Erneuerbare Energie Mit Windgas in Richtung Energiewende?

Windräder, Sonnenuntergang Foto: Fotolia

Ingenieure haben einen Weg gefunden, Strom aus Windenergie in Form von Methangas zu speichern – das könnte den Erdgasautos den entscheidenden Schub geben.

Ulrich Zuberbühler sieht nicht gerade glücklich aus. Eben hat ihn ein Bekannter angerufen, der an der Küste einige Windräder betreibt. Trotz steifer Brise habe er seine Anlagen abschalten müssen. Der Grund: zu viel Strom im deutschen Netz. "Das kann einfach nicht sein", sagt Zuberbühler, der am Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoffforschung (ZSW) in Stuttgart für erneuerbare Energien zuständig ist. "Jedes Jahr werfen wir riesige Mengen Strom weg." Tatsächlich stehen Jahr für Jahr Windräder still und werden Solaranlagen heruntergeregelt, weil auf den deutschen Stromautobahnen Stau herrscht. Millionen Kilowattstunden verpuffen nutzlos.

Windräder stehen Tausende von Stunden still, weil im Stromnetz Stau herrscht

Vergeblich haben sich Fachleute in den letzten Jahren bemüht, das Problem mit dem Überschussstrom in den Griff zu bekommen und ihn "einfach wegzuspeichern", wie Fachmann Zuberbühler sagt. Ohne großen Erfolg: Der Superakku, der Millionen von Kilowattstunden Energie aufnehmen, über Wochen binden und dann ohne große Verluste wieder abgeben könnte, wurde nicht gefunden. Zu teuer, zu komplex, lautete meist das Fazit. Und auch die Idee, Millionen Akkus von Elektro-Autos als riesiges Speichersystem zu verwenden, steckt noch in den Kinderschuhen. Nach Berechnungen der RWTH Aachen könnten dieses als Vehicle to Grid (V2G) bezeichnete Modell unter Umständen einen Superspeicher erzeugen, der 70 Gigawatt Strom fasst – so viel wie 70 Atomkraftwerke Energie abgeben.

Nötig wären dazu aber etwa 20 Millionen Elektrofahrzeuge. Die wird es auf absehbare Zeit nicht geben. Doch ohne gigantische Speicher, die die Schwankungen des zickigen Ökostroms abfedern, droht der deutschen Stromversorgung der Kollaps, da sie auf einen steten Stromfluss aus Kraftwerken ausgelegt ist. Das hat auch die Bundesregierung erkannt und in ihrem Energiefahrplan der Entwicklung von Speichertechnologien einen zentralen Platz zugewiesen. Und tatsächlich sieht es so aus, als ob nach Jahren des Herumstocherns im technologischen Dickicht nun eine Methode in Sicht ist, die Zuberbühler vorausschauend schon mal mit einem Stein der Weisen vergleicht.

Zuberbühler steht im Hinterhof des Stuttgarter ZSW und deutet auf zwei große graue Container. "Das könnte uns einen Riesenschritt weiterbringen", sagt er. In der Versuchsanlage – die einzige ihrer Art weltweit – wird Strom, Kohlendioxid (CO2) und Wasser in Methan, sogenanntes Windgas, umgewandelt. Das Verfahren, der um eine einfache Elektrolyse angereicherte Sabatier-Prozess, ist altbekannt und stammt aus dem 19. Jahrhundert. Dem ZSW ist es mit dem Kasseler IWES-Institut und dem Stuttgarter Start-up-Unternehmen Solar Fuel Technologies gelungen, aus der reinen chemischen Reaktion eine voll funktionstüchtige Anlage zu machen. "Vorne kommt Windstrom rein, hinten kommt Methangas raus", sagt Zuberbühler.

Rückwärts gedacht: aus Strom wird Gas

Der eigentliche Geniestreich liegt aber woanders. Um die Energieprobleme zu lösen, dachten Ingenieure im Energiesektor bisher immer nur in eine Richtung: den Rohstoff Gas möglichst effizient zu verbrennen oder in Strom umzuwandeln. Daran, aus der Edel-Energie Strom krudes Erdgas zu erzeugen und damit die Energieprobleme der Zukunft zu lösen, wurde schlicht "nicht gedacht", wie Gregor Waldstein, Chef der Stuttgarter Firma Solar Fuel, sagt. Dabei sei das Verfahren "extrem bedeutend, um die Energiewende überhaupt umsetzen zu können".

