Fahrzeugentwicklung Mehr Schutz für Fußgänger

Volvo 2021 Foto: Volvo/ETM

Die verletzlichsten Verkehrsteilnehmer sind die Fußgänger. Um ihren Schutz zu verbessern, sind bereits viele Sicherheitssysteme entstanden. Neue Technik im Auto, aber auch außerhalb lässt sie weiter reifen.

Radfahrer tragen ja zumindest meist einen Helm, doch Fußgänger sind dem Verkehr völlig schutzlos ausgeliefert. Entsprechend hoch ist ihr Blutzoll. Denn im letzten Jahr verstarben 376 Fußgänger an den Folgen eines Verkehrsunfalls. Innerhalb der Gesamtzahl der im Verkehr umgekommenen 2.724 Menschen sind sie deutlich überrepräsentiert.

Die gute Nachricht ist, dass diese Zahlen sinken. Vor 40 Jahren kamen noch rund zehnmal so viele Fußgänger ums Leben wie 2020. Gesetzgeber und Industrie haben längst erkannt, dass sie die verletzlichsten Verkehrsteilnehmer besser schützen müssen.

Mindestanforderungen bei Crashtests sollten nicht mehr nur die Passagiere, sondern auch andere Verkehrsteilnehmer schützen. Chromglänzende Haifischzähne aus Stahl im Kühlergrill oder solide Zierleisten aus Aluminium sind bei einem Unfall brutale Waffen und daher längst passé. Vorderwagen werden seit Jahren gezielt auf den Fußgängerschutz hin ­optimiert. Dabei fallen nicht nur scharfe Kanten weg, auch unter dem Blech hat sich sehr viel getan. Teilweise helfen kleine Änderungen an Haubenschloss, Scheibenwischergestänge und Kotflügel-Schraubkanten oder das Absenken starrer Ag­gregate unter der Haube, um die Crashsicherheit zu verbessern.

Crashtests zeigen die Unterschiede

Auf diese konstruktiven Maßnahmen greifen alle Hersteller zurück, jedoch nicht alle gleichermaßen konsequent, wie die Crashtests von Euro NCAP zeigen. Vor allem aktive Systeme wie sich aufstellende Motorhauben (seit 2005, erstmals bei Jaguar) oder außen liegende Airbags (2012, Volvo) werden noch nicht flächendeckend eingesetzt.

Dabei könnte besonders der Airbag aus einem Dilemma heraushelfen. Schließlich lassen sich manche Bereiche des Vorderwagens nicht wirklich entschärfen, zuallererst die A-Säulen. Sie lassen sich nicht so gestalten, dass sie einen Kopf beim Crash weich auffangen. ­Airbags können sie abdecken, doch als unabdingbar gelten die Gaskissen unter Experten freilich nicht. Denn was nützt ein Airbag-gepolsterter Vorderwagen, wenn das Unfallopfer im sogenannten Sekundär­anprall auf dem Asphalt ­aufschlägt und sich dabei schwere Kopfverletzungen zuzieht?

Mehr intelligenter Schutz

Offenbar müssen der Kontakt mit dem Auto und der anschließende Aufprall auf der Straße berücksichtigt werden, wenn die Unfallzahlen weiter sinken sollen. Aktive Schutzmaßnahmen sind das Mittel zum Zweck und gehören inzwischen zum Standardrepertoire der Autohersteller, beispielsweise die Bremsassistenten.

Zunächst waren sie auf die Vermeidung von Unfällen mit anderen Autos ausgelegt, mittlerweile erkennen sie selbsttätig Radfahrer und Fußgänger, warnen den Fahrer und bremsen mit maximaler Stärke ab. Selbst wenn die Bremswege nicht immer ausreichend sein mögen, um einen Unfall ganz zu vermeiden: Jeder km/h weniger, den ein Auto beim Crash fährt, hilft, den Anprall verträglicher zu machen. Volvo war 2012 der erste Hersteller mit diesem System, das heute so weit verfeinert ist, dass auch Kollisionen beim Rückwärtsfahren vermieden werden können.

Intelligente Rohbaukonzepte und Innovationen bei den Rückhaltesystemen der S-Klasse

Intelligent bodyshell design and innovations in restraint systems of the S-Class Foto: Mercedes-Benz AG - Global Commun
Aktive Systeme wie Motorhauben, deren hinterer Rand sich aufstellt, um Abstand zu harten Motor­bauteilen zu schaffen, mildern den ­Frontalaufprall bereits seit 2005.

Im Bereich der aktiven Systeme ist noch eine ganze Reihe weiterer Schutzmaßnahmen zu erwarten, etwa beim Licht. Audi und Mercedes gehören zu den Vorreitern bei intelligenten LED-Scheinwerfern, die gezielt auf Hindernisse hinweisen können und diese anleuchten, damit der Fahrer beispielsweise auf Personen am Fahrbahnrand aufmerksam wird. Dabei ist die Technik schon so clever, dass sie, um eine Blendung zu vermeiden, zwar die Körper, nicht aber die Köpfe anstrahlt.

Weniger sinnvoll sind dagegen Nachtsichtgeräte, die Personen oder Tiere auf dem Display im Cockpit anzeigen. Hier muss der Fahrer von der Straße wegschauen, um die Gefahrensituation zu erkennen. Autonome Fahrzeuge werden per Lichtsignatur auf Personen am Straßenrand hinweisen.

Audi Nachtsichtassistent 2021 Foto: Audi
Der Nachtsichtassistent von Audi zeigt Fußgänger im Display an.

Noch in der Vorentwicklung stecken Technologien, bei denen Personen mit Transpondern in Rucksack oder Tasche unterwegs sind, die sich via Car-to-X, also per Funk, mit der Infrastruktur austauschen. Sie können Autos auf sich aufmerksam machen, obwohl sie möglicherweise hinter einer Hausecke oder einem anderen Auto verborgen und nicht sichtbar sind.

Mercedes-Benz S-Klasse, V 223, 2020

Mercedes-Benz S-Class, V 223, 2020 Foto: Mercedes-Benz AG - Global Commun
Das Mercedes-Multibeam-Licht hebt Fußgänger besonders hervor.

Möglicherweise sind solche Transponder aber gar nicht nötig, weil intelligente Kameras und Sensoren an Kreuzungen Fußgänger und ihre Bewegungsrichtung erkennen und diese Infos anonymisiert an die Autos in der Nähe melden.

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Obwohl diese Technik ein wenig an die umfassende Überwachung in George Orwells Roman "1984" erinnert, hat sie ein großes Potenzial, die Zahlen der Unfälle mit Fußgängern künftig weiter zu senken – möglicherweise sogar um 376 Personen pro Jahr.