Lieferverkehr in Städten Stress auf den letzten Metern

Foto: Nissan

Es wird eng in den Städten. Wie kann künftig der stetig wachsende Lieferverkehr auf der letzten Meile vor dem Ziel aussehen? Es gibt nicht eine Antwort, sondern viele. Wir haben uns einige näher angesehen.

Deutschland lässt liefern. 15 Millionen Sendungen wurden 2021 täglich zugestellt. Das machte insgesamt 4,5 Milliarden Sendungen und im zweiten Jahr in Folge ein zweistelliges Wachstum, meldet der Bundesverband Paket und Expresslogistik (BIEK). Die Folge: Der immer dichtere Lieferverkehr sorgt für Emissionen und Lärm und oft auch für Ärger. Beispielsweise, wenn UPS und Co. in zweiter Reihe parken oder Lieferwagen durch stark frequentierte Fußgängerzonen dieseln. Der Transport auf der letzten Meile muss daher neue Wege gehen, um effizienter und nachhaltiger zu werden und gleichzeitig Kundenwünsche nach Schnelligkeit sowie Flexibilität weiter erfüllen zu können. Ansätze dafür gibt es viele.

Cargobikes und Microhubs entlasten die Straßen

Einen davon liefert Urban Mobility. Das Unternehmen entwickelte ein Lastenfahrrad mit 250 Kilogramm Zuladung. "Das UM Cargobike wurde speziell für KEP- und Lebensmittellieferdienste konzipiert und hat nichts mit E-Bikes oder Lastenrädern für den Privatgebrauch zu tun", sagt Geschäftsführer Tilmann Rosch. Den entscheidenden Unterschied macht die Transportbox mit zwei Kubikmeter Volumen und 250 Kilogramm Zuladung. Dank patentierter Neigetechnik und Motorradbremsen soll sich das Dreirad dynamisch und sicher fahren lassen. 2021 verkaufte das Unternehmen über 100 Stück, mit denen gut 100.000 Pakete emissionsfrei ausgeliefert wurden.

Sie haben viele Vorteile auf der letzten Meile: großes Transportvolumen, keine Parkplatz­suche, Lieferung bis an die Haustür, schnelle Auslieferung. Ein Führerschein wird nicht benötigt, Kosten für Versicherung, Steuern und Sprit fallen auch nicht an. Und die Stromkosten liegen deutlich unter denen von E-Transportern. "Unterm Strich bestehen enorme Betriebskostenvorteile", so Rosch.

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Ein Lastenrad soll und kann aber auch nach Einschätzung von Urban Mobility nicht den Lkw ersetzen. "Auf der letzten Meile ist ein umweltbewusstes Umdenken nötig", meint Rosch und skizziert, wie es seiner Meinung nach funktionieren kann: Große Transporter liefern Waren zu Microhubs in der City und verlassen die Stadt sofort wieder. An den Microhubs übernehmen Räder im Radius von drei bis fünf Kilometern den Verteilerverkehr. "Bei einer Auslieferstrecke von 30 bis 40 Kilometern können über 100 Pakete zugestellt werden. Unsere Kunden fahren die Räder im Zweischichtbetrieb und legen so 1.000 bis 1.500 Kilometer im Monat zurück", berichtet Rosch. 80 ­Prozent des täglichen Lieferverkehrs ließen sich laut Urban Mobility verlagern.

Eco Carrier, einer der Entwicklungspartner von Urban Mobility, betreibt mehrere solcher Hubs in Städten wie Berlin, Hamburg und München, von denen aus Edeka, DM und Co. ihre Kunden beliefern.

Nachts könnten leise E-Lkw Läden beliefern

Doch es entstehen nicht nur neue Fahrzeugkonzepte. Neben E-Varianten von Transportern bekannter Marken tauchen neue Player auf. BAX etwa. Die junge Elektromarke aus Deutschland entwickelte mit Spediteuren, Verladern, Fahrern und Aufbautenspezialisten einen E-Lkw. Mit drei Tonnen Zuladung und bis zu 200 Kilometer Reichweite soll der 7,5-Tonner den Lieferverkehr durch leise Nachtfahrten entzerren. So wie in den Niederlanden, wo der geräuscharme Nachttransport bereits erlaubt ist. Als weiteren Vorteil nennen die Fahrzeugentwickler den Starkstromausgang für externe Verbraucher wie Kühlaggregate. Der BAX 7.5 wurde im Herbst mit dem Europäischen Transportpreis für Nachhaltigkeit ausgezeichnet.

