Wege aus dem Verkehrskollaps Wie sich Lieferdienste in Städten wandeln

Transporter bei Nacht Foto: Fotolia

Städte müssen lebenswert bleiben. Deshalb überlegen die Kommunen, wie sich Lieferverkehre bündeln, in die Luft verlagern oder ganz vermeiden lassen.

Heute bestellt, morgen geliefert, das Internet macht’s möglich. Die Kehrseite: Jeder Klick auf den Bestellbutton sorgt für zusätzlichen Verkehr. Jahr für Jahr stellen Post, Paket- und Kurierdienste Milliarden von Sendungen zu. Und es werden stetig mehr, denn Verbraucher bestellen immer öfter auch Lebensmittel, Möbel und Heimwerkerbedarf online. Zusätzlich wollen Handel und Gastronomie beliefert werden. Kein Wunder, dass in vielen Städten und Metropolregionen der Verkehr zu kollabieren droht.

"Der Onlinehandel boomt und ist etablierter Einkaufsort für jeglichen Bedarf", sagt Christoph Wenk-Fischer, Geschäftsführer des Bundesverbandes E-Commerce und Versandhandel. Die letzte Meile, also die Zustellung an den Endempfänger, belastet die gesamte Infrastruktur. Der Lieferverkehr verursacht rund ein Drittel des innerstädtischen Verkehrs. Was gestern online bestellt wurde, steht heute im Stau und verpestet die Luft. Denn Post- und Paketdienste sind noch überwiegend mit Dieselfahrzeugen unterwegs.

Doch die Paketdienste erproben in vielen Innenstädten, wie eine lokal emissionsfreie Paketzustellung aussehen kann – und das nicht erst, seit Diesel-Fahrverbote drohen. "Wir nehmen unsere Verantwortung als Transportunternehmen für den Umweltschutz und für die Luftreinhaltung wahr", versichert Oliver Lanka, Fuhrparkleiter von Hermes. Der Paketdienst will jährlich mindestens zwei Prozent CO2 in dem Transportbereich sowie 3,5 Prozent an den Standorten einsparen. Und auch die Deutsche Post DHL Group hat sich auf die Fahnen geschrieben, bis 2025 für 70 Prozent der Zustell- und Abholfahrten saubere Fahrzeuge einzusetzen.

Mikro-Depots Foto: UPS
Seit 2015 betreibt UPS ein Mikro-Hub-Konzept in der Innenstadt von Hamburg. Deutschlands erster großer und erfolgreicher Test eines Logistikkonzepts mit Lastenfahrrädern in der Paketzustellung gilt als wegweisend für andere Städte.

Mikrodepots, Lastenfahrräder, Elektro-Transporter und elektrisch angetriebene Kleinfahrzeuge sind dabei wichtige Bausteine ebenso wie Paketshops, Packstationen oder die Zustellung an den Arbeitsplatz. So werden beispielsweise derzeit Roboter als Paketboten erprobt. In Hamburg sind sie für Hermes oder den Pizza-Lieferdienst Dominos unterwegs. Die Deutsche Post testet derzeit den selbstfahrenden Roboter Postbot in Bad Hersfeld.

Auch autonomes Fahren wird ein Thema für die Paketdienste. So könnte sich ein automatisierter Transporter selbst eine Parklücke suchen, während sein Zusteller das Paket beim Kunden abgibt. Weiteres Szenario: Derzeit starten jeden Morgen 50 DPD-Paketautos vom Depot in Ludwigsburg aus in die Innenstadt von Stuttgart. Durch Platooning sei vorstellbar, dass nur noch im vordersten Auto ein Fahrer sitzt und die anderen Transporter automatisch folgen. Der Zustellfahrer steigt dann erst in der Nähe seines Tourgebietes ein.

Lastenrad Foto: DPD
DPD setzt in Hamburg seit Anfang 2017 Elektro-Lastenräder ein. In Nürnberg hat der Paketdienste schon mehr als 80.000 Päckchen per E-Lastenrad emissionsfrei zugestellt. Dort ersetzen fünf Räder fünf herkömmliche Transporter nahezu vollständig.

