Nissan IDS Der Mensch gibt die Richtung vor

Nissan IDS Foto: Nissan 10 Bilder

Es ist keine Frage mehr, ob Autos irgendwann autonom fahren, sondern wie. Nissan beschäftigt eine ganze Forschungsabteilung, die dem Roboterauto die richtigen Verhaltensparameter beibringen soll. Einen ersten Ausblick gibt das Konzeptauto IDS.

Autos bleiben selbstständig in der Spur, bremsen automatisch, halten GPS-und tempomatgesteuert die erlaubte Höchstgeschwindigkeit und sind somit längst in Richtung autonomem Fahren unterwegs. Am pilotierten Fahren wird mit Hochdruck gearbeitet, nicht nur in Deutschland. Nissans Präsident Carlos Ghosn beispielsweise hatte bereits 2013 bekannt gegeben, dass die Marke bis 2020 ein serienreifes, autonom fahrendes Auto entwickeln will.

Wie das aussehen könnte, zeigte Ghosn auf der Tokyo Motor Show Ende Oktober 2015. Dort stellte Nissan das Elektroauto IDS vor. Das Konzeptfahrzeug soll seine Passagiere nicht einfach wie ein spaßbefreiter Transportroboter von A nach B bringen, sondern sich dem Fahrstil seines Besitzers anpassen.

Autonomes Fahren ist Bestandteil der langfristigen Ziele, die Ghosn Nissan verordnete: null Verkehrstote und null Emissionen. Letzteres scheint in greifbarer Nähe. Denn dass sich E-Autos in Großserie produzieren und vermarkten lassen, hat der Nissan Leaf bewiesen. Von dem weltweit erfolgreichsten Elektro-Auto wurden in fünf Jahren 200.000 Stück verkauft. Jetzt geht es darum, Batterien zu optimieren und die nötige Infrastruktur zu errichten.

Das Auto muss einen siebten Sinn für mögliche Gefahren entwickeln

Ungleich schwieriger gestaltet es sich, den Autos die richtigen Parameter fürs autonome Fahren mit auf den Weg zu geben. Sie müssen einen siebten Sinn für mögliche Gefahren entwickeln. "Menschliche Fehler sind Ursache für 90 Prozent aller Unfälle", sagt Ghosn. "Nissan Intelligent Driving gleicht die aus und macht das Fahren sicherer."
 
Was einfach klingt, ist schwierig umzusetzen. Denn der Mensch erfasst viele Verkehrssituationen mit seinem Erfahrungsschatz und reagiert intuitiv. Man stelle sich eine enge Ortsdurchfahrt ohne Gehsteig vor, wie es sie in etlichen Dörfern der Pfalz gibt. Hofeinfahrten und Haustüren führen direkt auf die Straße. Jeder vernünftige Fahrer bremst ab, auch ohne Tempolimit. Schließlich könnte jederzeit ein Kind auf die Straße rennen. Der Computer im Auto aber muss erst lernen, die Bilder der Bordkamera richtig zu interpretieren.

Noch schwieriger fällt es der Bordelektronik, Situationen an Kreuzungen einzuschätzen. Stammt das rote Licht von einer Ampel oder ist es das Bremslicht eines anderen Autos? Wie reagiert der Junge am Straßenrand? Will die Frau mit den Tragetaschen den Bus auf der anderen Straßenseite bekommen und einfach losrennen? In den USA sind Kreuzungen mit vier Stoppstellen weit verbreitet. Wer zuerst ankommt, fährt als erster. Auch dies muss die komplexe Elektronik des Autos erkennen. Und wo geht’s lang, wenn Markierungen auf der Fahrbahn fehlen?

Pilotiertes Fahren ist so komplex, dass sich mittlerweile auch Soziologen und Verhaltensforscher damit befassen. Mitarbeiter des Nissan-Forschungszentrums im Silicon Valley analysieren Verkehrssituationen, um daraus Reaktionsmuster abzuleiten. "Ein autonomes System kann niemals ohne den Mensch funktionieren", sagt Laborleiter Dr. Maarten Sierhuis. "Es muss die örtlichen Begebenheiten erkennen und verstehen, und zwar weltweit. Denn so unterschiedlich wie die Mentalitäten sind die Fahrweisen und Reaktionen im Straßenverkehr."

