Die Stadt von morgen Lebenswert statt autogerecht

Fighting Climate Change with a City Pop-Up Bike Lane for a Carbon Neutral Future Foto: IGphotography

Immer mehr Menschen, immer mehr Autos: Unsere Städte werden voller. Weltweit tüfteln Bürgermeister daher an Konzepten, wie sie urbane Räume nachhaltig und zukunftssicher gestaltet können. Eine Studie des DLR gibt einen globalen Überblick.

Mit der Coronapandemie wurde der Blick auf Zahlen häufig kritischer. Branchenexperte Ferdinand Dudenhöffer hat sich Daten des Kraftfahrt-Bundesamts und des Statistischen Bundesamts ebenfalls kritisch angesehen – und stellt fest: Trotz Bemühungen vieler Metropolen hat die Zahl der Autos in deutschen Großstädten nicht ab-, sondern sogar zugenommen. Ein Trend, der sich in den kommenden Jahren noch verstärken könnte. Immerhin prognostizieren die Vereinten Nationen, dass der Anteil der Städter an der Gesamtbevölkerung weiter zunehmen wird: Sind es heute 55 Prozent, so werde es demnach 2050 über 68 Prozent Städter geben.

Wie wird die Mobilität dieser vielen Stadtbewohner künftig aussehen? Wie wollen die Menschen künftig leben und sich in ihren Metropolen bewegen? Mit diesen drängenden Zukunftsfragen und mit nachhaltigen Lösungen hat sich die Studie "Die Stadt von morgen. Herausforderungen und Lösungsansätze für eine nachhaltige urbane Mobilität" beschäftigt, durchgeführt vom Institut für Verkehrsforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. Die kurze Antwort lautet: sauber, digital, individualisiert, flexibel, vernetzt. Die Studie soll dabei nicht nur als Bestandsaufnahme fungieren, Trends aufzeigen und wissenschaftliche Fakten liefern, sondern auch anhand von Praxisbeispielen verdeutlichen, wie urbane Mobilität von morgen schon heute gelebt wird.

Mobilität 2021 Foto: Daimler
Urbane Mobilität

Immerhin stehen die klimapolitischen Ziele für den Verkehrssektor in Deutschland und die Europäische Union fest: 40 bis 42 Prozent weniger Treibhausgasemissionen bis 2030 und um 80 bis 95 Prozent bis 2050. "Die Zukunft der Mobilität wird zu weiten Teilen in urbanen Räumen entschieden. Deshalb kann man die Mobilität nicht losgelöst vom umgebenden Raum betrachten", erklärt Prof. Dr. Meike Jipp, Direktorin des Instituts für Verkehrsforschung des DLR. "Die Mobilität wird von vielen Aspekten beeinflusst: gesellschaftliche Trends und individuelle Anordnungen, Verkehrsmittel und -angebote, Digitalisierung, Automatisierung und Vernetzung, Infrastruktur und Stadtentwicklung, Umwelt und Innovationskultur, Diversität und Partizipation gesellschaftlicher Interessengruppen."

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Die Stadtentwickler haben sich laut den Studienmachern längst vom Leitbild einer autogerechten Stadt verabschiedet. Lebenswert soll der urbane Raum vielmehr sein. Bei diesem Wandel kommen digitale Technologien, eine intelligente Infrastruktur, vor allem aber auch neue Akteure wie Start-ups und neue Kollaborationen zwischen kommunalen Verwaltungen, Wirtschaft und Gesellschaft zum Tragen. Die Stadt als Experimentierfeld – 14 Städte haben sich bislang an der Studie beteiligt und dafür ihren Weg als Best Practice für die Stadt von morgen vorgestellt. Wir haben in den Randspalten für Sie vier Beispiele herausgegriffen.

Barcelona

Barcelona will zur "Post-Auto-Metropole" werden, indem insgesamt 503 "Superblocks" mit einem Budget von 38 Millionen Euro errichtet werden, also Wohnquartiere aus vier bis neun Wohnblocks, die für Autos überwiegend gesperrt sind und in denen Radfahrer und Fußgänger Vorrang haben. 2017 machte der erste Superblock den Anfang, von 2022 bis 2030 soll die bauliche Umsetzung erfolgen. Teil des Konzepts sind auch der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und Maßnahmen, die Orte zum Verweilen schaffen: Grünflächen, öffentliche Plätze, Sitzmöglichkeiten. In Superblocks sollen dann nur noch Anwohner und Lieferanten mit maximal 10 km/h fahren dürfen.

Köln

Die Rheinmetropole sagt der Überfüllung ihrer Innenstadt durch den zunehmenden Lieferverkehr den Kampf an. Immer mehr E-Commerce-Händler liefern Pakete und Einkäufe bis vor die Haustür, Corona hat für ein starkes Wachstum gesorgt. Das bedeutet Kampf um Parkraum, mehr Luft- und Lärmemissionen. Die Stadt Köln hat daher ein drei Millionen Euro schweres Förderprogramm für Lastenräder aufgesetzt, das bundesweit größte seiner Art, um umweltfreundlichen Warentransport und Wirtschaftsverkehr attraktiver zu machen. Zudem werden Radwege in Köln ausgebaut, Lastenradparkplätze gebaut und mindestens drei anbieterneutrale City-Logistik-Hubs bis 2022 umgesetzt. Bislang hat rund ein Drittel der Betriebe in Köln ein anderes Fahrzeug abgeschafft, oder das Lastenrad ist nun einziges Transportmittel.

Paris

Die Idee der "Stadt der Viertelstunde" erinnert ein wenig an den Vorstoß eines ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten, der eine schnelle Mobilitätslösung für München ankündigte, die "in nur zehn Minuten" die Innenstadt mit dem Flughafen verbinden sollte. In der französischen Hauptstadt lautet das Ziel dagegen, dass alle Menschen in höchstens 15 Minuten zu Fuß oder innerhalb von drei Kilometern mit dem Fahrrad alle Orte des täglichen Bedarfs erreichen können – also Arbeitsplatz, Geschäfte, Arztpraxen, Freizeit- und Kultureinrichtungen. Dafür wollen die Stadtverantwortlichen 60.000 Parkplätze und Fahrspuren durch Grünflächen, Spielplätze, Busspuren und Radwege ersetzen, 170.000 neue Bäume pflanzen und bis 2024 ein etwa 650 Kilometer langes Radwegnetz aufbauen.

Peking

Da die etwa 11.000 Pendler zwischen dem Stadtquartier Huilongguan und einem Softwarepark allmorgendlich für eine hohe Verkehrsbelastung auf der 6,5 Kilometer langen Verbindung gesorgt haben, beschlossen die Verantwortlichen, diese Straße dem Radverkehr zu widmen. Der sechs Meter breite, dreispurige Fahrrad-Highway verläuft teils ebenerdig, teils als Skyway entlang von zehn Ein- und Ausfahrten. Das Projekt startete im Jahr 2019, mittlerweile treten täglich 4.000 bis 6.000 Menschen in die Pedale und sparen so mehr als 20 Minuten Fahrtzeit – gleichzeitig ist das Projekt ein Plus für Gesundheit und Umwelt.