Interview mit Volker Mornhinweg "Mehr als nur ein Transporter-Hersteller“

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Daimler möchte sich vom Fahrzeug-Hersteller zu einem Anbieter ganzheitlicher Transportlösungen entwickeln. Volker Mornhinweg, Leiter Mercedes-Benz Vans, über die Neuausrichtung.

Bisher baut Daimler seinen Kunden Transporter speziell für deren Branche. Ein Markt, der allerdings seine Grenzen hat. Wer wachsen will, muss sich nach neuen Geschäftsfeldern umschauen. Genau das macht Daimler nun. Der Konzern denkt sich tief in die Arbeitsabläufe und Prozesse der Kunden ein. Und das eben auch abseits des Transporters. Ziel ist es, aktuelle und künftige Anforderungen an das Tagesgeschäft zu identifizieren, Lösungen hierfür zu schaffen und den Arbeitsablauf des Kunden effizienter zu gestalten. Dafür forscht Daimler seit zwei Jahren an insgesamt neun Pilotprojekten, aus denen sich in naher Zukunft neue Geschäftsmodelle für die Transportbranche entwickeln sollen. Alle Pilotprojekte laufen unter dem Begriff Mercedes-Benz Advance zusammen. Die neun Pilotprojekte erstrecken sich über drei Themenfelder: Konnektivitäts- und IoT-Anwendungen (Internet of Things), Hardware-Lösungen für die Transportbranche und alternative Mobilitätskonzepte.

Herr Mornhinweg, Mercedes möchte in Zukunft Lösungen anbieten, welche die gesamte Wertschöpfungskette der Kunden optimiert. Was gab den Anstoß zu dieser Offensive?

Vier Jahre  hintereinander haben wir nun Rekorde in der Van-Sparte hingelegt. Die Geschäfte laufen sehr gut und unsere Kunden sind zufrieden. Wir sind also in einer Position der Stärke. Dennoch versuchen wir stetig, uns weiter zu entwicklen.Wir schauen uns laufend um, welche Themen das Transportgewerbe bewegen. Zwei sind uns dabei besonders ins Auge gestochen: Urbanisierung, die in den letzten Jahren massiv an Fahrt aufgenommen hat. Das zweite Thema ist die Vernetzung. Es ist erstaunlich, welche Prozesse mit einem einfachen Barcode auf einem Produkt heute schon automatisiert werden können. Vor rund zwei Jahren haben wir begonnen, uns intensiv mit diesen Themen zu befassen. Unser Ansatz: Wir wollen uns von einem erfolgreichen Fahrzeughersteller zu einem Anbieter von Gesamtsystemlösungen entwickeln. 

Um welche Lösungen handelt es sich dabei konkret?

Wir rücken drei Anwendungsfelder in den Fokus. Zum einen die Vernetzung verschiedenster Technologien mit dem Transporter. Da geht es beispielsweise um ein erweitertes Flottenmanagementsystem, intelligente Teilemanagementsysteme etwa für Servicetechniker und Handwerker oder automatisierte Prozessketten für Kurierdienste. Ein weiterer Punkt ist ein neuer Ansatz bei Fahrzeugeinrichtungen. Mit automatisierten Laderaumsystemen beschleunigen wir zum Beispiel die Be- und Entladung von Zustellfahrzeugen. Im Transportgewerbe spielt das Thema letzte Meile eine große Rolle. Wir verknüpfen hier bestehende mit ganz neuen Technologien, wie Drohnen und Roboter. Dritte Säule ist das Thema Mobilität. Neben neuen Leasing- und Mietmodellen treiben wir Konzepte zu einer schnellen, individuellen Personenbeförderung voran. 

Das hat mit Ihrer bisherigen Kernarbeit, Transporter zu entwickeln, wenig zu tun. Wie sind Sie mit Ihrem Team diese neuen Projekte angegangen?

Wir waren beispielsweise im Silicon Valley und in New York und haben unsangeschaut, wie Start-up-Unternehmen Dinge anpacken. Wir sahen es als große Chance, uns mit diesen jungen und kreativen Unternehmen im Zusammenschluss weiterzuentwickeln. Intern gründeten wir daraufhin die Abteilung Future Transportation Systems mit Mitarbeitern in Stuttgart, Berlin und im Silicon Valley. Mittlerweile beschäftigen sich rund 200 Van-Mitarbeiter mit Zukunfts-Themen.

Worin unterscheidet sich die neue Abteilung Future Transportation Systems von anderen?

