste BMW 5er (E12). Besonders pikant: Auch diese Limousinen hatte der Franzose Paul Bracq in Form gebracht, denn inzwischen hatte ihn die weißblaue Marke als Chefdesigner verpflichtet. Das Temperament der 280er konnten die BMW-Sechszylinder jedoch nicht toppen, der Strich-Acht blieb stärkster und schnellster Businessliner bis zur Wachablösung durch die W-123-Serie.

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Im Herbst 1973 erfuhren die 280er der Strich-Acht-Serie eine Auffrischung durch einen modisch flachen und breiten Kühlergrill und auffällig profilierte, verschmutzungsarme Rückleuchten, allerdings entfielen die markanten vorderen Doppelstoßstangen. Dennoch blieben die teuersten Strich-Acht-Typen sogar noch parallel zum vollkommen neuen W 123 begehrenswert, ehe dann Ende 1976 das Aus für die von Bracq gestalteten 280-Limousinen und eleganten Hardtop-Coupés ohne B-Säule kam. Heute zählt die Strich-Acht-Serie mit aktuell rund 10.000 registrierten H-Kennzeichen-Fahrzeugen übrigens zu den sechs populärsten Oldtimern in Deutschland. Für die Community gewiss Anlass, das Quartett aus 280, 280 E, 280 C und 280 CE im Jubiläumsjahr 2022 hochleben zu lassen.

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