Energiepolitik in Japan Brennstoffzelle und Wasserstoff

Tokio, Japan Foto: Em7

Während sich die ersten Brennstoffzellenautos zaghaft auf deutsche Straßen wagen, ist Japan viel weiter. Dort glaubt man fest an Wasserstoff als Energieträger der Zukunft.

Der Toyota Mirai entsteht in Handarbeit – Auto für Auto. In einer eigenen Halle schraubt ein kleines Team von geschulten Mitarbeitern jedes der Brennstoffzellenfahrzeuge nach Kundenwünschen zusammen. »Noch handelt es sich nicht um ein Massenprodukt in dem Sinne, wie wir sonst Autos produzieren«, sagt Yoshikazu Tanaka, »aber das ist erst der Anfang der Mobilität der Zukunft.«

Auf Tanakas Visitenkarte steht »Chefingenieur«, andere sagen: Er ist der Vater des Mirai, dem ersten in Serie hergestellten Auto mit Brennstoffzellen­antrieb. Ihm soll eine ganze Reihe von kommerziell tragfähigen Produkten folgen, die auch ohne Subventionen am Markt gute Gewinne abwerfen.

Yoshikazu, Tanaka, toyota Foto: Toyota
Yoshkazu Tanaka hat den Toyota Mirai entwickelt und sieht im Brennstoffzellenantrieb die Zukunft des elektrischen Fahrens.

In einem Kraftakt wollen Regierung und Groß­unternehmen Japans bereits im Laufe des kommenden Jahrzehnts die Umstellung der Energiesysteme auf den sauberen und nützlichen Brennstoff erzwingen. Es geht nicht nur ums Fahren, sondern auch um Stromversorgung, Heizen und den übrigen Energiebedarf. Dem Wasserstoff kommt vor allem eine Funktion zu: Er soll Zwischenspeicher für Strom aus erneuerbaren Quellen sein, deren Angebot stark schwankt.

Nicht überall glaubt man an Wasserstoff

Die Zukunft von Wasserstoff als Energieträger ist gleichwohl umstritten. Das farblose Gas hat viele Vorteile, aber fast ebenso viele Nachteile. Die Umsetzung der großen Wasserstoffidee erfolgt daher in den meisten Ländern eher halbherzig. Audi und Daimler bringen zwar ebenfalls Limousinen mit Brennstoffzellenantrieb auf den Markt, und die deutsche Bun­des­regierung fördert die Forschung aus verschiedenen Töpfen. »Doch im Vergleich zu der Konsequenz, mit der Japan sein Wasserstoffkonzept verfolgt, fehlt in Deutschland der durchdachte Ansatz«, sagt Mobili­tätsforscher Andreas Knie vom Wissen­schafts­zen­trum Berlin für Sozialforschung. Seiner Mei­nung nach ist Japan hier »absolut auf dem richtigen Weg«.

Premier Shinzo Abe stellte im Sommer 2018 ein Programm für die Wende zu Erneuerbaren Energien vor. Er strebt eine Wirtschaftsform ganz ohne Kohlen­dioxidemissionen an. Schon 2040 soll es so weit sein. Seine Vorgaben sind wesentlich ehrgeiziger als die der Bundesregierung. Dieser fehlt ein echter Langfristplan, und der schnelle Ausstieg aus Öl und Kohle erscheint unrealistisch.

Foto: bob
Ein Brennstoffzellenauto zu betanken dauert nicht länger als bei einem Diesel.

Tokio dagegen fördert den Aufbau der Wasserstoffwirtschaft mit Milliarden. Das Ministerium für Wirtschaft, Handel und Industrie (METI) arbeitet derzeit einen Plan mit drei Phasen ab. Im ersten Schritt sollen Brennstoffzellen in Fahrzeugen und Haushalten eingeführt werden. Bis 2030 will Japan Wasserstoff im großen Stil gewinnen und ein Verteilnetz aufbauen. Im letzten Schritt soll eine integrierte Wasserstoffwirtschaft entstehen, die kein Kohlen­dioxid mehr ausstößt.

