Interview mit Dr. Eckhard Scholz "Der Crafter fährt sich wie ein großer Golf"

Dr. Eckhard Scholz Foto: Thomas Kueppers 2 Bilder

VW Nutzfahrzeuge-Vorstandschef Dr. Eckhard Scholz über die Qualitäten des neuen Crafter.

Herr Dr. Scholz, die neue Crafter-Generation ist die erste ohne den Kooperationspartner Mercedes. Worauf lag der Fokus bei der Neuentwicklung?

Dr. Scholz: Auf den klassischen Eckpfeilern: Motor, Laderaum und Technik. Wir hatten den Crafter schon im Hinterkopf, als wir am neuen T6 arbeiteten. Der Motor etwa wurde bereits für den Transporter komplett neu entwickelt. Weil er ein breites Leistungsspektrum abdeckt, können wir ihn jetzt auch im Crafter einsetzen. Der Zweiliter-Diesel ist nun wesentlich robuster. Beim Laderaum müssen die Geometrien stimmen. Wir haben beispielsweise die seitlichen Schiebetüren nochmals vergrößert. Durch den Frontantrieb konnten wir die Ladehöhe um zehn Zentimeter absenken, was wiederum das Lade- volumen erhöht. Einen wichtigen Schritt machen wir mit der elektromechanischen Lenkung. Die ist deutlich präziser. Der Crafter fährt sich jetzt wie ein großer Golf. Und wir holen damit elektronische Unterstützer wie den Seitenwind-, den Spurhalte- und den Anhängerassistenten ins Fahrzeug.

Sind die Assistenzsysteme für den normalen Handwerksbetrieb überhaupt bezahlbar?

Die Aufpreise werden nicht höher sein als bei Pkw. Wir wollen keine Hürde zu den Assistenzsystemen aufbauen. Die Investition soll sich für den Kunden lohnen. Es geht ja in erster Linie um die Sicherheit des Menschen. Außerdem nimmt der Transporter mit Assistenzsystemen weniger Schaden. Er verliert dadurch weniger an Wert und hat weniger Ausfallzeiten. Das ist der kostenseitige Aspekt. Die Wahl der Assistenten hängt sicherlich von der jeweiligen Branche und dem Einsatzzweck ab. Wenn ein Fahrer mit dem Crafter häufig rückwärts aus einer Einfahrt fahren muss, dann kann er jetzt über zwei Kameras am Heck den seitlichen Verkehr auf seinem Bildschirm einsehen. Sollte er doch etwas übersehen, greift der Notbremsassistent ein.

Die Kurier-Branche nehmen Sie mit dem e-Crafter besonders ins Visier. Wann ist der Elektro-Transporter bestellbar?

Es gibt eine ganze Reihe an Kurier-Dienstleistern, die lieber heute als morgen einen e-Crafter bestellen würden. Unser Volumenfahrzeug ist aber der L3H2 mit Dieselmotor. Mit diesem Modell starten wir im November den Vorverkauf. Bis wir alle Derivate in der Produktion haben, dauert es noch bis Anfang 2018.  Die ersten e-Crafter gehen in der zweiten Jahreshälfte 2017 in Kundenhand

Was wird der e-Crafter kosten?

Es ist wichtig, die gesamten Betriebskosten im Auge zu behalten. Der Anschaffungspreis liegt definitiv über dem eines Crafter mit Verbrennungsmotor. Dafür sind die Verschleiß- und Wartungskosten geringer. Wo genau der Break Even Point bei den TCO erreicht ist, muss individuell kalkuliert werden. Die Elektromobilität wird kommen, das ist ganz klar. Es braucht aber weitere Unterstützung in Form von Förderprogrammen von Bund und Ländern, damit die Verbreitung schneller voranschreitet.

Ist der Elektroantrieb auch für Caddy und Transporter angedacht?

Auf jeden Fall. Auch unsere anderen Modelle werden in der nächsten Generation sukzessive elektrisch. Wir dürfen allerdings nicht glauben, dass wir auf den Verbrenner verzichten können. Der Großteil unserer Kunden wird weiterhin nichts Besseres wählen können als den Dieselmotor. Es wird Kundengruppen geben, wie die Kurier-Branche, da wird der Anteil an Elektro-Transportern signifikant zunehmen. Es wird aber auch Kunden geben, die noch in 20 Jahren mit einem Verbrenner fahren. Der Diesel bleibt eine zukunftsfähige Technologie, wir müssen allerdings unsere Hausaufgaben machen, um den immer strengeren gesetzlichen Bestimmungen gerecht zu werden.