Alle Voraussetzungen dafür sind jedenfalls gegeben: Anders als Strom lässt sich Gas in großen Mengen problemlos monatelang speichern. Mit dem deutschen Erdgasnetz steht zudem ein 440.000 Kilometer langes Geflecht aus Röhren und riesigen unterirdischen Kavernen bereit, das nur darauf wartet, mit Methangas vollgepumpt zu werden. Mit 220 Terawattstunden ist die Speicherkapazität des Gasnetzes derart gigantisch, dass Deutschland über Wochen mit Energie versorgt werden könnte. Ließe sich nur ein kleiner Teil davon als Windgas-Speicher nutzen, wäre nach IWES-Berechnungen auch ein vollkommen auf Ökostrom gepoltes Deutschland seine Speicherprobleme auf einen Schlag los.

Ein Problem gibt es aber noch: Unter den chemischen Umwandlungsschritten leidet die Wirtschaftlichkeit. Am Ende bleiben nur 30 bis 40 Prozent der eingesetzten Energie übrig. Verglichen mit dem Energieträger Erdöl würde sich die Methanisierung des Windstroms erst ab einem Preis von 220 Dollar je Barrel lohnen – dem Doppelten des heutigen Ölpreises. Der Attraktivität der Technologie scheint das keinen Abbruch zu tun. Beim ZSW arbeitet man an einer zweiten Anlage, die zehnmal so groß und viel wirtschaftlicher sein soll als das kleine Versuchsgerät im Hof. Seit man sich entschlossen habe, die Windgas-Technologie zu vermarkten, kämen schon mal US-Regierungsberater in seine Stuttgarter Firma, sagt Solar-Fuel-Chef Waldstein. Außerdem klopften regelmäßig Unternehmen aus der Gasbranche bei ihm an. Die Transportgesellschaft des Eon-Konzerns, Open-Grid-Europe zum Beispiel, sieht in dem Verfahren ein Mittel, seine Gasnetze besser auszulasten und unterstützt die Erprobung des Systems. "Für uns ist das Projekt eine klare Chance", sagt Open-Grid-Sprecher Nikolaus Schmidt.

1.500 Audi A3 sollen mit Erdgas aus Windenergie laufen

Und auch die Autoindustrie hat Interesse angemeldet. Für Audi soll das Stuttgarter Windgas-Konsortium nun eine Großanlage mit 6,3 Megawatt Leistung bauen – ein Vielfaches der Versuchsanlage am ZSW. Bis zu 1.500 gasgetriebene Audi A3 könnten so mit dem Öko-Gas jährlich 15.000 Kilometer weit fahren. Der kleine Gas-Audi – Kürzel TCNG – soll 2013 auf den Markt kommen. Für Audi ist das Projekt, in dessen Rahmen sich der Konzern auch in einen Offshore-Windpark in der Nordsee eingekauft hat, ein Mittel, die CO2-freie Mobilität auch auf Langstrecken möglich zu machen, bevor sich Elektroautos für Kurzstreckenfahrten auf breiter Front durchgesetzt haben.

In dem gesamten Wind-Gas-Projekt, durch dessen einzelne Prozessschritte entweder Windstrom, Wasserstoff oder eben Öko-Gas erzeugt werden kann, sehen die Ingolstädter die ideale energiewirtschaftliche Antwort auf ihre zukünftigen Mobilitätskonzepte, die eben auch auf grünem Strom, Brennstoffzellenfahrzeugen mit Wasserstoffantrieb oder Gasfahrzeugen fußen. Auch wenn die Wirtschaftlichkeit des Windgas-Verfahrens derzeit noch in weiter Ferne liegt, scheint die Euphorie an der grundsätzlichen Idee also bereits viele angesteckt zu haben. Solar-Fuel-Chef Waldstein liefert die Begründung für dieses sonderbare Phänomen gleich mit: "Unendlich viel Gas, das aus grüner Energie CO2-neutral gewonnen wurde – was kann man sich Besseres vorstellen?"