Falsche Tempomessung Streit um Blitzer

Radar 2021 Foto: Wilhelm Strasser

Behörden und Gerichte streiten um ein Radargerät. Dabei geht’s um falsche und fehlende Daten. Jetzt liegt der Fall sogar beim Bundesverfassungsgericht.

Mit dem mobilen Radargerät Leivtec XV3 wurden Tausende Autofahrer geblitzt, Zigtausende Euro an Bußgeld wurden kassiert. Doch am 12. März 2021 veröffentlichte die Aufsichtsbehörde in einem Gutachten, dass das Gerät fehlerhaft misst. Auch der Hersteller, die Leivtec Verkehrstechnik GmbH, warnte Städte und Kommunen, von amtlichen Messungen erst einmal abzusehen. "Ein einmaliger Vorgang", kommentiert Johannes Priester, Sachverständiger aus Saarbrücken, diesen Vorgang.

Die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig prüfte das nach und stellte ebenfalls Abweichungen fest. Teils zugunsten, aber auch zum Nachteil der Geblitzten. Letzteres, wenn das Messgerät am linken Fahrbahnrand platziert war. Für die Betroffenen ist das mehr als ärgerlich. "Schon 1 km/h zu viel kann über ein Fahrverbot entscheiden", sagt Experte Priester.

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Der Vorgang ist heikel, nicht nur für die Aufsichtsbehörde, die Leivtec XV3 zugelassen hat. Nach Meinung von Juristen poppt hier ein grundsätzliches Problem auf. "Seit Jahren werden keine Rohmessdaten mehr gespeichert und uns, falls notwendig, zur Verfügung gestellt", bemängelt Priester. Auch Straßenverkehrsbehörden und Sachverständige vermissen die Originaldaten, mit denen sich fehlerhafte Geräte schneller entlarven ließen.

Nach Meinung des Deutschen Anwaltvereins (DAV) haben Tempo­sünder kaum Chancen auf ein faires Verfahren. "Die Oberlandesgerichte haben sich noch nicht entschlossen, diesen Missstand rechtlich zu ahnden", sagt der DAV-Vorsitzende Gerhard Hille­brand. Scheinbar aus Angst, dass jeder Anwalt künftig erst einmal diese Daten für seinen Mandanten anfordern könnte. Das würde die Massenverfahren rund um Geschwindigkeitsverstöße enorm in die Länge ziehen und den Gerichten viel Arbeit verursachen.

Gerichte befürchten eine Verfahrenswelle

Doch der aktuelle Rechtszustand ist untragbar. "Wir wissen nicht, wie viele Autofahrer heute zu Unrecht eine Geldstrafe oder gar ein Fahrverbot kassiert haben", kritisiert Hillebrand. Jeder Geblitzte müsste auf solche Daten zugreifen können, die nicht in die Gerichtsakte aufgenommen wurden, aber grundsätzlich "entstanden und vorhanden" sind. Der DAV hofft nun auf eine schnelle Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Anhängig ist ein Verfahren gegen einen vermeintlichen Raser, der sich vor dem Amtsgericht Duderstadt und dem Oberlandesgericht Braunschweig nicht durchsetzen konnte.

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Im Zentrum des Verfahrens stehen wieder das Messgerät Leivtec XV3 und die fehlenden Rohdaten. Das höchste Gericht soll nun klären, ob Autofahrer in ihren Grundrechten eingeschränkt werden, wenn sie keine Chance haben, ihre Unschuld zu beweisen (BVerfG, 2 BvR 1167/20). Auf dieses Verfahren könnten sich nun betroffene Autofahrer berufen, die keinen Zugriff auf Rohmessdaten erhalten.

Die Juristen des DAV raten aber, schon früh Grundlagen für eine Verteidigung zu legen und gleich bei der Bußgeldstelle die Akte und den Messfilm anzufordern. Ebenso die Lebensakte des Radargeräts und den sogenannten Eichschein. Auch die Befähigung des Beamten sollte geprüft werden. Vielfach ließe sich so ein Bußgeld oder Fahrverbot umgehen. Ohne Anwalt dürfte das jedoch schwierig werden. Und ohne Rechtsschutzversicherung sehr teuer.