Barmenia Versicherung Dienstreisen auf dem Prüfstand

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Sind Dienstreisen heutzutage ökologisch noch vertretbar? Der Versicherer Barmenia hat praktische Antworten auf diese Frage gefunden, dabei aber auch die Grenzen von nachhaltigem Reisemanagement entdeckt.

Dank E-Tickets und Apps kann man heute problemlos papierlos reisen und so einen kleinen Beitrag zum Umweltschutz leisten. Mit dem Alter sinkt der Anteil der Menschen aber gewaltig, die den digitalen Check-in nutzen. Laut einer Studie der Hochschule für nachhaltige Entwicklung (HNE) Eberswalde drucken mehr als 70 Prozent der über 35-Jährigen ihre Tickets noch aus. Aus Angst, die mobilen Geräte könnten versagen oder die Daten seien nicht sicher.

Auch Unternehmen haben viele Möglichkeiten, ihr Reisemanagement grüner zu machen. Trotzdem achtet laut der Studie Chefsache Business Travel 2018 weniger als die Hälfte der Firmen bei Geschäftsreisen auf Nachhaltigkeit, obwohl dem Großteil der Befragten das Thema wichtig ist. Ist also ökologisches (Dienst-)Reisen nur graue Theorie?

Bei der Barmenia nicht. Der Vorstand der Versicherungsgruppe mit Hauptsitz in Wuppertal gab bereits 2011 ein klares Ziel vor: CO2-Neutralität bis 2016. Ein eigens initiiertes, abteilungsübergreifendes Umweltmanagement-Team trat damals seinen Dienst an. Mit Stephan Bongwald benannte Barmenia zudem einen Nachhaltigkeitsbeauftragten. Als Ansprechpartner für interne und externe Stakeholder koordiniert und kommuniziert er alle Nachhaltigkeitsthemen.

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Im Rahmen der Digitalisierung richten wir immer mehr papierlose Prozesse ein. Stephan Bongwald, Nachhaltigkeitsbeauftragter der Barmenia

Das leistet sich nicht jedes Unternehmen. "Die vielen nachhaltigen Projekte wären anders gar nicht mehr zu stemmen gewesen", erinnert sich Bongwald. Und jetzt meistert er alles ganz alleine? "Nein, einige Fachbereiche waren damals schon nachhaltig unterwegs. In meiner Funktion ging es darum, das Thema stärker zu bündeln und strategisch auszurichten. Ich habe zwar keine Mitarbeiter, aber auf der anderen Seite mittlerweile ein Team von 3.800 Leuten", sagt er und meint damit, dass das Thema Nachhaltigkeit in der Barmenia bei fast allen Mitarbeitern angekommen ist und gelebt wird.

Denn von Anfang an war für die Barmenia klar, dass der Weg zur Klimaneutralität nicht über Verbote, sondern nur über Sensibilisierung funktionieren kann, um nachhaltig Veränderungen zu bewirken. "Außerdem wollten wir nicht einfach Emissions­zertifikate kaufen. Vielmehr wollten wir analysieren, wo und wie sich CO2 reduzieren und zuletzt erst kompensieren lässt."

Das schien anfangs sehr ambitioniert. Wenigstens waren bei der gerade neu gebauten Hauptverwaltung bereits ökologische Aspekte berücksichtigt: Sie hat kaum Klimaanlagen, sondern moderne Belüftungssysteme und hohe Tageslichtfenster, um künstliches Licht zu reduzieren. Die Umstellung auf Ökostrom im Jahr 2013 brachte zudem eine immense Ersparnis an CO2.

Schon 2015 kompensierte Barmenia den CO2-Ausstoß der Hauptverwaltungen in Höhe von 2.294 Tonnen. Allein diese Zahl zu ermitteln war laut Bongwald eine echte Herausforderung. "Wir haben einen sehr guten Status quo erreicht. Deshalb ist eine weitere Vermeidung von CO2-Emissionen aus eigener Kraft schwierig, auch wenn die Bilanz für 2018 bei 1.654 Tonnen liegt. Vielmehr kann der Ausschlag – bei einem harten Winter oder wenn unvermeidbare Fernreisen getätigt werden müssen – auch einmal wieder nach oben gehen", ergänzt er.

