60 Jahre Mercedes 220 SE bis 300 SE (W 111/112) Mondän und teuer

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Mercedes S-Klasse Coupés und Cabrios (W 111/112) waren in den 1960ern bei Firmenchefs, Künstlern oder einfach auch nur sonst gut Situierten der Inbegriff automobilen Luxus.

Euphorisierte Fachjournalisten verglichen vor 60 Jahren die Coupé- und Cabriolet-Versionen des Mercedes 220 SE (W 111) mit der vollendeten Schönheit der Mona Lisa. Die später auch als 250 SE, 280 SE, 300 SE und mit V8-Power verfügbaren Prestige-Coupés und Cabriolets waren so skulptural, dass sie zehn Jahre Bauzeit optisch fast unverändert überstanden und sogar den 1965 erfolgten Modellwechsel der S-Klasse-Limousinen überlebten.

Es waren aber auch technische Revolutionen wie die patentierte Sicherheitskarosserie mit definierten Knautschzonen und der beim Coupé trotzdem mögliche filigrane Hardtop-Dachaufbau mit voll versenkbaren Seitenscheiben, mit denen die zweitürige S-Klasse die Herzen der betuchten Damen und der anspruchsvollen Herrenfahrer gewann. Während Wettbewerber wie BMW 3200 CS, Glas V8 oder Opel Diplomat Coupé nur auf dreistellige Stückzahlen kamen, verkaufte Mercedes fast 36.000 Einheiten der exorbitant teuren SE-Serie.

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Sogar noch kostspieliger als der Mercedes 300d von Bundeskanzler Konrad Adenauer war das 1962 eingeführte Topmodell-Tandem aus 300 SE Coupé und Cabriolet (W 112).

Sogar noch kostspieliger als der Mercedes 300d von Bundeskanzler Konrad Adenauer war das 1962 eingeführte Topmodell-Tandem aus 300 SE Coupé und Cabriolet (W 112), das im Gegensatz zum Vorgänger nicht mehr in Handarbeit, sondern ebenso wie alle anderen W 111/112 Zweitürer auf dem Fließband parallel zur S-Klasse-Limousine gefertigt wurde. Tatsächlich begann die Preisliste für das 300 SE Cabriolet bei 34.750 Mark, das entsprach den Baukosten für ein Einfamilienhaus oder für neun VW Käfer.

Selbst der Basistyp 220 SE Coupé schlug noch mit mindestens 23.500 Mark zu Buche, aber die Ära des Wirtschaftswunders hatte offenbar so viele Millionäre hervorgebracht, dass die Nachfrage auch die Erwartungen von Mercedes übertraf. Jahrelange Lieferzeiten für die Meisterwerke des Formenkünstlers Bracq waren die Folge und wurden sogar von sonst so ungeduldigen amerikanischen Kunden akzeptiert. Vielleicht ahnten die Sternenjünger, dass sich die Geduld für ihr neues Statussymbol, das anders als ein Cadillac Convertible oder die S-Klasse Limousine nicht von der Stange kam, auszahlen sollte.

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Der Nachwuchs-Designer Bracq hatte alle barocken Elemente der Heckflossen-Limousine 220 SE eliminiert und diesen viertürigen Chromkreuzer der späten 1950er in einen Zweitürer unvergänglicher Eleganz verwandelt.

Zunächst einmal ließ es sich mit den mondänen SE Coupés und Cabriolets auf Fifth Avenue, Kurfürstendamm oder der Croisette in Cannes viel prächtiger promenieren als mit der konventionellen, viertürigen S-Klasse. Diese Grandezza bewahrten sich die 4,88 Meter langen Zweitürer bis ans Ende ihrer Bauzeit im Jahr 1971, allein die zum Modelljahr 1969 niedrigere und breitere Kühlermaske verriet die letzten Jahrgänge, die nun auch mit einem adäquaten 200 PS starken 3,5-Liter-V8 bestellbar waren.

Bis heute erzielen Cabriolets mit laufruhigem V8 die höchsten Notierungen in Sammlerkreisen: Einzelne Exemplare im perfekten Zustand bewegen sich bereits in Sphären, die fast das 40-fache des einstigen Listenpreises betragen. Eine gute Geldanlage, für kriminelle Fälscher allerdings Anlass, Mercedes Coupés nachträglich zu Cabrios zu transformieren – Aktionen, die an den illegalen Kunsthandel mit Kopien alter Meister erinnern.

Das W 111 Coupé zeigte, wohin die Reise des Automobils führen sollte: In ein Jahrzehnt, das die wuchtigen und schwülstigen Formen der 1950er schlagartig altbacken aussehen ließ und stattdessen der Lust auf klare und kühle Linien des Space Age frönte. Während Wettbewerber wie der von Bertone konturierte BMW 3200 CS dieses reduzierte Design konsequenter verkörperten, ließ der 220 SE durch große, umlaufende Panoramascheiben und angedeutete Heckflossen noch Verwandtschaft mit der schon 1959 vorgestellten Limousine spüren. Charmante Zitate aus einer vergangenen Dekade, die den Erfolg der W 111/112 Coupés und Cabrios zusätzlich beflügelten und Mercedes europaweit die Lufthoheit in diesem Luxussegment sicherten. So wie der zeitgleich debütierende Jaguar E-Type stilbildend für die Supersportwagen wurde, inspirierten die Sechszylinder-Typen 220 SE, 250 SE, 280 SE und 300 SE nun elitäre Verdeckträger und Hardtop-Coupés. Dazu trug auch das großzügige Platzangebot im Fond bei, denn die Bodengruppe hatten die Zweitürer von der Limousine adaptiert.

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Insgesamt wurden im Werk Sindelfingen 28.918 Coupés und 7.013 Cabriolets produziert.

So verfügte der Toptyp 300 SE nicht nur über einen innovativen 3,0-Liter-Sechszylinder aus Leichtmetallguss, er ergänzte diese Delikatesse durch Scheibenbremsen an allen vier Rädern und ein nützliches Sperrdifferential. Hinzu kamen eine Servolenkung wie sie damals nur Luxusmobile boten sowie eine sensationelle Luftfederung. Cleveren Schaltkomfort anderer Art bot dagegen die von Mercedes selbst entwickelte Automatik, die auf eine hydraulische Kupplung statt eines Wandlers vertraute. Vor allem verfügte die Automatik über vier gut abgestufte Gänge während fast alle Wettbewerber lediglich konventionelle Drei- oder Zweigang-Automaten nutzten. Auch die damals für deutsche Hersteller neuen Features Klimaanlage und elektrische Fensterheber umfasste die Optionenliste der SE-Typen.

Optisch war der 300 SE kaum von den preiswerteren 220 SE bzw. dem 1965 lancierten 250 SE zu unterscheiden, ein Understatement-Vorteil, den besonders deutsche Käufer des Spitzenmodells goutierten, avancierten die 1960er doch hierzulande zu einer Dekade aufkommenden Sozialneids. Als die Produktion der S-Klasse-Coupés 1971 auslief, erhielten sie keinen direkten Nachfolger, denn 350 SL und SLC (R/C 107) spielten in einer anderen Liga. Für die W 111/112 Coupés und Cabriolets war es die Chance, direkt in den Olymp unsterblicher Klassiker aufzusteigen.

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