Kay Lindemann vom VDA Die Konzepte zur Pkw-Maut überzeugen nicht

Dr. Kay Lindemann Foto: Karl-Heinz Augustin

Interview mit Dr. Kay Lindemann, Geschäftsführer des Verbands der Automobilindustrie (VDA).

FIRMENAUTO: Herr Dr. Lindemann, das Verkehrsgeschehen in Deutschland wird in den nächsten Jahren von einer großen Koalition gelenkt. Worauf stellen Sie sich ein?

Lindemann: Wir stellen uns auf Kontinuität ein und denken, dass eine große Koalition Verkehr und Innovationen weiter ermöglichen und nicht behindern wird. Die Verlängerung des Feldversuchs mit Lang-Lkw wird hierbei der Lackmustest sein. Sorgen machen wir uns aber bei der Infrastrukturfinanzierung. Geld aus dem Haushalt ist genug da, was die hohen Steuereinnahmen 2012 und die Schätzungen für 2013 zeigen. Bei vielen dürfte trotzdem die Verlockung groß sein, Rosinenpickerei zu betreiben und weiteres Geld über ein Ausweiten der Lkw-Maut erzielen zu wollen. Das gilt erst recht nach Vorlage der Ergebnisse der Bodewig-Kommission.

Für Diskussionsstoff sorgt derzeit doch eher eine Pkw-Maut, oder?

Noch diskutieren alle über eine Pkw-Maut. Es besteht aber die Gefahr, dass am Ende der Weg des geringsten Widerstands gegangen wird und diejenigen noch stärker belastet werden, die ohnehin schon stark getroffen sind: die Transportunternehmer. Der VDA kann hiervor nur warnen.

Befürchten Sie nicht, dass alles auf eine Pkw-Maut hinausläuft?

Meine Sorge ist, dass man im Zuge der Pkw-Maut-Debatte als weiteren oder alternativen Baustein der Nutzerfinanzierung eine Ausweitung der Lkw-Maut prüfen könnte. Das Gewerbe darf aber nicht der Leidtragende sein und die Zeche in Form dieses Kompromisses zahlen. Sowohl eine Ausweitung auf das gesamte Bundesstraßennetz als auch auf Lkw unter zwölf Tonnen würde eine überproportionale Belastung der deutschen Firmen darstellen.

Wäre der VDA bereit, seinen Beitrag in Form einer Pkw-Maut zu leisten?

Die Konzepte für eine Pkw-Maut überzeugen weder fiskalisch noch europarechtlich. Wenn wir über ein Steuervolumen von 615 Milliarden Euro im Jahr 2013 über alle Gebietskörperschaften sprechen, bedeutet das ein Rekordniveau. Die Einnahmen sollen bis 2017 auf mehr als 700 Milliarden Euro steigen. Da muss es doch möglich sein, einen zusätzlichen Betrag für Zukunftsinvestitionen im Bereich der Infrastruktur bereitzustellen. Schade ist auch, dass nie jemand über die Möglichkeit von Effizienzreserven spricht.

Soll heißen?

Die Bodewig-Kommission weist ja auf ein Effizienzpotenzial von zehn Prozent in
der Infrastrukturbereitstellung und  -bewirtschaftung hin. In Zahlen bedeutet das immerhin bis zu einer Milliarde Euro. Der Bund stellt die Investitionsmittel für die Bundesverkehrswege zur Verfügung, die von den Ländern bewirtschaftet werden. Keiner stellt die Frage, ob das auf modernen betriebswirtschaftlichen Strukturen beruht, die Effizienzreserven bieten. Das wäre so, als wenn wir ein Mehrfamilienhaus über 17 Etagen besitzen würden und jede Etage von einer anderen Hausverwaltung bewirtschaftet würde. Das kann nicht effizient sein. Diese Fragen sind aber offenbar viel unbequemer als das weitere Drehen an der Gebührenschraube.

Letzteres droht auch in Zusammenhang mit der Lkw-Maut. Wie geht der VDA mit der versprochenen, aber weiter ausstehenden Mautspreizung zugunsten von Euro-6-Lkw um?

