Halterhaftung Zur Kasse, bitte

Blitzer Starenkasten Foto: Fotolia

Können Temposünder nicht ermittelt werden, will der Staat die Fahrzeughalter in die Pflicht nehmen. Für Fuhrparkleiter wäre das der blanke Horror.

Zu schnell unterwegs gewesen, bei Rot über die Kreuzung gefahren? In solchen Fällen drohen empfindliche Strafen: Bußgeld, Punkte, ja Fahrverbot. Zu Recht. Allerdings muss die Behörde den Fahrer zweifelsfrei ermitteln. Doch häufig ist das Blitzerfoto unscharf oder die Person kann nicht identifiziert werden. Deshalb drängen Polizei und Staatsanwälte zu einer heiß umstrittenen Patentlösung: Ist der Fahrer nicht zu ermitteln, sollen die Behörden den Halter des Autos belangen dürfen. Der ist aber nachweislich nicht gefahren? Macht nichts. Pech gehabt. Immerhin ist die Sache ja mit seinem Auto passiert.

"Für Fuhrparkleiter wäre dies der blanke Horror. Das Unternehmen würde als Halter der Fahrzeuge mit Schreiben der Bußgeldstelle überschwemmt. Zu klären, wer wann mit welchem Auto unterwegs war, kostet Zeit und Kraft. Und wenn der Fahrer nicht festgestellt werden kann, würde das Unternehmen zur Zahlung verdonnert. Meldet sich dann der Fahrer aus Loyalität zu seiner Firma und zahlt das Geld zurück, ergibt sich ein gewaltiger Buchungsaufwand", erklärt Thomas Fürth, selbstständiger Fuhrparkberater und Geschäftsführer von TF Fuhrpark-Consulting. Noch viel aufwendiger und komplizierter wäre es in den Fällen, in denen die Firmenwagen auf eine Leasinggesellschaft laufen.

Die Hälfte der geblitzten Autofahrer kommen unerkannt davon

Die Aktion Halterhaftung hat namhafte Fürsprecher, den einstigen Generalbundesanwalt Kay Nehm, der heute Präsident des Deutschen Verkehrsgerichtstages (VGT) ist. Er setzt sich vehement für die Halterhaftung im fließenden Verkehr ein. Ebenso wie Rainer Wendt, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG): "Der Halter weiß normalerweise, wer gefahren ist." Laut DPolG kommen 50 Prozent aller geblitzten Autofahrer unerkannt davon. Nehm und Wendt verteidigen ihre Bestrebungen mit dem Argument, dass in Frankreich, den Niederlanden, Österreich und auch Ungarn eine solche Halterhaftung praktiziert wird.

Das Bundesverfassungsgericht sieht das aber anders. Schon 1996 und 2009 stellte es unmissverständlich klar, dass dieses Herangehen bei Halte- und Parkdelikten in Ordnung ist, nicht aber auf den fließenden Verkehr übertragen werden dürfe. Für die roten Roben in Karlsruhe geht es um nicht weniger als den Grundsatz "keine Strafe ohne Schuld", der Verfassungsrang hat. "Dieses Schuldprinzip ist ein fundamentaler Grundsatz. Da kann man nicht sagen, dass der für angebliche Bagatellen wie Bußgelder nicht mehr gelten soll", sagt Rechtsanwalt Michael Burmann vom Deutschen Anwaltverein. ADAC-Verkehrsanwalt Markus Schäpe ergänzt: "Es gibt Leute, die das Schuldprinzip bei Steuerstraftätern gewahrt sehen wollen, aber nicht bei den kleinen Sündern im Straßenverkehr. Man kann und darf da aber keinen Unterschied machen."

Nur zehn Prozent der Temposünder wehren sich gegen einen Bußgeldbescheid

Der Berliner Verkehrsrechtler Gregor Samimi versteht nicht, auf welche Daten und Fakten sich die Befürworter einer Halterhaftung stützen: "Nur zehn Prozent der ertappten Geschwindigkeitssünder wehren sich überhaupt gegen einen Bußgeldbescheid. Im Amtsgericht Berlin Tiergarten ist nach meiner Kenntnis die Zahl der Bußgeldverfahren so stark gesunken, dass Richterstellen eingespart werden." Da die Befürworter der Halterhaftung immer das Argument der Verkehrssicherheit anführen, ist ein Blick auf die Erfahrungen der Niederlande nützlich, in denen die Halterhaftung gilt. Aufgrund des rigorosen Vorgehens gegen die Fahrzeughalter werden dort 99,5 Prozent aller registrierten Verkehrssünden geahndet. Der Verkehrssicherheit hat das kaum etwas gebracht. Wohl aber dem Staat, der jährlich eine Milliarde Euro Bußgelder einkassiert. Auf Deutschland hochgerechnet, würde das jährlich fünf Milliarden Euro in die notorisch klammen Kassen der öffentlichen Hand spülen.

"Es heißt ja immer, Bußgelder, Punkte und Fahrverbot würden dazu dienen, die Verkehrssünder zu erziehen", sagt ADAC-Anwalt Schäpe, "aber das wäre ja nun nicht mehr der Fall. Kommt der Temposünder ohne Sanktionen davon und der Halter muss zum Beispiel 100 oder 200 Euro zahlen, dann verpufft jeglicher Erziehungseffekt. Selbst wenn der eigentliche Fahrer dem Halter das Strafgeld erstattet, hat er genau das erreicht, was fast alle Temposünder wollen, nämlich auf jeden Fall Punkte und Fahrverbot vermeiden". "Man kann es drehen und wenden, wie man will. Ob man die verfassungsrechtlichen Probleme betrachtet oder sich die Fragwürdigkeit der angeblichen verkehrspolitischen Erziehung vor Augen führt, die Einführung der Halterhaftung für den fließenden Verkehr ergibt keinen Sinn", erklärt Fuhrparkberater Fürth, "damit würde man die Ziele unseres Bußgeldsystems ad absurdum führen. Soll doch die Polizei ordentliche Beweisfotos machen. Das ist schließlich ihr Job, für den sie vom Steuerzahler bezahlt werden."

Die rechtliche Seite der Halterhaftung

Hinter dem Begriff der Halterhaftung verbirgt sich der Paragraf 25a des Straßenverkehrsgesetzes (StVG), der den Titel trägt: "Kostentragungspflicht des Halters eines Kraftfahrzeugs". Darin ist geregelt, dass dem Halter eines Kraftfahrzeugs die Kosten eines Bußgeldverfahrens wegen eines Halt- oder Parkverstoßes auferlegt werden können. Dabei geht es nur um die Kosten des Verfahrens, nicht das eigentliche Bußgeld. In der Regel werden für das Verfahren 15 Euro fällig. Dazu kommen 3,50ß Euro für die Zustellung des Kostenbescheids.