Warum haben Sie sich MAN als Kooperationspartner ins Boot geholt und wie teilen sich die beiden Marken den Markt auf?

Wir können so die Profitabilität des Projektes steigern. MAN kam daher wie gerufen, es ist schließlich eine Marke aus dem gleichen Konzern. MAN ist vom Klientel auf große Tonnagen eingestellt, also beispielsweise  auf schwere Baustellenfahrzeuge oder schweren Fernverkehr. VW kommt stärker aus dem Kurier-Bereich und dem Langstreckeneinsatz. Wir ergänzen uns daher. Von MAN kamen außerdem wichtige Impulse bei der Entwicklung des Crafter. Da zahlt sich die Erfahrung bei schweren Nutzfahrzeugen aus

Wie viele Fahrzeuge planen Sie pro Jahr?

Für 2017 sind 60.000 Crafter geplant. 2018 wollen wir uns auf insgesamt 80.000 steigern. Wir haben einen starken Wettbewerb und müssen Marktanteile gewinnen. Wir beobachten auch Märkte, die wir bislang nicht bedienen. Der Crafter hat das Potenzial, sich international zu etablieren. Das Segment der 3,5-Tonner ist heute fast eins zu eins in Südamerika zu finden. Das ist sicherlich eine Option, die wir im Auge behalten. Wir sehen auch, dass sich die europäischen Konzepte mehr und mehr in den USA durchsetzen.

Wie sieht die aktuelle Auftragslage aus?

Wir liefern bei all unseren Fahrzeugen mehr aus als im Vorjahr. Noch zufriedener sind wir mit den Auftragseingängen. Auch wenn der neue Crafter kurz vor dem Marktstart steht, bleiben die Bestellungen konstant hoch. Beim Transporter haben wir im Vergleich zum Vorjahr sogar eine Steigerung um insgesamt 26 Prozent. Auch der Caddy läuft hervorragend.

In den vergangenen beiden Jahren hat VW Nutzfahrzeuge alle vier Modelle neu aufgelegt. Worauf konzentrieren Sie sich jetzt?

Eine große Rolle spielt künftig die Fahrzeugvernetzung. Im Nutzfahrzeugbereich entwickeln wir Mobilitäts- und Servicelösungen, mit denen sich das Geschäft unserer Kunden optimieren lässt. Mit dem cloudbasierten System RIO bieten wir schon ein hochinteressantes Dienstleistungsprodukt an. Wir arbeiten schon seit Wochen mit MAN gemeinsam an diesem Thema. Die Idee einer offenen Plattform ist unglaublich spannend. Mit RIO bekommen sie alle Anwendungen unter einen Hut

Crafter ist van of the year

Kaum da, schon ausgezeichnet: Der neue Crafter darf sich mit der Auszeichnung "International Van of the Year" schmücken. Die aus 24 Ländern bestehende Jury um ihren Vorsitzenden Jarlath Sweeney hat VW Nutzfahrzeuge-Chef Dr. Eckhard Scholz auf der IAA den Preis übergeben. "Der Crafter hat den 1. Preis nach Meinung der Jury verdient gewonnen", sagte Sweeney. Das Fahrzeug sei besonders auf hohe Kundenanforderungen ausgelegt. Das zeichne es besonders aus.

Mehr zum neuen Crafter unter www.etm.de/crafter

Dr. Eckhard Scholz

  • Dr. Eckhard Scholz ist seit Juli 2014 Vorsitzender des Vorstands bei VW Nutzfahrzeuge.
  • Scholz ist Diplom-Ingenieur und seit 1991 für VW in unterschiedlichen Funktionen tätig.
  • Zuletzt war Scholz seit April 2007 Entwicklungsvorstand in der Skoda-Unternehmensleitung und seit September 2012 Sprecher des Markenvorstands und Vorstand für Entwicklung bei VW Nutzfahrzeuge.