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Blick ins Mia-Werk in Cerizay Hier entstehen 12.000 E-Autos

Reportage, Mia-Produktion, Panorama, Produktionshalle Foto: Gugu Mannschatz 10 Bilder

Tief im Westen Frankreichs baut Mia seit Juli Elektroautos. In Stückzahlen, von denen man hierzulande noch träumt. 12.000 sollen es schon nächstes Jahr werden.

Ein Blick über den Tellerrand lohnt immer. Im Falle Mia geht er besonders weit – einmal quer durch Frankreich bis tief in die Charente. Das Örtchen Cerizay liegt im Nirgendwo zwischen Nantes und Bordeaux, 100 Kilometer landeinwärts vom Atlantik. Ein Hotel, eine Bäckerei, ein Tabakgeschäft. Und eine riesige Autofabrik. Heuliez, der traditionsreiche Autobauer, fertigte hier acht Jahrzehnte lang Sonderfahrzeuge. Kombis von Citroën stammten von hier, Krankenwagen, Cabrios und Rennwagen ebenso. Aber eben auch Elektroautos. Peugeot 106 und Citroën Saxo Electrique waren die zarten Anfänge dieser Technik aus dem PSA-Konzern, entstanden in Cerizay. Trotz oder gerade aufgrund solcher Innovationen ging Heuliez finanziell die Luft aus. Das Ende war der Anfang von Mia.

Der saarländische Pharmaunternehmer Edwin Kohl suchte vor gut zwei Jahren Elektroautos für seine Flotte, fand am Markt aber nichts Passendes. Er beschloss, sie selbst bauen zu lassen und übernahm die Sahnestücke des insolventen Herstellers.

Sie sagen "die Mia". Es klingt, als sprächen Väter von ihren Töchtern

Seitdem wird ausgemistet und renoviert, was das Zeug hält. Ein neuer Verkehrskreisel regelt die Zufahrt, Graffiti-Künstler haben die Fabrikmauern bemalt, das Werkstor erstrahlt in neuem Glanz, Freiflächen und Parkplätze sind frisch asphaltiert. Ex-Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal stammt aus der Gegend, es ist ihr Wahlkreis und die Wirtschaftsregion ist am Unternehmen beteiligt. Nicht weniger vorzeigbar als die äußeren Umstände sind die Macher hinter dem Projekt, das längst kein Projekt mehr ist. Strategie- und Designchef ist Murat Günak, hierzulande bekannt als ehemaliger Designleiter in Diensten von Mercedes und VW. Unser Interview mit ihm lesen Sie hier: Murat Günak - "Elektromobilität muss vorstellbar sein". Ein Blick in seine Abteilung lässt erahnen, warum hier manches so anders erscheint als bei den etablierten Autobauern dieser Welt: Hier wurde ausschließlich ein Elektroauto entwickelt, kein Derivat konventioneller Modelle.

"Wir haben mit einem weißen Blatt Papier angefangen und uns immer wieder die gleiche Frage gestellt: Was braucht ein Kunde wirklich, um in der Stadt mobil zu sein", sagt Günak. Ihm zur Seite steht unter anderem David Wilkie, schottischer Designer mit großen Erfolgen in italienischen Studios. Seit Kurzem bietet Mia auch Studenten der Design-Hochschule Pforzheim die Möglichkeit eines Praxissemesters an. Die Leute arbeiten an Realmodellen und virtuell am Bildschirm. Eine gerahmte Glaswand trennt das Studio von einer drehbaren Bühne, auf der ein Auto kreist wie ein Modepüppchen auf dem Laufsteg. Die Mia nennen sie das Auto. Nicht der Mia. Es klingt, als sprächen Väter von ihren Töchtern.

Wie also wird sie gebaut, die Mia? Blitzsauber ist es in der neuen Produktionshalle, der Boden spiegelt fast. In Zehnmeterabständen fahren die in Monocoque-Bauweise gefertigten Stahl-Chassis durch einen Tunnel des alten Heuliez-Presswerks auf einem Förderband hierher. Anschließend durchlaufen sie fest zugewiesene Gruppenarbeitsstationen mit einer Teilezufuhr im Kanbansystem. Das heißt, jede Arbeitsgruppe bedient sich aus eigenen Materialvorräten am Einbauort. Die Körbe und Kisten selbst werden nach vorgegebenen Rhythmen immer wieder aufgefüllt. Die Fertigungstiefe ist erwartungsgemäß flach. Die Teile eines Elektroautos baut man nicht selbst, sondern fügt sie zusammen. Die Sitze kommen aus Rumänien, die Bremstechnik aus Deutschland, die etwa 100 Kilo schweren Batterien aus England und Frankreich. Die Liste der Zulieferer ist lang.