Die Regularien und vor allem die Entwicklungszyklen sind in unserem klassischen Geschäft ganz andere. Im Automobilbau müssen wir durch gesetzliche Vorgaben, beispielsweise bei Sicherheit und Emission der Fahrzeuge, sehr akribisch arbeiten. Das nimmt viel Zeit in Anspruch. Wir würden mit keinem Transporter auf den Markt gehen, der diesen Regularien und unseren eigenen Qualitätsansprüchen nicht zu einhundert Prozent entspricht. Unsere neue Abteilung Future Transportation Systems kann in ihren spezifischen Themen, Prozesse schneller anstoßen und umsetzen.  Jeden Tag kommen neue Ideen auf. Wir nennen den Bereich unsere Denkfabrik, die sich ausschließlich mit Business-Lösungen für unsere Van-Kunden auseinandersetzt und mit einem neuen, ganzheitlichen Ansatz auf unsere Kunden eingeht.

Waren auch Unternehmen aus den jeweiligen Branchen an der Entwicklung beteiligt?

Natürlich haben wir interessierte Kunden in die Projekte mit eingebunden und dabei ihre gesamten Arbeitsprozesse untersucht. Dafür haben unsere Mitarbeiter die Kunden in ihrem Arbeitsalltag über mehrere Wochen begleitet. So konnten wir Schwachstellen aufdecken. Mit neuer Software oder Hardware versuchen wir ihre Abläufe effizienter zu gestalten. Daraus sind die drei Schwerpunkte der Initiative mit ihren jeweiligen Produkten und Dienstleistungen sukzessive entstanden.

Einige Lösungen, wie das automatisierte Laderaummanagement, haben mit dem Fahrzeug direkt nichts zu tun. Wie kommt es, dass hier beispielsweise die KEP-Branche noch nicht selbst innovativ war? 

Wir sehen noch Potenzial beim Fahrzeug selbst, beziehungsweise bei den Schnittstellen zum Fahrzeug. Eine Optimierung in diesem Bereich sehen wir als Transporter-Hersteller auch als unsere Aufgabe. Genau dort setzten wir an. 

DHL baut seine Transporter neuerdings selbst und wird zum Fahrzeughersteller. Amazon entwickelt sich zum Kurierdienst mit eigener Flugzeugflotte. Wo geht die Reise für Daimler hin, mit so viel neuem Know-how?

Wir werden morgen bestimmt nicht zum Paketzusteller. Auch mit den neuen Produkten bleiben wir weiterhin Dienstleister für unsere Kunden. Immer neuere Technologien und der dadurch einhergehende Wandel im Arbeitsablauf unserer Kunden zeigt aber, dass wir heute wesentlich weiter denken müssen. Nehmen wir unsere Mobilitätsplattform Car2Share cargo. Der Trend geht weg vom gekauften Transporter über die flexible Langzeit- bis hin zur Kurzzeitmiete. Viele Firmen können ihre Flotte nicht dauerhaft auslasten und suchen nach flexibleren Lösungen. Diese Flexibilität wollen wir künftig anbieten. Das könnte über das reine Fahrzeugmanagement hinaus gehen, und wenn zusätzlich ein Fahrer gesucht wird könnten sie auch diesen von uns bekommen. Es gibt in Zukunft also keine Beschränkungen mehr, wenn es darum geht die Arbeitsprozesse unserer Kunden effizienter zu gestalten.

Bislang ist nur Car2Share cargo für den Endkunden zu haben. Welche der neuen Pilotprojekte sind als nächstes marktreif?

Auf der IAA stellen wir einzelne Lösungen konkret zur Vermarktung vor. Andere brauchen allerdings noch Zeit und werden weiter entwickelt. Bei unserer Fahrzeug-Studie Vision Van steht auch der Elektroantrieb im Vordergrund. Der eignet sich für den städtischen Kurierdienst mit kurzen Strecken hervorragend. Einen ersten Vorstoß in der Elektromobilität hatten wir 2011 mit dem Vito E-Cell gewagt. Von dem haben wir bis heute an die 1.000 Fahrzeuge auf den Markt gebracht. An der Technologie arbeiten wir seither kontinuierlich weiter. Damals hat sich die Elektromobilität allerdings nicht durchgesetzt. Ich habe aber das Gefühl, dass die Zeit für die E-Mobilität in bestimmten Branchen reif geworden ist. Unsere Kunden fragen wieder mehr nach Elektro-Transportern. Sollte die Nachfrage nachhaltig bleiben, sind wir vorbereitet. Und auf der IAA hören Sie dazu auch noch mehr von uns.