V-Klasse, Vito und Sprinter sind zwar längst elektrifiziert, doch nun sollen sie endlich auch einen eigenen Elektrobaukasten bekommen. Was dahinter steckt - und was sich dann verbessern soll.
Schlappe Ladeleistungen, mäßige Reichweiten und wenig Power: Bei den Vans sind die Schwaben hintendran. Zwar haben auch sie die V-Klasse, den Vito und den Sprinter längst elektrifiziert, und für alle Baureihen gab es gerade ein mehr oder weniger gründliches Facelift. Doch es wurde zunehmend schwer mit der Konkurrenz mitzuhalten. Und ganz losgelöst vom Antrieb muss sich ausgerechnet Mercedes von asiatischen Aufsteigern die Show stehlen lassen.
Denn immer mehr Sehr-Viel-Besser-Verdiener in China, Japan oder Korea lassen sich lieber in einem Lexus LM, im Toyota Alphard, im Denza D9 oder neuerdings im Volvo EM90 durch den Dauerstau chauffieren als in einer S-Klasse. Und es braucht schon das Geschick ebenso findiger wie windiger Veredler, damit die V-Klasse als Fake-Maybach dort in der Luxus-Liga überhaupt noch mitspielen kann.
Van.EA heißt die neue Elektro-Architektur
Aber damit soll es bald vorbei sein, verspricht Andreas Zygan, der oberste Entwickler der Mercedes-Vans, und hofft auf den großen Befreiungsschlag, für den man auch mal ein Risiko bei der Entwicklung eingehen muss: Van.EA lautet das Kürzel, auf dem seine Hoffnungen ruhen. Es steht für die neue, erstmals dezidiert auf den Elektroantrieb ausgelegte Architektur, auf der ab 2026 schrittweise die Nachfolger für V-Klasse, Vito und Sprinter entstehen sollen, die sie jetzt auf dem Weg ans Nordkap gerade getestet haben.
Neue Van-Plattform besteht aus drei Modulen
Diese Plattform besteht aus drei Modulen, die miteinander kombiniert werden sollen. Das Frontmodul ist immer gleich. Im Heck gibt es mitlaufende oder für den überfälligen Allradantrieb im EQV auch motorisierte Achsen mit deutlichem Nachschlag in der Leistung. Dazwischen steckt ein unterschiedlich konfektioniertes Batteriemodul mit 800 Volt-Akkus für bestenfalls mehr als 500 Kilometer Reichweite, erläutert Zygan den Plan. Dazu gibt es analog zum nächsten CLA in der Pkw-Welt das neue Betriebssystem MB.OS, das viele Funktionen auf wenigen Zentralrechnen bündelt und mit Over-The-Air-Updates die Grundlage schafft für Assistenten bis hin zum autonomen Fahren und für ein Infotainment, das besser ist als heute in der S-Klasse.
Veränderte Nomenklatur bei Mercedes-Vans
Aber Van.EA steht nicht nur für eine neue Technik. Mit der neuen Plattform plant Zygans Chef Mathias Geisen auch eine andere Positionierung: Gewerbliche und private Modelle rücken weiter auseinander, verspricht der oberste Raumfahrer in Stuttgart und will so die Verwechslungsgefahr zwischen Blaumann und Business-Anzug weiter reduzieren. Deshalb soll es nicht nur eine neue Nomenklatur geben, sondern auch ein neues Design, das sich nicht nur durch den Chromzierrat unterschiedet, sondern bis tief ins Blech.
Ganz oben steht dabei künftig eine neue Luxus-Variante, mit der die V-Klasse zur Wow-Klasse werden und sich die High-Society zurückholen will – mit reichlich Lack und Leder, Lametta aus Chrom und Licht und einer Ausstattung, die sie zur S-Klasse unter den Vans macht.
Prototyp der V-Klasse
Davon ist im Prototypen noch nicht viel zu sehen. Doch wer Zygan auf eine kurze Runde begleitet, kann davon zumindest schon einiges spüren. Mit deutlich breiterer Spur steht die V-Klasse solider auf der Straße, wirkt sehr viel handlicher, bügelt auch die Schlechtwegestrecken auf der Einfahrbahn im Werk glatt wie ein Leinentischtuch und vor allem hat sie deutlich mehr Power als der bisherige EQV. Mit technischen Daten hält sich Zygan zwar noch zurück. Doch wo dem aktuellen Modell bei 140 km/h die Luft ausgeht, bekommt der Prototyp des Nachfolgers nochmal einen zweiten Wind.
Weniger Varianten mit neuer Plattform
Kräftigere Antriebe, reichweitenstarke Batterien, schnelles Laden, smartes Infotainment und für die zivilen Versionen endlich so viel Luxus, wie es sich für Mercedes, ja vielleicht sogar für Maybach gehört - natürlich wird für die Kunden alles schöner und besser. Aber es wird für Mercedes auch billiger. Denn mit einer Plattform für V-Klasse, Vito und Sprinter wollen die Schwaben die Komplexität und mit ihr die Zahl der Varianten auf etwa die Hälfte reduzieren. Der Kunde soll davon aber nichts spüren, versprechen Zygan und Geisen.