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China wechselt Akkus Schneller als jede Ladestation

Nio Baterietausch-Station 2.0 2021 Foto: Nio

Mit Akkuwechsel-Stationen wollte das Start-up Better Place der E-Mobilität zum Durchbruch verhelfen. Und scheiterte. Mittlerweile feiert das Prinzip in China sein Comeback. Bald könnte auch Deutschland an der Reihe sein.

Fehlende Ladeinfrastruktur und lange Ladezeiten sind auch weiterhin die größten Argumente gegen ein Elektroauto. E-Autohersteller in Europa und USA halten mit teurer Schnellladetechnik sowie gigantischen Investitionen in Schnellladenetze dagegen. In China geht man mittlerweile einen alternativen Weg: Um E-Mobilität alltags- und langstreckentauglich zu machen, werden Batterietauschstationen installiert. Dieses vor fast 10 Jahren als bereits gescheitert erachtete Prinzip durchlebt derzeit im Reich der Mitte einen Boom. Und es befindet sich auf dem Sprung nach Europa.

Neu ist das Prinzip der Wechselakkus keineswegs. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts setzte man vor allem bei Elektro-Taxis auf das Prinzip des schnellen Batteriewechsels. 2007 kam es dann zu einer Rückbesinnung durch das israelische Start-up Better Place. Gründer Shai Agassi, ein ehemaliger SAP-Vorstand, hatte fast eine Milliarde Dollar bei Investoren gesammelt und in seinem Heimatland Israel ein Pilotprojekt mit Wechselstationen gestartet, dem Ableger in Holland, Dänemark und Australien folgten. Später sollte das Konzept die ganze Welt verändern, erhoffte man sich bei dem jungen Unternehmen. Mit Renault konnte man zudem einen starken Industriepartner gewinnen, der die benötigten Autos konstruierte, baute und zur Verfügung stellte. Doch bereits 2013 war Better Place pleite, Renault stellte die Produktion von Autos mit Wechselbatterie ein.

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Die nun neuerliche Renaissance des Akkutausch-Prinzips hat im großen Stil unter anderem der chinesische E-Autohersteller Nio vorangetrieben. Neben der Produktion von Autos mit modernster Akkutausch-Technik startete das Unternehmen 2020 außerdem den Aufbau von Batteriewechsel-Stationen zunächst entlang der Transitroute von Nord- nach Südchina. Bereits im April 2021 führte Nio eine zweite und verbesserte Version seiner Akkutausch-Station ein. Mittlerweile sind über 600 solcher Anlagen in China in Betrieb. Bis Ende 2025 soll ihre Zahl auf über 4.000 steigen. 1.000 davon sollen außerhalb von China entstehen.

Der Clou dieser Lösung: Kunden der Marke werden in den Stationen vollautomatisch mit Langstreckentauglichkeit versorgt. Das Auto fährt dazu in eine Art Container auf eine Montagebühne, unter der ein Roboter die im Fahrzeugboden befindliche leere Batterie löst, um anschließend eine volle einzusetzen und diese wieder fest mit dem Fahrzeug zu verschrauben. So erhält der Nutzer Fahrstrom für mehrere 100 Kilometer, ohne dabei aussteigen zu müssen. Das Prozedere dauert nur 2 Minuten, was nicht nur wesentlich schneller als ein Halt an einem Schnelllader ist, sondern sogar im Vergleich zum klassischen Tankvorgang mehr Komfort bietet und weniger Zeit kostet.

Vor allem aber können Autonutzer damit Geld sparen. Für bereits mehrere Baureihen – unter anderem für ES6, EC6 und ES8 – bietet Nio die sogenannte „Battery as a Service“-Option (BaaS) an. Wer sich für dieses Angebot entscheidet, kauft das Fahrzeug ohne Akku und spart damit im Fall der kleineren 75-kWh-Batterie in China umgerechnet rund 9.700 Euro, beim größeren 100-kWh-Stromspeicher können chinesische Käufer sogar rund 17.700 Euro gegenüber dem eigentlichen Kaufpreis einsparen. Dafür muss der Nutzer allerdings die BaaS-Option buchen und künftig einen monatlichen Betrag entrichten. Abhängig von der Akkugröße sind das in China umgerechnet rund 136 Euro beziehungsweise 205 Euro.