Am Schluss steht ein Produkt, das genauso europäischen Sicherheits- oder Garantiebestimmungen entsprechen muss wie jedes andere Auto auch. Die Hochzeit, also die Zusammenführung von Chassis, Elektroantrieb und Karosserie ist eine klebrige Angelegenheit. Nähte werden ionisiert, anschließend verklebt, die Karosserieteile nur an wenigen Stellen verschraubt. Leichtbauweise in Reinkultur. Einer der wenigen Roboter am Band presst zuvor die Scheiben in die dafür vorgesehenen Aussparungen der Karosserieteile. Ansonsten überwiegt Handarbeit. Jeder Arbeitsschritt sitzt, es wirkt wie Routine.

Richard Deslandes, Frankobrite mittleren Alters, gesellt sich dazu. Er ist zuständig für den Vertrieb der Autos in Großbritannien und möchte geduzt werden. Wie es denn in Deutschland so liefe mit der Elektromobilität, will er nicht ohne Ironie wissen. In England jedenfalls fände man das Thema sehr sexy, sagt Richard. Mit britischem Humor berichtet er von den Verkehrs- und Luftzuständen in London. Autos wie die Mia könnten daran etwas ändern, meint er und schreitet stolz voran in die Halle der Endkontrolle, wo sich Auto an Auto reiht. Drei Versionen gibt es: den Dreisitzer, die viersitzige Langversion "L" und den Kleintransporter "U". Das Ganze in exakt drei Farben Carbon, Weiß und Alu. Das Leben kann so einfach sein.

Drei Versionen, drei Farben. Das Leben kann so einfach sein

Jedes fertige Auto muss über den Bremsenprüfstand, auf die Rüttelbahn und am Schluss in eine Nasszelle zur Dichtheitsprüfung. Ob sie hier generell noch ganz dicht sind – die Frage scheint legitim. 2.500 Mia wollen sie bis Ende des Jahres nach nur sechs Monaten gebaut haben. Wer um alles in der Welt soll die kaufen? "Die sind bereits verkauft", meint Richard trocken und zählt Beispiele auf. Allein die Stadt La Rochelle hat gerade erst 200 Stück für ihren Fuhrpark geordert. Anfragen kämen mittlerweile aus Ländern wie Kanada oder Israel. Richard zeigt auf einen Autotransporter mit deutschem Kennzeichen auf dem Freigelände. Stück für Stück verfrachtet der Fahrer die Autos auf seinen Auflieger.

Zehn Mia passen auf einen Lkw. Wer es schicker will, kann sich sein Elektroauto auch in einer hübschen Transparentbox liefern lassen. Logistisch konzipiert ist der Behälter schon mal für Straßen- und Bahntransporte gleichermaßen. Auch damit müsse man sich jetzt beschäftigten, sagt Richard. Schließlich werde man künftig 12.000 Autos pro Jahr bauen, meint er beim Abschied. Die lange Heimreise macht nachdenklich. Zehn Autostunden etwa trennen Cerizay von Deutschland. In Sachen Elektromobilität sind es womöglich Welten. 

Mia, das Unternehmen: Französische Holding unter deutscher Führung

Die Aktiengesellschaft Mia Electric SAS wurde im Juni 2010 gegründet. Im westfranzösischen Cerizay hat das Unternehmen Teile des Personals und der Anlagen des insolventen Automobilherstellers Heuliez übernommen. Die Serienproduktion des Elektroautos Mia lief dort im Juli 2011 an. Federführend entwickelt hat das Auto der Stardesigner Murat Günak. Die Mehrheitsbeteiligung an der Mia SAS halten die Merziger Kohl Pharma Gruppe und die Essener Unternehmensberatung Conenergy in Form der Mia Electric GmbH. Geschäftsführer und gleichzeitig größter Einzelaktionär ist der Pharmaunternehmer Prof. Edwin Kohl. In Deutschland bereitet Mia derzeit die Markteinführung für Ende des Jahres vor. Vertriebspartner ist das Leasingunternehmen Athlon. Das Service- und Werkstättengeschäft werden die Filialen der Pit-Stop-Gruppe übernehmen.