Die Bundesregierung steht hier im Wort. Hätte sie die Mautspreizung rechtzeitig verabschiedet, wäre heute der Anteil  verkaufter Euro-6-Lkw wesentlich höher. Im September lag dieser Anteil bei 30 Prozent, über das Jahr gerechnet bei 25 Prozent. Das ist relativ niedrig. Es gibt also derzeit noch einmal einen Run auf Euro-5-Lkw – mit allen Risiken für das Jahr 2014.

Droht dann der Einbruch?

Das hängt von der Konjunktur, aber auch von den politischen Entscheidungen ab. Die Bundesregierung hätte jetzt noch die Chance, zu handeln und dem Transportgewerbe eine klare Ansage zu geben, was bei der Mautgestaltung zu erwarten ist. Dann würde sich auch die Investitionsbremse lösen.

Ein kurzer Schwenk zum Thema Luftreinhaltung. Stuttgart ist Feinstaub-Hauptstadt und versucht, das nun unter anderem auch mit flächendeckenden Tempolimits in den Griff zu bringen. Alternativ könnte man den Verkehr mit intelligenter Steuerung besser fließen lassen. Könnte der VDA hier helfend eingreifen?

Im kommunalen Bereich muss immer wieder der individuelle Verkehr dafür herhalten, umweltpolitische Ziele zu erreichen. Doch der Einfluss von allen nicht verkehrsrelevanten Ursachen ist bei weitem größer. Innerstädtisch sind ja 50 km/h vorgeschrieben. Wer diese Geschwindigkeitsgrenze weiter absenken will, muss wissen, dass der Motor eines Autos dann in einem deutlich schlechteren Betriebspunkt arbeitet und damit einen höheren Kraftstoffverbrauch aufweist. Jede Kommune sollte darauf hinarbeiten, den innerstädtischen Verkehr möglichst fließend zu halten. Das bringt weniger Lärm,
weniger Spritverbrauch und weniger Schadstoff.

Sollten dann Politik, Telematikdienstleister und Automobilhersteller nicht enger zusammenarbeiten?

Eines der ganz großen Themen der diesjährigen IAA war das vernetzte Fahren. Wir rechnen damit, dass es beim Datenaustausch zwischen den Autos und der Infrastruktur bald einen Quantensprung gibt. Das wird hoffentlich die Politik im kommunalen und regionalen Bereich dazu ermuntern, intelligent und nicht dirigistisch vorzugehen.

Ein anderes Thema auf der IAA waren Hybridfahrzeuge. Warum kommen die nicht so richtig bei den Käufern an?

Die Markteinführung von Plug-in-Hybriden steht ja erst bevor. Bis Ende 2014 bringen allein die deutschen Hersteller 16 Serienmodelle mit alternativen Antrieben auf die Straße, darunter zahlreiche Plug-in-Hybride. Diese haben zwei Vorteile: Auf der kurzen Strecke, also im Stadtverkehr, können sie emissionsfrei fahren und auf der Langstrecke gibt es kein Reichweitenproblem. Ich bin davon überzeugt, dass diese intelligenten Lösungen, die unsere Hersteller jetzt anbieten, vom Markt gut aufgenommen werden. Dazu zählt auch das rein batterie-elektrische Fahrzeug.

Still ist es auch um die Brennstoffzelle geworden. Jetzt soll aber doch ein Tankstellennetz aufgebaut werden.

Brennstoffzellen- und Wasserstoffautos bleiben im Spiel. Wasserstoff ist eine wichtige Option, vor allem im Hinblick auf mögliche Verbrauchsziele über das Jahr 2020 hinaus. Ebenfalls hoch interessant ist  Erdgas, das zudem international getrieben ist. Die USA werden derzeit zum weltweit größten Erdgasförderland. Das hat einen enormen Einfluss auf die Verfügbarkeit und Preise dieses Kraftstoffes auch hier in Europa. Erdgas ist sauber, effizient und CO2-arm. Unsere Hersteller haben auch dazu entsprechende Modelle im Angebot – vom Kleinwagen bis zur oberen Mittelklasse.

Über Dr. Kay Lindemann

Dr. Kay Lindemann (41) promovierte 1999 nach dem Studium der Rechtswissenschaften in Deutschland und Großbritannien. Ab 2002 war er in verschiedenen leitenden Positionen für den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) tätig. Seit 2008 koordiniert Dr. Lindemann die politische Arbeit des VDA in Berlin und Brüssel. 2010 wurde er in die Geschäftsführung aufgenommen.