Daimler-Logistikkonzept für Amazon Alles für die letzte Meile

Mercedes-Benz electric Vito Foto: Daimler

E-Transporter, Schadenmanagement und flexible Fahrzeugmiete unter einem Dach: Mit dem "Basecamp" baut Mercedes beim Amazon-Logistikzentrum Bochum ein neues Konzept für die Paketzustellung auf.

Dass die Zahl der zu transportierenden Pakete immer weiter steigt, ist kein Geheimnis. Deutschlandweit wurden 2016 rund drei Milliarden zugestellt. Branchenexperten gehen davon aus, dass sich das Aufkommen schon in wenigen Jahren verdoppelt. Rosige Zeiten also für die Hersteller von Lieferfahrzeugen. Doch die meisten wollen sich nicht mit der Rolle als bloßem Fahrzeug-Lieferanten zufriedengeben. "Um mit einem Fuhrpark in der Logistikwelt auch weiterhin erfolgreich zu sein, müssen nicht nur die Fahrzeuge, sondern alle Aspekte der gesamten Wertschöpfungskette optimiert werden", sagt Volker Mornhinweg, Leiter Mercedes-Benz Vans. Der ganzheitliche Ansatz von Daimler bringe die Stärken unterschiedlicher Technologien zur Geltung und schaffe gleichzeitig nützliche Synergien. Außerdem müsse ein Hersteller seinen Kunden auch die nötigen Lösungen mit an die Hand geben, um die Fahrzeuge großflächig in den Markt zu bringen.

Daimler hat daher das Logistik Partner Programm aufgelegt. Dazu gehören flexibles Leasing, Sonderkonditionen auf Teile und Dienstleistungen, eine Maximalpreisliste für Reparaturpakete, In-Van-Belieferung sowie die Fahrzeugmiete und Van2share.

Mit dem sogenannten Basecamp, das unter anderem dieses Konzept integriert, will Daimler nun eine komplexe Welt für Lieferdienste schaffen. Den nötigen räumlichen Rahmen bieten die Fahrzeug-Werke Lueg zusammen auf einem Gelände direkt am Bochumer Logistikzentrum des Versandriesen Amazon. Von dort operieren die Lieferdienste, die als Subunternehmer unter der Amazon-Flagge Päckchen ausliefern.

Herzstück des Projekts sind die vor Ort eingesetzten Mercedes eVito, die dank ihres Elektroantriebs geräusch- und emissionsarm in die Innenstädte fahren können. Die rund 40.000 Euro teuren E-Transporter sind erst seit Kurzem bestellbar, weshalb die Flotte auch erst 30 Transporter umfasst. Aber der Plan ist, auf rund 100 Fahrzeuge aufzustocken. Warum E-Autos für die letzte Meile? Der durchschnittliche KEP-Fahrer legt pro Schicht rund 40 Kilometer zurück – das schafft selbst ein voll beladener eVito. Über Nacht ist die Batterie auch ohne Probleme wieder aufzuladen und am nächsten Morgen kann es wieder leise und sauber in die Zustellbereiche gehen.

Dies sei auch im Sinne von Amazon. Der Kunde verlange, dass die Lieferkette von Amazon möglichst wenige Auswirkungen auf die Umwelt hat, sagt Bernd Gschaider, Geschäftsführer der deutschen Logistik-Sparte des Versandhändlers. "Wir fokussieren uns darauf, den Kraftstoffverbrauch und Emissionen zu reduzieren und gleichzeitig die Möglichkeiten für Lieferfahrten auf der letzten Meile zu erhöhen." Es sollten möglichst wenig überflüssige Fahrten abfallen.

Elektro-Vitos als Lieferfahrzeuge

Allerdings sind die eVitos nicht die einzigen Stromer in Bochum. Um Spitzen abzufedern, steht eine ganze Reihe von altgedienten Vito E-Cell bereit. Die Fahrzeuge stammen aus den Baujahren 2009 bis 2011. Dass die Batterien nach der langen Laufzeit noch in Schuss sind, davon sei man selbst überrascht, gibt Daimler zu.