Japan bringt dabei die besten Voraussetzungen mit, um einen dermaßen tiefgreifenden Wandel durchzusetzen. Die Energiepolitik ist ohnehin stark durch die Regierung gesteuert. Dazu kommt Freude an neuer Technik und Durchhaltevermögen, wenn sich zwischenzeitlich Schwierigkeiten auftun. Nicht zuletzt ist Japan gut für die Erneuerbaren geeignet. Auf der Inselkette scheint fast ganzjährig schön die Sonne; der Wind weht an den langen Küsten kräftig; die zerklüfteten Ufer eignen sich für Gezeitenkraftwerke.

Die Vorgaben sind ehrgeizig, aber machbar. Das erste Zwischenziel sind die Olympischen Spiele in Tokio 2020. Die Spiele von 1964 hinterließen den Hochgeschwindigkeitszug Shinkansen, die in zwei Jahren sollen den Keim für ein neues Energiesystem pflanzen. Dann sollen im Land 40.000 Brennstoffzellenautos fahren, die an 160 Tankstellen Wasserstoff aufnehmen können. Die Regierung schießt zum Kauf jedes Mirai drei Millionen Yen (umgerechnet 23.000 Euro) zu. Die Stadt Tokio bezuschusst den Bau von Tankstellen mit einem Etat von 350 Millionen Euro. Japans Hauptstadt plant zudem die Umstellung des Busverkehrs auf Wasserstoff und testet derzeit die ersten drei Fahrzeuge.

Zugleich läuft die Ausstattung der Haushalte mit Brennstoffzellen. In der Mustersiedlung Fujisawa in Yokohama zeigt Panasonic, wie das aussieht: Sämtliche Häuser sind außen mit Brennstoffzellen ausgestattet. Sie erzeugen aus Gas Wärme und Strom. Bisher ist es noch Stadtgas, langfristig soll es Wasserstoff sein. Für die Bewohner ist das bereits Alltag.

Brennstoffzellen versorgen jetzt schon 220.000 Haushalte mit Strom

Schon heute verfügen in Japan 220.000 Haushalte über solche Brennstoffzellen. Bis zu den Spielen sollten es eigentlich 1,4 Millionen sein, doch dieses Ziel gilt nicht mehr als erreichbar. Die Planer rechnen eher mit 400.000 Heimbrennstoffzellen. Langfristig ist jedoch eine flächendeckende Verbreitung geplant. Die Regierung schießt zur Installation dieser Zellen je nach Modell 450 bis 900 Euro zu.

25 Industrieunternehmen, darunter Toyota, BMW, Daimler, Panasonic und Linde, wollen gemeinsam mehr als anderthalb Milliarden Euro pro Jahr in den Aufbau der Wasserstoffwirtschaft stecken. Zwar gibt es kein technisches Problem, das so ein Firmenverbund nicht lösen könnte, doch es bleiben auch Zweifel, ob das Geld gut investiert ist. Und je näher die Umsetzung rückt, desto klarer wird, wo es hakt: Die Erzeugung des Wasserstoffs kostet jede Menge Energie, und der ganze Prozess von der Stromerzeugung bis zur Nutzung ist vergleichsweise kompliziert. Rund 70 Prozent der Energie gehen verloren, bis das Auto rollt oder die Heizung warm wird. Bei direkter Nutzung der Elektrizität sind es weniger als 20 Prozent – zum Beispiel beim Laden der Batterie eines Batterieautos.

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Mit Luft gemischt, explodiert das farb- und geruchlose Wasserstoffgas zudem leicht. Elon Musk, Gründer des E-Pioniers Tesla und Verfechter der reinen Batterietechnik, hält die Brennstoffzelle für eine »bekloppte Idee« und sagt dem japanischen Ansatz ein Scheitern auf der ganzen Linie voraus. In Internetforen spotten die Wasserstoffgegner über die romantischen Träume der Planer in Tokio.

Aus Sicht der Wasserstoffbefürworter in Japan löst die neue Technik jedoch gleich mehrere große Probleme auf einmal. Chefingenieur Tanaka ärgert sich daher über Musk. »Sauber fahrende Autos erhalten mit der Brennstoffzelle gleiche Reichweite wie bisher Benziner«, sagt Tanaka. »Das Tanken dauert dabei wie gewohnt nur wenige Minuten.« Außerdem eignet sich Wasserstoff bestens, um Busse und Lastwagen zu betreiben. Hier zeigen klassische Elektroautos die größten Schwächen.

