Mercedes W 110/111 Flossen hoch

Mercedes W 110/111 Foto: © Archiv 3 Bilder

Ende der 1950er Jahre brachte Mercedes den W110 heraus. Statt der sicheren Fahrgastzelle mit Knautschzone stach den damaligen Betrachtern ein ganz anderes Merkmal ins Auge: die Heckflosse.

Coca-Cola, Hamburger, Rock ’n’ Roll – der American Way of Life war Ende der fünfziger Jahre auch in Europa angekommen. Leben wie die Amis galt als chic. Und auch die Autos huldigten den Trends aus den USA. Riesige Auswüchse am Heck zierten die US-Straßenschiffe jener Zeit. Dahinter wollte man sich auch in Stuttgart nicht verstecken und verpasste 1959 dem W 110 zwei stramme Heckflossen.

Heckflossen zu Peilstegen degradiert

Die gaben der Baureihe ihren Spitznamen, gerieten aber so heftig, dass man verschämt zu abenteuerlichen Argumenten griff: "Peilstege" seien sie, die nur zum besseren Einparken dienten. Aha. Doch ein Schlag ins Wasser waren die Flossen nicht, die Deutschen nahmen das Angebot dankend an. Vor allem das Taxigewerbe peilte die Kundschaft auffallend oft mit einem 190er-Diesel an.

Fakt ist, dass der Wagen zu der Zeit der einzige selbstzündende Pkw aus Deutschland war. Angesichts der 55 PS für 1,3 Tonnen zwar weitgehend beschleunigungsresistent, doch selbst Spötter mussten anerkennen, dass der Wagen solide und bequem war – eine Art Bausparvertrag auf Rädern. Wer einen hatte, stellte etwas dar und fuhr zudem in einem echten Innovationsträger.

Die Mutter der S-Klasse

In der vierzylindrigen "kleinen Flosse" W 110) und in der "großen Flosse" (W 111) hatte Béla Barényi, der Sicherheitsingenieur aus dem Hause Benz, erstmals sein Knautschzonenpatent mit Fahrgastzelle umgesetzt. Der W 111 mit stehenden Scheinwerfern vor der schier endlosen Haube gilt heute als Mutter der S-Klasse. Wer den Stern am Bug vom Lenkrad aus noch sah, hatte den Sehtest bestanden, witzelten die Stammtische. Galgenhumor – solche Sechszylinder lagen außerhalb jeglicher (finanziellen) Sehweite des gemeinen Gasthausbesuchers.

Wenn, dann standen sie auf den besseren Parkplätzen vor den Firmeneingängen. Herr Direktor selbst fuhr meist einen 300 SE, sein Prokurist vielleicht einen 200er. Doch auch fürs Fußvolk ging der Traum vom Mercedesfahren manchmal in Erfüllung. Wenn auch erst auf der letzten Reise. Binz und Miesen boten gediegene Bestattungswagen an. Flossen hoch also zum letzten Gruß.