Digitale Schadenscanner Transparenz durch Technik

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Bei Hagelschäden sind Gutachter im Dauerstress. Doch nicht nur dort versprechen digitale Schadenscanner Abhilfe – sondern auch bei der Leasingrückgabe.

Schäden am Fahrzeug, die durch Naturereignisse wie Hagel oder durch einen Unfall entstanden sind, beurteilen bisher Gutachter. Doch die Digitalisierung ist auch hier auf dem Vormarsch, denn mit dem Einsatz elektronischer Systeme lassen sich Schäden am Fahrzeug schneller und zuverlässiger dokumentieren. Inzwischen ist eine Vielzahl von technischen Entwicklungen für ganz unterschiedliche Einsatzbereiche von der Hagelschadenbegutachtung bis hin zum Gebrauchtfahrzeugmanagement auf dem Markt.

So hat der TÜV Rheinland im vergangenen Jahr das Bochumer Technologie-Start-up Adomea übernommen, das ein System zur automatisierten Schadenerfassung entwickelt hat. Das sogenannte Miko-System (Mobiles Identifikationssystem für Kraftfahrzeugoberflächenfehler) kann innerhalb einer Minute ein vollständiges und detailgenaues Abbild der Außenhaut eines Fahrzeugs erstellen. Möglich macht das die sogenannte Streifenreflexionstechnik: Steht das Fahrzeug in der Box, erfassen 16 Kameras die Spiegelungen der gesamten Fahrzeugoberfläche und erkennen so auch kleinste Abweichungen wie Dellen mit einer Tiefe von weniger als 140 Mikrometern. Das entspricht der zweifachen Dicke eines menschlichen Haars. Bei den genauen Messungen entstehen mehrere Gigabyte Daten, mittels deren das System die Auffälligkeiten erfasst und kategorisiert.

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Miko (Mobiles Identifikationssystem für Kraftfahrzeugoberflächenfehler) des Start-ups Adomea bildet in nur einer Minute die gesamte Außenhaut eines Fahrzeugs ab.

Adomea kann über eine Fahrzeugdatenbank alle erkannten Schäden den unterschiedlichen Fahrzeugbereichen zuordnen und in 3-D visualisieren. "Auf der Grundlage dieser Darstellung kann der Sachverständige die Schäden am Fahrzeug und die daraus entstehende Wertminderung präzise beurteilen", erklärt Andreas Blecker, Geschäftsfeldleiter Auto­services und Gutachten beim TÜV Rheinland. Bisher werden die Miko-Systeme überwiegend bei der Erfassung von Hagelschäden eingesetzt.

Gleichzeitig arbeitet das Kölner Prüfunternehmen bereits an der Weiterentwicklung des Systems: In Zukunft soll es auch Kratzer und Lackverätzungen erkennen und mittels künstlicher Intelligenz die Schadenhöhe automatisiert ermitteln. Damit werden die Systeme auch für Leasinggesellschaften oder für Autohersteller interessant, die sie bei der Fahrzeug­rückgabe einsetzen können.

Aus Sicht des TÜV Rheinland wird das ein großer Vorteil der Technik: "Von 100 Reklamationen im Rahmen der Fahrzeugrücknahme beziehen sich heute 80 auf Lack- und Karosserieschäden. Dies lässt sich durch die neue Technologie deutlich reduzieren", so Blecker. Die Expertise der Gutachter sei allerdings auch in Zukunft gefragt. "Durch den Einsatz des Scanners können sich die Sachverständigen verstärkt auf Schäden im Innenraum der Fahrzeuge, die Untersuchung der Elektronik sowie die Überprüfung von durchgeführten Wartungen und Reparaturen konzentrieren", so Blecker.

Mit der digitalen Erfassung des Fahrzeugzustandes beschäftigt sich auch das Start-up Twinner aus Halle. Am Anfang stand als Geschäftsidee der Wunsch von Kunden nach mehr Transparenz im wachsenden Onlinehandel mit Gebrauchtfahrzeugen. Denn hier führen unterschlagene Schäden und falsche Preiseinschätzungen immer wieder zum Streit.

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Der Twinner misst die Profiltiefe des Autos und erstellt ein Abbild des Unterbodens. In der Kabine fertigen Kameras und Sensoren ein Rundumbild an, das Gebrauchtwagenhändler auf Onlineplattformen einsetzen können.