Aktuell deutet sich an, dass Nios Vorstoß in die Batterietauschtechnik das Start-up in die Erfolgsspur führt. Anfang November veröffentlichte Quartalszahlen weisen zumindest einen neuerlichen Auslieferungs- und Absatzrekord des Unternehmens aus. Bisher schreibt der 2014 gegründete Autokonzern aufgrund gigantischer Investitionen in Technik und Infrastruktur allerdings noch rote Zahlen.

Nios BaaS-Option ist übrigens kein rein chinesisches Phänomen mehr. Mittlerweile ist der Autobauer auch in Europa aktiv. Genauer gesagt vertreiben die Chinesen ihre E-Autos seit diesem Jahr auch im Elektroauto-Musterland Norwegen. Seit November gibt es dort sogar eine erste Batterietausch-Station, die sich noch im Testbetrieb befindet. Kunden in Norwegen können dennoch bereits wählen, ob sie einen Nio mit Batterie kaufen oder sich für die BaaS-Option entscheiden.

Wer etwa das ab März 2022 verfügbare SUV ES8 inklusive 75-kWh-Batterie bestellt, bezahlt in Norwegen aktuell rund 62.600 Euro. Mit BaaS-Option sinkt der Preis auf 53.500 Euro. Mit großem 100-kWh-Akku sind es 69.700 Euro, ohne Akku werden ebenfalls 53.500 Euro aufgerufen. Abhängig von der Batteriegröße kostet dann allerdings der BaaS-Service monatlich 142 beziehungsweise 202 Euro. Als Gegenleistung erhält man derzeit 6 kostenlose Batteriewechsel pro Monat und damit im Fall der 100-kWh-Batterie bis zu 600 Kilowattstunden, was rund 3.000 Fahrkilometern entspricht. Vor allem für Vielfahrer bietet damit der BaaS-Service Einsparpotenzial bei den Energiekosten insbesondere im Vergleich zum Verbrenner. Die kommenden Jahre werden zeigen, wie erfolgreich Nio in Norwegen mit dieser Option sein wird.

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Der Charme des Akku-Tausches scheint bei chinesischen Autokunden jedenfalls zu verfangen. Mittlerweile sollen im Reich der Mitte, dem derzeit mit Abstand größten Markt für Elektroautos, mehr als 30 Autohersteller Batterietausch-Systeme für mehr als 60 Modelle anbieten. Darunter befinden sich auch Branchengrößen wie BAIC BJEV, SAIC Motor, Geely, oder GAC. Bislang gab es hier einen gewissen Wildwuchs, weshalb die chinesische Regierung nunmehr eine gesetzliche Regelung für eine herstellerübergreifende Vereinheitlichung der Technik in die Wege geleitet hat. Ein wichtiger Schritt, damit Batteriewechsel-Technik auch außerhalb Chinas zum Erfolg werden könnte.

Vielleicht auch in Deutschland. Ende 2022 will Nio nämlich erste E-Autos auch hierzulande verkaufen und dann wohl auch mit dem Aufbau von Akku-Wechselstationen beginnen. Wie sehr das eigentlich überzeugende Prinzip bei hiesigen Kunden ankommen wird, könnte deshalb auch zu einer besonders spannenden System-Frage werden.

Nio wird mit dem Akkutausch-Prinzip in Deutschland nicht allein sein. Mittlerweile hat zum Beispiel das deutsch-chinesische Batteriewechsel-Projekt Infradianba in Berlin eine Pilot-Anlage in Betrieb genommen. Schon bald sollen diese und künftige Stationen E-Taxis der chinesischen Automarke MG Motor nutzen. SAIC-Tochter MG hat bereits eine Kooperation mit der Berliner Taxi-Innung geschlossen. Im Dezember sollen erste E-Taxis von MG in Berlin unterwegs sein und die Wechselstationen nutzen. Für die kommenden Jahre wird der Aufbau eines Netzwerks in Berlin von bis zu 300 Wechselstationen avisiert.

Deutsche und europäische Autohersteller lassen aktuell übrigens wenig Ambitionen erkennen, in die Wechselakku-Technik einzusteigen. 2020 brachte Renault mit dem Konzeptauto Morphoz dieses Prinzip zwar erneut ins Spiel, jedoch ohne praktische Folgen. In Deutschland ist bislang nur der Aachener Elektroauto-Hersteller Next.e.GO Mobile in diese Richtung aktiv geworden. Demnach hat das kleine Unternehmen jüngst zwei „e.Pit“ genannte Wechselstationen in Zülpich und Aachen in Betrieb genommen, denen bald schon weitere folgen werden. Ein Anfang ist jedenfalls gemacht.

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