Dass Handlungsbedarf besteht, haben die Städte längst erkannt. So will beispielsweise Hamburg mit dem Projekt Smart last Mile Logistics (Smile) die Lebensqualität in der Elbmetropole erhalten. Die Hafenstadt sehnt sich nach besserer Luft, weniger Lärm und nach mehr Verkehrsfluss. Doch wie soll das vonstatten­gehen? Dazu bedarf es neuer und effizienter Konzepte. "Wir ­wollen Smile in die urbane Mobilität und Logistik einbauen, also intelligente Verkehrssysteme vernetzen", erläutert Hans Stapelfeldt, Manager der Logistik-Initiative Hamburg für Intelligent Transport Systems (LIHH). Seine Erkenntnis: Bloß mit einem Gesamtkonzept für die Stadt ist es nicht getan. Privatwirtschaft und öffentliche Hand sollen unter der Federführung der LIHH gemeinsam entwickelte Leuchtturm-Projekte einrichten, über einen Zeitraum von zwei bis drei Jahren erproben und abschließend bewerten.

Smile soll sich dafür einsetzen, dass mehr Lieferdienste umstellen auf alternative Antriebe. Paketdienste sind hier bereits weit: Sie setzen zunehmend Elektrofahrzeuge und Lastenfahrräder ein. Bis Ende 2019 wollen sie in Hamburg sogar komplett emissionsfrei zustellen. Aber Lkw mit alternativen Antrieben sind noch rar oder nicht verfügbar. Vorstellbar ist jedoch, künftig den großen stationären Handel und Restaurants mit Erdgas-Lkw zu beliefern – auch nachts, weil sie etwas leiser sind als Diesel. "Die bestehende Infrastruktur kann ebenfalls intelligenter genutzt werden", sagt Stapelfeldt. So ließen sich beispielsweise Trans­port­boxen oder Rollcontainer zu Paketshops in S-Bahnstationen befördern oder Busse als Sammel-Transporter für Retouren einsetzen. Fleet-Schiffe könnten von City-Hubs in Hafengebieten aus Restaurants beliefern oder Müll entsorgen.

E-Mobilität bei KEP-Diensten Foto: Hermes
Hermes nimmt bis 2020 1.500 elektrische Zustellfahrzeuge von Mercedes in Betrieb.

Im Rahmen von Smile ist zudem vorgesehen, alternative Zustellpunkte einzurichten, um wiederholte Zustellungen zu vermeiden. Vorstellbar wäre etwa ein flächendeckendes Netz von Paketboxen, das die KEP-Dienste gemeinsam nutzen. Die könnten in Wohn­gebie­ten oder beim Einzelhandel stehen. Auch Annahmestellen in Unternehmen sind denkbar, in U- und S-Bahnhöfen, zentralen Bushaltestellen oder Universitäten. Die Zustellung in Kofferräume von Privatfahrzeugen wird ebenfalls getestet, unter anderem von Daimler, VW, BMW oder Volvo. Dabei geht es nicht nur um Pakete oder Päckchen. So könnte die Reinigung die sauberen Hemden im Kofferraum deponieren oder der Supermarkt den Einkauf. Das Thema "Innerstädtische Gütermobilität neu denken" ist auch ein Baustein der Initiative Move Hamburg, mit der die Behörde für Umwelt und Energie die Hamburger Wirtschaft bei der Umsetzung innovativer, umweltfreundlicher Mobilitätskonzepte unterstützt.

In Berlin werden ebenfalls Projekte angestoßen, um Lieferverkehre zu redu­zie­ren. So erwägt die Deutsche Bahn, auf Bahnhöfen Standorte für smarte und neutrale Paket-Schließfachanlagen als Option für die letzte Meile einzurichten – zur Abholung und Einlieferung von Paket­sendungen. Die Idee: Pakete werden dort abgeliefert, wo die Menschen sowieso täglich vorbeikommen.

Ideen, den Verkehr zu ­kanalisieren oder zu vermeiden, gibt es mithin ­genü­gend. Einzig die Fahrzeugindustrie hinkt hinterher. Wirkliche Alternativen zum Diesel­antrieb haben sie bislang kaum im Portfolio.