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Aber warum nicht einfach eine Dimension nutzen, in der bislang noch niemand liefert – den Luftraum? Das 2011 gegründete Unternehmen ­Volocopter kann nach eigenen Angaben auf über 322 Millionen Euro von Investoren wie Daimler, Geely oder DB Schenker zurückgreifen. Volocopter will nicht nur Flugtaxiservices in Megastädten etablieren. Im Portfolio findet sich auch eine elektrische Schwerlastdrohne. Auf dem ITS World Congress 2021 in Hamburg hob die Volodrone zu ihrem ersten öffentlichen Flug ab. Gedacht für die Logistikinfrastruktur, soll sie neue Lieferketten und Transportwege schaffen. Die 2,15 Meter hohe Frachtdrohne mit einem Durchmesser von 9,15 Metern ist für den Transport von bis zu 200 Kilogramm schweren ISO-Paletten aller Größen sowie eine Reichweite von 40 Kilometern ausgelegt.

Streetscooter 2022 Foto: MIKE HENNING
Die Streetscooter der Deutschen Post waren Vorreiter der emissionsfreien Belieferung.

Doch es gibt noch ganz andere Ideen. Etwa, erst einmal die Nutzung der bestehenden Ladezonen zu optimieren. Immerhin, so beklagt der BIEK, sei dort nichts klar geregelt; häufig würden sie fehlgenutzt, meist von Falschparkern zugestellt. Dass ordnungsgemäße Haltemöglichkeiten fehlen, ist auch ein Grund, warum Liefernde häufig in der zweiten Reihe oder anderweitig ordnungswidrig parken. Bereits im Februar 2019 startete der Bundesverband daher die Initiative "Liefern lieber in der ersten Reihe!". Das Ziel: Die Straßenverkehrsordnung soll um ein Verkehrszeichen "Ladezone" ergänzt werden, das ein ­absolutes Halteverbot analog zum Taxistand enthält mit Ausnahmen für gewerbliche Be- und Entladevorgänge.

Paketmarkt 2022

Ebenfalls 2019 fiel der Startschuss für das Projekt "Smarte Liefer- und Ladezonen" (Smala) der Behörde für Wirtschaft und Innovation in Hamburg. Das Konzept soll helfen, die Klimaziele der Stadt zu erreichen. Über Smala können registrierte Lieferdienste via App bis zu 2,5 Tage im Voraus für 15 bis 60 Minuten eine Lieferzone reservieren. Digitale Schilder zeigen an, welche Lieferfahrzeuge wann gebucht haben und vom absoluten Halteverbot ausgenommen sind.

Bodensensoren und Leuchtmarkierungen helfen, die Auslastung der Lieferzonen zu überwachen. Außerdem sollen die Bereiche so gleich als Liefer- und Ladezonen zu erkennen sein und Falschparker fernhalten. Nach 19 Uhr sowie an Sonn- und Feier­tagen stehen die Zonen allen Nutzern als Parkraum zur Verfügung. Die ersten schlauen Ladezonen in Hamburg wurden im Herbst 2021 eröffnet.

2040 wird es nur noch elektrische Lieferfahrzeuge geben

Viele Ansätze, aber was wird sich durchsetzen? Wie die Herausforderungen bis zum Jahr 2040 gelöst werden, hat sich auch die WHU – Otto Beisheim School of Management gefragt. Im Rahmen einer Studie wagten 36 Experten aus verschiedenen Branchen wie Logistik, Onlinehandel, Wissenschaft, IT und Politik den Blick in die Glas­kugel, um einzuschätzen, welche Entwicklungen in Zukunft wahrscheinlich eintreten werden.

Das Fazit der Forscher: Im Jahr 2040 werden Waren und Pakete wohl ausschließlich von E-Fahrzeugen mit nachhaltig erzeugtem Strom geliefert. Für Großstädte sei der Einsatz von Lastenfahrrädern absehbar, eine Lieferung per Roboter dagegen nicht, ge­­nauso wenig wie eine ausschließliche Zustellung via Drohne. In mobilen, autonom fahrenden Packstationen sehen die Studienmacher dagegen durch die flexiblere Abholmöglichkeit eine weitere denkbare Komponente im Liefernetzwerk.

Und die Zahl der Lieferwagen, die heute noch für den Begriff der »letzten Meile« stehen, wird ihrer Meinung nach nicht ins Unendliche steigen. »Stattdessen wird der Sektor in den nächsten Jahren immer stärker segmentiert. Je nach Waren, Kundenwünschen und Liefergebieten werden sich unterschiedliche Zustellungsarten etablieren«, so ein Fazit, das auf der WHU-Website gezogen wird. Eine Frage steht bei all den Technologien, Optionen und Szenarien allerdings noch auf einem ganz anderen Blatt: Wird der Kunde bereit sein, dafür zu zahlen?

Last-Mile-Area auf der IAA Transportation

Vom 20. bis 25. September 2022 steht das Messegelände in Hannover ganz unter dem Motto »People and goods on the move«. Die IAA Transpor­tation soll Akteure aus den Bereichen Nutzfahrzeuge, Busse und Logistik mit Tech-Anbietern sowie Zulieferern vernetzen. Im Fokus: die klimaneutrale und technologische Transformation des gesamten Transports. Eine Last-Mile-Area soll als Bühne für Innovationen und Trends dienen.