Behindertengerechter Umbau Joystick statt Lenkrad

Paravan-Lenksystems, Mercedes V-Klasse Foto: UlrichStudios 3 Bilder

Menschen mit Handicap müssen nicht auf Mobilität verzichten. Der Spezialumbauer Paravan
verbaut in Mercedes Sprinter, V-Klasse und Citan ein spezielles Lenksystem.

Auto fahren ist weit mehr als ein Stück Lebensqualität. Es ist auch Arbeitsgrundlage und essenziell für ­eine Vielzahl von Berufen. Doch was ist, wenn ein Arbeitnehmer in seiner Physis eingeschränkt ist, sei es durch Krankheit oder durch einen Arbeitsunfall? Muss ein Unternehmen deshalb auf einen wert­vollen Mitarbeiter verzichten?

Keinesfalls, wie Paravan beweist. Seit  2005 arbeitet das Unternehmen an technischen Möglichkeiten, Menschen mit körperlichen Einschränkungen die Fahrerlaubnis wieder zu ermöglichen. Dass das 140 Mitarbeiter starke Unternehmen mit Sitz in Pfronstetten-Aichelau eine echte Innovationsschmiede ist, zeigt das computergesteuerte Lenksystem Space Drive II, für das die Schwaben mehrfach ausgezeichnet wurden, darunter mit dem deutschen Service-Innovationspreis 2014. Ein Jahr später folgte der Ritterschlag durch die Industrie: Paravan wurde offizieller Aufbaupartner von Mercedes-Benz Vans

Der Fahrer lenkt, beschleunigt und bremst mit dem Joystick

Herzstück des Paravan-Lenksystems sind drei parallel arbeitende, digitale Rechen-einheiten (CPUs), die die Verbindung zwischen System- und werksseitiger Fahrzeugtechnik über Schnittstellen regeln und überwachen. Diese steuern empfindliche Servomotoren, die für den Fahrer alle Steuerbefehle am Fahrzeug ausführen. Statt Pedalen und Lenkrad steuert der Fahrer Joysticks in der linken und rechten Hand, über die er die Mercedes Vans beschleunigt, bremst und lenkt. Laut Paravan liefern die Servomotoren genug Kraft für fast jeden Fahrzeugtyp.

"Wir haben das Space-Drive-System vor geraumer Zeit sogar in einem Mercedes Unimog verbaut", berichtet Ale­xander Nerz, Marketing-Leiter bei Paravan. Dabei handelte es sich um eine Eingliederungsmaßnahme der Stadt Tuttlingen, die mit dem Umbau des Kommunal­fahrzeugs einem langjährigen Mitarbeiter mit unfallbedingter Beinversteifung den Wiedereinstieg ins Berufsleben ermöglichte. Umbauten dieser Art werden von öffentlichen Stellen teilfinanziert.

Funktionen lassen sich per Knopfdruck ausschalten

Paravan verfügt über ein breites Angebot an Steuerungsmöglichkeiten, die von einem kombinierten Gas- und Brems­hebel über Lenkhilfen wie einem Mini-Lenkrad oder einem Joystick bis hin zu Sprachsteuerungen reichen. Diese Plug-in-Module werden über CAN-Schnittstellen des Fahrzeugs mit dem Space-Drive-System verbunden. Die einzelnen Module sind systemübergreifend kompatibel, was ein Austauschen einzelner Bedien­elemente ohne erneute Kalibrierung des Systems ermöglicht. So kann die Steuerung von Sprinter, V-Klasse und Citan individuell konfiguriert und an die Körperbehinderung des Fahrers angepasst werden – auch wenn dessen Krankheitsbild sich einmal ändern sollte. Interessant für Fahrer ohne physische Einschränkung: Das Space-Drive-II-System lässt sich komplett deaktivieren, sodass Begleitpersonen Lenkrad und Pedale wie gewohnt bedienen können.

Das empfiehlt sich auch, denn das Steuern eines Fahrzeugs mit dem Space-Drive-II-System erfordert einiges an Übung und Fingerspitzengefühl. Bei ­einer Testfahrt mit einem umgebauten Sprinter brauchte es einige Testrunden, um das Fahrzeug ohne Rempler durch den eng gesteckten Pylonen-Kurs zu manövrieren. Die Sensibilität der Joysticksteuerung passt sich automatisch an die Fahrgeschwindigkeit an, sodass der Sprinter in der City wie auf der Autobahn präzise gesteuert werden kann.

Nicht ohne Grund bedarf es also einiger Fahrstunden und einer abschließenden Fahrprüfung, um die Steuerung nutzen zu dürfen. Eine Herausforderung, der sich die Klienten von Paravan laut Nerz zugunsten von Lebens- und Arbeitsqualität nur allzu gerne stellen

Der Staat zahlt mit

Die Voraussetzungen für die finanzielle Unterstützung bei der Anschaffung ­eines behindertengerechten Umbaus sind in Paragraf 20 des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) und in der Kraftfahrzeug-Hilfeverordnung (KfzHv) geregelt. Ansprechpartner sind hierbei:

  • Bundesagentur für Arbeit (zum Erhalt des Arbeitsplatzes)
  • Berufsgenossenschaft (bei nachgewiesenem Berufsunfall) 
  • Deutsche Rentenversicherung Bund
    (wenn mindestens 15 Jahre Beiträge gezahlt wurden)
  • Bundesarbeitsgemeinschaft der Integra­tionsämter und Hauptfürsorgestellen (BIH), für Beamte und Selbstständige
  • Unfallversicherung des Geschädigten

Die Paravan-Fahrschule

Um körperlich beeinträchtigten Autofahrern den Wiedereinstieg in den Straßenverkehr zu ermöglichen, bietet Paravan neben Fahrzeugumbauten auch Umschulungen auf das Space-Drive-II-System an. Voraussetzung ist eine Fahreignungsbegutachtung, die ein amtlich anerkannter TÜV- oder Dekra-Sachverständiger nach Paragraf 11 der Fahrerlaubnis-verordnung (FeV) am Firmensitz oder an der hauseigenen Fahrschule in Heidelberg durchführt. Dort hilft Paravan bei ­allen anfallenden Formalitäten vom medi­zi­nischen Gutachten über die abschließende Fahrprüfung bis hin zur Festlegung der Auflagen und den entsprechenden Eintrag in den neuen Führerschein.