Der Versicherer kann trotzdem mehr als zufrieden sein. Es ist viel passiert in den letzten acht Jahren. Unter anderem beim Thema Geschäftsreisen. Der Barmenia-Fuhrpark zählt ohnehin nur zwölf Fahrzeuge, darunter ein Elektroauto. Die interne Reiserichtlinie wurde überarbeitet. Mittlerweile gibt es die klare Empfehlung, die Bahn statt ein Mietauto zu nutzen. Aber auch hier: ohne Verbote zu erteilen. Vielmehr appelliert die Barmenia an den gesunden Menschenverstand der einzelnen Mitarbeiter und hat gleich die CO2-Angaben von Flügen ins Reisetool integriert. Da fragt die Reisestelle oder der Vorgesetzte schon mal nach, ob der Flug wirklich nötig ist. Die Entscheidung bleibt aber beim Mitarbeiter. Um das nahezu CO2-neutrale Reisen mit der Bahn zu unterstützen, sind Dienstreisen in der 1. Klasse freigegeben.

Rad statt Auto, vergünstigte Mitarbeiter-Tickets für den ÖPNV, E-Mobilität – die Barmenia-Mitarbeiter werden regelmäßig über Infostände, Workshops, die Mitarbeiterzeitung und einen Nachhaltigkeitstag auf dem Laufenden gehalten und zum Mitmachen animiert. Zusätzlich zu zwei Renault Kangoo Z.E. als Kurierfahrzeugen installierte Barmenia schon 2013 zwei Ladestationen für die Mitarbeiter.

Der Geschäftsreiseverkehr sank von 1,63 (2015) auf 1,57 Millionen Kilometer (2018) jährlich. Die umweltfreundlichsten Dienstreisen sind aber nach wie vor die, die man gar nicht erst antritt. Deshalb forciert die Versicherung Videokonferenzen und 370 Kollegen können von zu Hause aus arbeiten. Dabei stellt Barmenia die komplette Infrastruktur, vom Telefon über den Rechner bis hin zum Schreibtisch und Stuhl. Auch mobiles Arbeiten per Laptop ist möglich. »Im Rahmen der Digitalisierung richten wir immer mehr papierlose Prozesse ein«, sagt Bongwald.

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Die Barmenia in Wuppertal gleicht ihre CO2-Emissionen durch Zertifikate aus.

Die Mitarbeiter sollen aber nicht nur dienstlich weniger reisen. Wäsche- und Paketdienste entlasten Mitarbeiter und Umwelt. Denn statt zu 100 verschiedenen Adressen fährt der Paketzusteller damit nur zur Barmenia. "Das hat aber alles auch Grenzen, man darf das Thema nicht überstrapazieren", weiß Bongwald. Das einst eigene Label "Nachhaltigkeit" gibt es daher nicht mehr. »Wir haben über vieles diskutiert. Wenn man aber anfängt, auf Rechner im Stand-by-Modus Zettel mit der Aufschrift 'Bitte ausschalten' zu kleben, wird’s nervig." Und man könne auch nicht einfach auf jede Dienstreise verzichten.

"Trotz aller Maßnahmen zur Reisevermeidung müssen unsere Mitarbeiter weiterhin häufig persönlich vor Ort sein. Etwa bei Beratungsgesprächen oder sensiblen Finanzgeschäften«, sagt der Nachhaltigkeitsexperte. Und wenn ein Mitarbeiter fliegen statt Bahn fahren wolle, einfach weil er schneller wieder zu Hause bei der Familie sein will, so könne das auch ein Argument sein. Zumal eine Hotelübernachtung ebenfalls in die CO2-Bilanz einfließen müsste. Die Lösung der Barmenia: Augenmaß und bewusste Entscheidungen, immer vor dem Hintergrund der drei Säulen der Nachhaltigkeit: der ökologischen, ökonomischen und sozialen. Alle Geschäftsreisen kompensiert die Barmenia über Emissionszertifikate. Dass Kosten dafür anfallen, wissen die Mitarbeiter.

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Bongwald fasst die zentralen Grundsätze bei unternehmerischem Engagement in Sachen Nachhaltigkeit zusammen: "Man muss alle Beteiligten abholen, denn alleine bewegt man nur punktuell etwas, nicht strategisch. Man darf die Mitarbeiter nicht bevormunden. Vielmehr muss man sich im Dialog austauschen und vernetzen, auch auf politischer und externer Ebene. Kurz: Man muss immer dranbleiben und Ziele sowie Maßnahmen regelmäßig neu überdenken." Das Umweltmanagement-Team hat die Barmenia übrigens abgeschafft. Weil es unnötig wurde. Die Prozesse und Strukturen für einen direkten Austausch stehen und die Mitarbeiter sind sensibilisiert. "Das Thema ist bei uns inzwischen so verankert, dass uns sogar Bewerber im ersten Gespräch schon darauf ansprechen", berichtet Bongwald.