Toyota sieht kein Entweder-oder, sondern eine fließende Bandbreite von Anwendungen. Auch rein batteriebetriebene Fahrzeuge haben ihren Platz. »Sie sind mit Sicherheit für viele Anwendungen effizienter und sinnvoller«, gibt auch Tanaka zu. Auch Toyota entwickelt E-Autos, für die urbane Mobilität mit vielen kurzen Strecken. Oberhalb der mittleren Gewichtsklasse fängt jedoch das Reich der Brennstoffzellen an. Sie liefern die Energie für schwere Fahrzeuge, die große Lasten transportieren sollen oder hohe Reichweite benötigen. Auch bei Traktoren oder Mähdreschern wäre die Batterie viel zu schnell leer, ebenso bei Kühltransportern. Mit Wasserstoff lassen sich auch Züge und Flugzeuge antreiben. Die Energiedichte eines Tanks voll Wasserstoff ist eben rund hundertmal größer als die einer Lithium-Ionen-Batterie.

Doch japanische Experten steuern nach Aufzählung dieser Vorteile für das Transportwesen gerne von der Mobilität weg. »Es geht um das Gesamtbild der Energieversorgung«, sagt To­shiki Shimizu, Leiter der Abteilung für intelligente Energiesysteme bei dem Elektro-Giganten Panasonic. Die Mobilität

ist zwar ein wichtiger, aber nicht der entscheidende Teil der japanischen Wasserstoffinitiative – und da liege Elon Musks Irrtum. Wasserstoff mag Nachteile haben, aber als Zwischenspeicher für erneuerbare Energie ist er von un­­schätzbarem Wert. Dann kommt es auf einige Prozent mehr oder weniger Wirkungsgrad nicht an – entscheidend ist, die Energie der besonders hellen und windigen Stunden des Monats einzufangen und für die Nutzung durch den Menschen zu sichern.

Im Jahr 2016 gingen in Deutschland allein 3,5 Terawattstunden Strom verloren, weil Windanlagen wegen Überangebots auf Durchzug stellen mussten. Das allein entspricht ungefähr der Strom­produktion eines kleineren Kohle­kraftwerks. Mit effektiven Speichern hätte sich der Strom ein­­fan­gen und nutzen lassen. Dieses Problem und diese Chance werden mit dem zunehmenden Ausbau der Erneuerbaren immer größer. »Erst im Kontext der Verbreitung neuer Energiequellen ist die Verwendung von Wasserstoff effektiv«, sagt Shimizu.

Den Panasonic-Berechnungen zufolge wird der Wasserstoff ein konkurrenzfähiger Energieträger sein, wenn er in Japan ab ungefähr 2032 in großtechnische Produktion geht. Bis dahin erwartet Shimizu auch ein Netzwerk von Pipelines und Röhren, das ihn an die Brennpunkte seiner Nutzung bringt.

Noch sind Brennstoffzellenautos Exoten

Wie immer bei der Aufwertung eines veralteten, aber funktio­nierenden Systems zu einem völlig anderen Wirkprinzip treten hohe Kosten und Schwierigkeiten auf. Anders gesagt: Es gibt hier ein Henne-Ei-Problem. Japan erzwingt nun erst einmal die Existenz der Henne. »Die Verbraucher werden mitziehen, wenn die entsprechenden Produkte dank höherer Stückzahlen günstiger zu bekommen sind«, glaubt Shimizu. 66.000 Euro netto kostet der Mirai derzeit in Deutschland. Wenn die Preise nicht sinken, wird er wohl ein Exot bleiben. Tanaka hofft deshalb auf höhere Stückzahlen. Aber er muss die aufwendige Technik auch billiger machen – etwa durch geringen Einsatz des teuren Metalls Platin. Denn hier haben die Wasserstoffgegner recht: Der Mirai mit seinen Drucktanks, der sensiblen Brennstoffzelle und vielen neuen Techniken ist ziemlich kompliziert.

Deutschland weiß dagegen noch nicht so recht, wie es sich die ferne Zukunft der Erneuerbaren vorstellen soll. »Hier fehlt die Durchbruchskultur«, kri­tisiert Mobilitätsforscher Knie. Er vermisst die sektorenübergreifende Politik, wie die Spitzenbeamten sie in Tokio organisieren, um die Energiewende auf eine neue Stufe zu heben. Solange dieses Element fehlt, werkeln die Wasserstoff-Fans in Deutschland ohne Aussicht auf Erfolg vor sich hin.