Betritt man das Gelände, fällt zuerst der große Fahrzeug-Scanner auf. Der wurde von der nach dem Geburtsjahr des Automobils benannten Mercedes-Tochter Lab1886 entwickelt. Durch diesen Komplex, der von außen einer Waschstraße verblüffend ähnlich sieht, fahren alle Zustellerautos morgens und abends, während 22 Kameras sämtliche Schäden an den Autos fotografieren und festhalten. Schäden am Fahrzeug haben speziell im Geschäft auf der letzten Meile, wo Parkrempler und Co. nicht ausbleiben, einen signifikanten Anteil an den Total Costs of Ownership. Der reine Kaufpreis des Fahrzeugs dagegen macht laut Daimler nur fünf bis sieben Prozent der Kosten aus.

Autos werden gescannt und auf Schäden untersucht

Auch relativ kleine Schäden können bei der Rückgabe von Leasingfahrzeugen hohe Kosten verursachen, wenn sie nicht rechtzeitig behoben oder gar nicht erst entdeckt wurden. Eine verpflichtende Fahrt durch den Scanner, so die Idee, könnte auch während des Betriebs dazu führen, dass die Fahrer insgesamt sorgsamer mit dem Transporter umgehen und so schon die laufenden Reparaturkosten senken.

Scheppert es trotzdem, ist im Basecamp der Weg zur nächsten Werkstatt nicht weit. Praktischerweise übernimmt diese Aufgabe der Partner Lueg. Für größere Reparaturen steht deren nahes Nutzfahrzeug-Center in Bochum-Wattenscheid bereit. Kleinere Schäden versuche man aber direkt im Basecamp zu beheben. "Große Logistik- und Verteilzentren erfüllen nicht nur ihre Funktion als Auslieferungslager, sondern sie bilden Schnittstellen zwischen Versandhändlern und Lieferdiensten", sagt Stefan Jansen, Vertriebsdirektor Nutzfahrzeuge bei Lueg. "Mit unserem neuen Konzept rücken wir noch näher an unsere Kunden. Pflege und Wartung aus einer Hand schaffen klare Kostenvorteile und machen das Handling für den Flottenmanager wesentlich effizienter und komfortabler." Der Fokus auf neue Dienstleistungen ist für ein Unternehmen wie Lueg gerade hinsichtlich der immer relevanteren Elektromobilität wichtig. Stromer sind in der Wartung weniger anspruchsvoll als Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. Einen Ölwechsel brauchen die E-Maschinen nicht. Trotzdem sieht Lueg die Technologie nicht mehr als Risiko, sondern als Chance, um mit neuen Dienstleistungen zu punkten und sich so weiterzuentwickeln.

Auch abseits des Fahrzeugscanners will Mercedes-Benz Vans innerhalb des Basecamps mit einem Ökosystem an Dienstleistungen ein Komplettpaket anbieten, das für die Kurierdienste alles Nötige abdecken soll. Von einer Versicherung mit Schadensflatrate über die Parkmöglichkeiten für Mitarbeiter und die Digitalisierung von Fahrzeug­zuständen im Scanner bis hin zur Lade-Infrastruktur von Partner Innogy will Mercedes-Benz Vans sämtliche Dienstleistungen für einen möglichst reibungslosen Ablauf der Paketzustellungen bieten. Dazu gehört auch eine Umstellung von der klassischen zeitraubenden Schlüsselausgabe am Morgen des Arbeitstages zu einem App-basierten System, mit dem die Fahrerinnen und Fahrer ihre Elektrotransporter sogar auf Wunsch vortemperieren können – im Winter mit Heizung, im Sommer mit Klimaanlage.

Als zweiten Standort für ein Basecamp hat sich Mercedes Vans Düsseldorf ausgeguckt. Auch dort mit Amazon als Logistikpartner. Denn selbst, wenn das Versandhaus schon mit Drohnen zur Paketzustellung experimentiert: Ganz ohne Autos wird es in absehbarer Zeit eben doch nicht gehen. Dann ist es gut, wenn zumindest in den Innenstädten Elektrotransporter das Paar Schuhe, den Fernseher oder die neue Winterjacke bringen.