Mit dem System von Twinner lässt sich innerhalb weniger Minuten ein detaillierter Datensatz eines Autos mit allen relevanten Daten, Ausstattungsmerkmalen und Mängeln erstellen. Hochauflösend scannt die Technik den Unterboden und misst die Reifenprofiltiefe. In dem Raum steht das Auto auf einem Drehteller. Mehrere Kameras und Sensoren erstellen eine 360-Grad-Aufnahme – mit geschlossenen Türen, aber auch bei geöffneten Hauben und ebenfalls von innen. Ein Lackscanner erfasst Überlackierungen und Lackunterschiede. In Zukunft will Twinner auch Dellen wie bei Hagelschäden erkennen.

Die Ergebnisse speichert der Scanner in der Cloud. Sie lassen sich in Gebrauchtwagenbörsen oder in den Online-Showroom eines Händlers laden. Dort kann der Kunde nicht nur die Rundumaufnahme betrachten, sondern wird auch auf alle Schäden und Besonderheiten hingewiesen.

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Miko lässt sich zur Beurteilung von Hagelschäden oder anderen Dellen einsetzen und automatisch die Höhe eines Schadens feststellen.

In Deutschland betreibt das Unternehmen bereits zehn Anlagen, zwei weitere sind in Zusammenarbeit mit Mercedes in China im Einsatz. Kunden sind Autohäuser, Leasinggesellschaften, Versicherungen und Fahrzeughersteller. Langfristig will auch Twinner die Erkennung von Schäden über den Einsatz künstlicher Intelligenz automatisieren.

Die Digitalisierung wird den Beruf des Gutachters deutlich verändern. "Die Schadenserfassung erfolgt durch den Scanner. Anschließend kann der Gutachter die Bilder zentral auswerten. Er muss das Fahrzeug nicht mehr vor Ort sehen. So ist der Durchsatz höher, das spart Zeit und Kosten. Bei Unfallfahrzeugen spielt der Gutachter allerdings auch in Zukunft eine Rolle", so Mario Lingen, Leiter Key-Account-Management in Europa bei Twinner.

Die Leasinggesellschaften verfolgen die Entwicklung digitaler Scanner mit großem Interesse. So will auch VW Financial Services für die Bewertung von Leasingrückläufern einen Scanner einsetzen. "Der Vorteil ist die automatische und einfache Erfassung von Schäden, besonders an schwer zugänglichen Stellen wie zum Beispiel dem Unterboden", so Malte Krause, Pressesprecher Volkswagen Financial Services.

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Auch nach Einschätzung der Dekra werden sich Fahrzeugscanner in Zukunft eher im Bereich des Gebrauchtwagenmanagements beispielsweise bei Leasingrückläufern rechnen. Die Prüforganisation setzt die Scanner-Technologie aktuell noch nicht ein, hat aber entsprechende Systeme getestet. »Erste Erfahrungen haben wir bei Hagelbesichtigungen gesammelt. Im Rahmen eines Pilotversuchs wurde 2018 ein Scannersystem eingesetzt. Es sparte etwa fünf Minuten je besichtigtes Fahrzeug ein. Gemessen an den bisherigen Kosten der Technologie rechnet sich das noch nicht«, erklärt Bernd Grüninger, Bereichsleiter Gutachten und Mitglied der Geschäftsleitung bei Dekra Automobil. Bei der Hagelschadenbegutachtung werde sich der Einsatz eines Scanners in der Regel nur bei sehr hohem Durchsatz lohnen. Allerdings, so Grüninger, gehe die Tendenz eher zu mehreren kleineren Besichtigungsstellen im Hagelgebiet, um den Fahraufwand für die Versicherungsnehmer zu minimieren. Neben der Fahrzeugrückgabe könnte die Technologie bei Mietwagenstationen an Flughäfen sinnvoll zum Einsatz kommen, indem jeweils bei Übernahme und bei Rückgabe gescannt werde.

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Nachteilig sei, dass viele aktuelle Scanner nur die Außenhaut ohne Innenraum erfassen könnten. Daher blieben Sachverständige auch bei Gebrauchtwagen künftig wichtig. "Auch Reparaturkosten können Kalkulationssysteme derzeit nur bedingt eigenständig errechnen. Hier stehen wir am Anfang", so der Experte der Dekra. Dennoch will auch das Prüfunternehmen in Zukunft mit der Scanner-Technologie arbeiten. "Unser Ziel ist es, im Lauf dieses Jahres gemeinsam mit Partnern eine Lösung am Markt zu platzieren, die die Anforderungen unserer Kunden erfüllt und wirtschaftliche Mehrwerte liefert", erklärt Christoph Mennicken, Leiter Technisches Service­management bei der Dekra. Am Scanner bei Gutachten führt also in Zukunft kein Weg mehr vorbei.