Ablenkung im Auto Wie sicher ist autonomes Fahren?

Foto: Mercedes

Der Mensch eignet sich nur bedingt für die Mobilität der Zukunft. Weil er sich im Auto langweilt oder zu sehr abgelenkt wird. Bereits heute kann die Flut an Assistenten mehr stören als helfen.

Es wird viel geredet über die Zukunft des Verkehrs. Auf Messen zeigen die Hersteller futuristische Studien zum autonomen Fahren. Kein Lenkrad stört die Optik, stattdessen wandeln sich schicke Fahrzeuge zu mobilen Büros oder zu Wohnzimmern mit Schlafsesseln. Fahrerlose Autos kennen ihren Weg, Hindernissen weichen sie aus. Doch erst ab dem Jahr 2080, so besagen Prognosen von Volkswagen, wird das Auto ohne Mensch am Steuer Realität. Erst dann ist die letzte, die fünfte Stufe des autonomen oder durch Assistenzsysteme unterstützten Fahrens erreicht.

Aktuell automatisieren technologische Entwicklungen zunehmend die Fahraufgabe, um den Menschen am Steuer zu entlasten und die Sicherheit zu erhöhen. Während beim manuellen (Stufe 0), assistierten (Stufe 1) beziehungsweise teilautomatisierten Fahren (Stufe 2) der Pilot weiterhin gefragt ist, kann er sich bereits beim hochautomatisierten Fahren (Stufe 3) anderen Aufgaben zuwenden. Allerdings muss der Fahrer stets die Kontrolle über das Auto übernehmen können, ebenso beim vollautomatisierten Fahren (Stufe 4).

Assistenzsysteme können den Fahrer unterstützen

Genau da liegt das Problem: "Reine Überwachungsaufgaben lassen sich schwer mit unserem Bestreben nach sinnhafter und aktiver Beschäftigung vereinbaren", sagt Prof. Sebastian Pannasch von der TU Dresden. Der Verkehrspsychologe weiß: Automatisierungslösungen führen immer dazu, dass der Mensch sich anderen Aufgaben widmet. Er ist quasi zum Multitasking verdonnert. "Dabei entstehen längere Reaktions- und Bearbeitungszeiten, weshalb das Risiko von Fehlern steigt", sagt Pannasch. Zehn, sogar 15 Sekunden können vergehen, bis der Fahrer tatsächlich in das Verkehrsgeschehen eingreift. Im Zweifelsfall ist das viel zu lang. Je seltener der Fahrer aber eingreifen muss, desto eher driftet er ab. Riskant könnte es auch für Fahranfänger werden, die überhaupt keine Routine im Straßenverkehr haben.

Auch Dr. Gudrun Gericke vom Lehrstuhl für Arbeits-, Betriebs- und Organisationspsychologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena sieht das autonome Fahren skeptisch: »Assistenten gaukeln Sicherheit vor«, sagt sie. Ihr seien Fälle bekannt, in denen Berufskraftfahrer ihre Fußnägel schnitten, weil sie sich auf ihre Fahrassistenten verlassen hatten.

Man muss nicht auf Stufe 5 des autonomen Fahrens warten, um zu erkennen, dass viele Autofahrer heute schon extrem abgelenkt unterwegs sind. Vom Handy am Ohr beispielsweise. Selbst Telefonieren mit der Freisprecheinrichtung lenkt ab. Vielfahrer oder Vieltelefonierer wollen es oft nicht wahrhaben. Nur schnell einen neuen Auftrag durchgeben, wo ist das Problem? Wer dann noch parallel schnell ein Ziel ins Navi eintippt, kann schon mal den Fußgänger übersehen, der die Straße quert. »Auf beruflich veranlassten Fahrten steht Arbeitsstress in engem Zusammenhang mit Verkehrsunfällen«, weiß Gericke.

Arbeitgeber und Arbeitnehmer unterschätzen diese Gefahren häufig, sagt Benno Gross vom Institut für Arbeitsschutz der Gesetzlichen Unfallversicherung. Dabei ist jeder Chef zu einer Gefährdungsbeurteilung nach Paragraf 5 des Arbeitsschutzgesetzes verpflichtet. Er muss die im Zusammenhang mit der Tätigkeit auftretenden Gefahren ermitteln, Arbeitsprozesse zum Schutz der Beschäftigten anpassen und in die Bewertung des Arbeitsplatzes aufnehmen. Wobei klar sein muss: Der Arbeitsplatz eines Außendienstmitarbeiters ist auch hinterm Steuer seines Firmenwagens.

Deshalb empfiehlt Gross, Beschäftigte im Umgang mit mobilen Endgeräten im Fahrzeug zu schulen. Im Vordergrund sollte dabei immer sicheres Fahren unter Einbehaltung der Fahrspur und der vorgeschriebenen Geschwindigkeit stehen. Head-up-Display oder Spurhalteassistent, viele Informationssysteme können das Fahren erleichtern. Ebenso eine Freisprecheinrichtung, die prinzipiell erlaubt ist. Risiken birgt Telefonieren im Auto trotzdem. Wer zudem komplizierte Adressen eintippen muss, umständlich einen Telefonkontakt aus einer langen Liste herausfiltert, wird stark abgelenkt. "Es macht einen großen Unterschied, etwas nur abzulesen oder Befehle in ein Gerät einzutippen. Autofahrer unterschätzen das häufig", sagt Gross. Und die wenigsten Menschen nutzen konsequent die Sprachsteuerung des Firmenwagens. Weil sie nicht wissen, wie sie funktioniert. Weil sie es nicht gewohnt sind. Oder weil es ihnen unangenehm ist, mit einer Maschine zu sprechen. Sicherheitsexperte Gross empfiehlt zudem klare Arbeitsanweisungen. Etwa die, Kundengespräche nicht im fließenden Verkehr zu führen, sondern nur, wenn das Fahrzeug steht.

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Wird eine Firmensoftware auf mobilen Geräten genutzt, empfiehlt Gross, die Software anzupassen. Sie sollte nur Aufgaben übermitteln, die den Blick des Fahrers kurz binden und ihn nicht ablenken. Dabei sind sprachgesteuerte Anwendungen der manuellen Bedienung vorzuziehen. Studien belegen, dass beispielsweise das Tippen von Nachrichten massiv ablenkt.

Beim automatischen Fahren nach Stufe 5 sind diese Vorschläge natürlich Schnee von gestern. Bis dahin ist es aber ein weiter Weg. Momentan müssen sich die Fahrzeugentwickler mit ganz anderen Problemen befassen, die bisher nicht im Fokus standen. Stichwort Übelkeit. Horst Wieker ist Professor für Kommunikationstechnologie an der Technischen Hochschule Saarland. Er setzte etliche Probanden in einen Simulator für autonomes Fahren. Worauf ein Drittel der Testpersonen den Versuch abbrechen musste, weil ihnen übel wurde. Ein Drittel hielt den Versuch zwar durch, fühlte sich aber schlecht. Nur jeder dritte Proband hatte keine Probleme damit, rückwärts im Fahrzeug zu sitzen und dabei zu lesen oder andere Dinge zu tun. "Für die meisten Teilnehmer entsprach die simulierte Fahrt eher einer nicht aufhörenden Achterbahnfahrt", berichtet Wieker. Dieses Thema beschäftigt offensichtlich nicht nur die Kfz-Hersteller, sondern auch Uber. Der Mobilitätsdienstleister arbeitet schon an Sitzen, die den Mitfahrern per Vibration über die Wahrnehmungstäuschung hinweghelfen sollen.