Der Fahrstil darf weder zögerlich noch rasant sein

Das lässt sich einfach nachvollziehen: In Stockholm oder Kopenhagen kann ein Fußgänger fast blind darauf vertrauen, dass die Autofahrer stoppen, wenn er sich auch nur der Fahrbahn nähert. In Bangkok oder Bombay würde der gleiche Fußgänger nicht lange überleben. Was aber nicht bedeutet, dass ein pilotiertes Auto sicherheitshalber immer in die Eisen steigen sollte, sobald es einen Fußgänger am Straßenrand erkennt, sagt Die Design-Anthropologin Dr. Melissa Cefkin. Sie untersuchte Verkehrssituationen in Sao Paolo. Dort hasten ständig Horden von Passanten bei Rot über die Straße. Undenkbar, dass Autofahrer deshalb anhalten. Fußgänger und Fahrzeug arrangieren sich irgendwie, und in der Regel klappt das gut. "Wir müssen die Parameter fürs autonome Fahren den lokalen Eigenheiten anpassen und einen Mittelweg finden. Der Fahrstil darf nicht zu zögerlich, aber auch nicht aggressiv sein."
 
Das Auto muss also wissen, wann es mit welchen Situationen zu rechnen hat. Dass nachts in einem Kneipenviertel Betrunkene auf die Straße torkeln können, dass morgens um acht Uhr an einer Schule Kinder unachtsam herumrennen oder dass man in Brasilien wegen der vielen Überfälle an manchen Kreuzungen in Brasilien trotz Rot besser nicht anhält. Klar ist aber auch, dass die Forscher nicht für alle Verkehrssituation Reaktionsmuster programmieren können. "Das System muss Prinzipien erkennen und intelligent reagieren", sagt Sierhuis.

Sensoren und Kameras erkennen schon heute Gefahren schneller als der Fahrer. Allerdings abhängig von der im Auto verbauten Technik. Wie viele Fußgänger muss eine Kamera erfassen können? Und wie viel Rechnerleistung ist nötig, um die Daten zu verarbeiten? Die heute üblichen Systeme können 20, vielleicht auch ein paar mehr Menschen erkennen. Für größere Menschenansammlungen benötigt man teure Hochleistungskameras und extrem schnelle Prozessoren, die sich laut Sierhuis schnell auf 100.000 Euro addieren.

Autohersteller wollen Geld verdienen, das ist ihr gutes Recht. Doch wie viel darf ein System kosten, das im Notfall Menschenleben rettet? Welche Technik darf der Käufer erwarten? Lässt sich das nach ethischen Kriterien beantworten?

Fahrspaß fürs Roboterauto

Zusätzlich versuchen die Ingenieure von Nissan, dem Roboter-Auto eine Prise Fahrspaß einzuimpfen, damit es sich dem Fahrstil des Besitzers anpasst. Der Fahrer soll auf Knopfdruck nicht nur wie heute schon Motorsteuerung, Gasannahme und Lenkverhalten beeinflussen, sondern dem Auto auch mitteilen: "Ich habe Zeit, take it easy".

Außerdem sollte der Wagen so reagieren, wie es sein Besitzer erwartet. Also nicht abrupt in die Eisen gehen, wenn in einer engen Straße ein Auto falsch am Straßenrad parkt. Vielmehr das Hindernis in einer möglichst weichen Bewegung umfahren.
Für die Ingenieure von Nissan bedeutet pilotiertes Fahren auch, ständig mit den Verkehrsteilnehmern zu kommunizieren. So signalisiert der Nissan IDS über ein farbiges Leuchtband anderen Fahrern an einer Kreuzung "Hallo, ich habe dich gesehen". Und wenn das Zukunftsauto für einen Fußgänger stoppt, erscheint auf der Windschutzscheibe ein freundliches "Nach Ihnen".