Die S-Klasse ist bei Mercedes Technologie-Vorreiter und für andere Hersteller Benchmark. Mit neuen Motoren, ausgefeilterer Technik und einem neuen Wellness-Gedanken soll sie die Konkurrenz erneut in den Schatten stellen.
Auf der Geraden spüren wir noch nichts. Auch als die Limousine mit knapp 50 km/h in eine langgezogene Landstraßenkurve eintaucht, merken wir keinen Unterschied. "Wenn wir etwas schneller fahren können, dann fühlt man es", versichert Fahrwerk-Entwickler Kai Krasselt vom Beifahrersitz aus. Der Verkehr vor uns löst sich auf, wir können aufs Gas drücken und nehmen die nächste Kurve schneller, mit rund 80 Sachen. Statt wie gewöhnlich leicht nach außen zu knicken, zieht die zwei Tonnen schwere S-Klasse horizontal durch die Kurve. Immer noch weich gefedert, aber eben kein Wanken zur Seite. Als ob die Karosse, losgelöst vom Fahrwerk, über dem Boden schweben würde. Überspitzt ausgedrückt, legt sich das Auto wie ein Motorradfahrer in Kurven hinein. Allerdings nur minimal geneigt, maximal 2,65 Grad.
Stärkster Diesel in der Mercedes-Geschichte
Hinterm Steuer lässt sich der sogenannte Curve-Modus am deutlichsten erfahren: Normalerweise drücken uns die Fliehkräfte in die Sitzwangen und wir umgreifen angespannt das Lenkrad, wollen unseren Körper im Sitz halten, was auf Dauer anstrengt und ermüdet. Doch der Mercedes pumpt mit 200 bar Öl in die Hydraulikzylinder der vier Federbeine und verstellt so die Fußpunkte der in den Federbeinen integrierten Stahlfedern. Im Bruchteil einer Sekunde berechnet die S-Klasse aus verschiedenen Beschleunigungssensoren, wie weit das Fahrzeug auf der einen Seite angehoben, auf der anderen Seite abgesenkt werden muss. "Anfangs fühlt sich die Kurve ganz anders an. Doch daran gewöhnt man sich schnell" sagt Krasselt. Vier, fünf Kurven und wir sind drin. Ein absoluter Komfortgewinn. Vor allem, wenn die S-Klasse als Chauffeur-Wagen für die Vorstandsriege eingesetzt wird und der Chef hinten rechts in Ruhe arbeiten möchte.
Die Kurvenneigefunktion ist nur eine von vielen Neuerungen an der S-Klasse. "Noch nie war eine Modellpflege so aufwendig", blickt Entwicklungschef Hermann Joseph Storp zurück. "Nur wer in vielen Details top ist, kann nachher sagen, dass er ein Auto gebaut hat, das Benchmark in seiner Klasse ist." Im Vergleich zum Vorgängermodell tauschte Mercedes insgesamt 6.500 Bauteile. Ein Großteil dürfte für die drei komplett neuen Motoren draufgegangen sein. Der Reihen-Sechszylinder-Diesel leistet 286 PS im S 350 d. Der S 400 d kommt sogar auf 340 PS, er ist der stärkste Diesel den Mercedes je hatte. Wir brausen im S 400 d 4matic über die Landstraße. 700 Nm Drehmoment drücken so vehement auf die Kurbelwelle, dass selbst der S-Klasse-Schrank gelassen in Fahrt kommt (in 5,2 Sekunden auf 100 km/h). Er strotzt in jeder Fahrsituation vor Kraft. Diesel-Abstinenzler müssen sich etwas gedulden. Den Plug-in Hybriden mit 50 km elektrischer Reichweite schiebt Mercedes erst im Herbst nach.
Reihensechszylinder mit elektrischem Zusatzverdichter
Oder Sie greifen zum normalen Benziner, auch den hat Mercedes elektrifiziert. Auf den neuen Reihen-Sechser mit 48-Volt-Bordnetz-Unterstützer sind die Schwaben mächtig stolz. Denn die ohnehin schon 367 und 435 PS starken S 450 und S 500 werden kurzfristig mittels integriertem Starter-Generator um 250 Nm und 22 PS gepusht. Zusammen mit dem elektrischen Zusatzverdichter schiebt der Dreiliter-Motor schon aus dem Drehzahlkeller kräftig an. Im Eco-Modus schaltet sich der Verbrenner streckenweise ab, der Benz segelt, wovon wir hinterm Steuer überhaupt nichts mitbekommen. An der Zapfsäule aber sehr wohl. Mercedes verspricht beim Dreiliter-Benziner einen Verbrauch von 6,6 Litern. Eine Einsparung von 22 Prozent gegenüber dem Achtzylinder des Vorgängers.
Abschalten kann auch der 469 PS starke Biturbo-V8 im S 560 – zumindest teilweise. Im Teillastbereich stehen dank neuer Ventilsteuerung vier Zylinder still. In der AMG-Version S 63 4matic+ bringt es der Vierliter-V8 auf 612 PS. Toppen kann das nur der Zwölfzylinder, der im S 600 530 PS und im AMG S 65 satte 630 PS leistet. Um Ihnen die AMG-Kraft mit einer Zahl zu verdeutlichen: In 3,5 Sekunden durchbricht der AMG S 63 die 100-km/h-Marke.
Touchflächen am Lenkrad und ein Lenkstockhebel weniger
Hand aufs Herz: Wer nutzt schon solch eine katapultartige Längsbeschleunigung? Das macht das dicke Schiff auch nicht zum Sportwagen. Was die S-Klasse so gut wie kaum ein anderer kann: komfortabel Cruisen. Und um es uns noch angenehmer zu machen, führt Mercedes das Wellness-Programm auf Knopfdruck ein. Energizing Komfortsteuerung nennt es Mercedes. Je nach Gemütslage können wir aus sechs Programmen wählen: von Freude über Wärme bis hin zu Vitalität. Die nächsten zehn Minuten stimmt die S-Klasse Belüftung, Musik, Massage in den Sitzlehnen und die Innenraumbeleuchtung aufeinander ab. Einen sinnhaften Unterschied können wir jedoch nicht ausmachen, fühlen uns bei jedem Programm wohl. Immerhin nimmt uns der Wagen die Wahl der 64 Farben umfassenden Ambientebeleuchtung ab. Denn ein paar falsche Klicks und schon schimmert der Benz bunt wie eine billige Shisha-Bar.
Leicht von der Hand geht die Menüsteuerung der beiden riesigen Displays. Die hat Mercedes wie in der E-Klasse miteinander verbunden. Vom kleinen Bruder übernimmt die Oberklasse auch die Touchflächen an den Lenkradtasten. Obwohl die lediglich so groß wie Telefontasten sind, kommen wir damit gut zurecht. Den Abstandstempomaten stellen wir nun ebenfalls über Lenkradtasten ein, der Lenkstockhebel gehört der Vergangenheit an. Gut so, nur all zu oft griffen wir im Vorgängermodell versehentlich zum Blinkerhebel. Und der Abstandstempomat kann nun auch mehr. Indem er nicht nur per Kamera Verkehrsschilder und Tempolimits erkennt, sondern auch zusätzlich auf das Kartenmaterial der Navigation zugreift, bremst er beispielsweise vor Kurven und Kreisverkehren eigenständig ab. Wir deaktivieren den Assistenten also nicht jedes mal durch aktives Bremsen, können Kurven beruhigt an- und eben auch wankstabil durchfahren.