Reifenentwicklung bei Hankook Aus dem Eisschrank auf die Straße

Foto: Hankook

Im eisigen Norden entwickelt Hankook Pkw-Reifen. Wir schauen den Ingenieuren über die Schulter.

Strahlender Sonnenschein bei frühlingshaften minus zehn Grad Celsius – besser könnte das Wetter kaum sein für die Eröffnung des "Technotrac", Hankooks eigenes Winterreifen-Testzentrum in Ivalo. Hier oben in Lappland finden die Entwicklungsingenieure optimale Bedingungen für Winterreifentests: Mit durchschnittlich 138 Schneetagen im Jahr gilt diese Gegend als schneesicherste Region Euro­pas. Temperaturen zwischen –10 und –20 Grad Celsius garantieren beste und stabile Test­bedin­gun­gen.

Das firmeneigene Testzentrum wurde dringend benötigt: Zum einen sind viele externe Teststrecken über die Win­ter­monate komplett ausgebucht, es gibt nur begrenzte Kapazitäten und die Reifenhersteller sind von den Streckenbetreibern abhängig. Zum anderen verlangen die Betreiber enorm hohe Streckenmieten: Pro Tag werden bis zu 7.000 Euro fällig. Bei zwei Strecken geht das ins Geld. Genaue Zahlen sind Hankook-Firmensprecher Felix Kinzer nicht zu entlocken, aber eine siebenstellige Summe soll der Betrieb des eigenen Testzentrums jährlich kosten. Mindestens zehn Jahre lang will Hankook in Ivalo vor Ort sein, auf Dauer wird also ein zweistelliger Millionenbetrag investiert.

Hankook ist mit Winterreifen seit Jahren gut aufgestellt, entwickelt die Reifen für Europa in Deutschland und produziert sie in Ungarn. "Europa ist einer der wichtigsten und größten Märkte für Hankook weltweit. Wir haben deshalb lange auf eine regionale Produktentwicklung hingearbeitet", erklärt Ho-Youl Pae, Hankooks Europa-Chef, und fügt während der Eröffnungszeremonie hinzu: "Wir sind stolz darauf, dass wir Winterprofile hier unter Top-Bedingungen testen können, um sie bestmöglich auf die vorherrschenden Straßen- und Klimaverhältnisse wie auch auf die Marktanforderungen abstimmen zu können.

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Im Lager werden bis zu 200 Reifen mit korrektem Reifendruck und bei optimaler Temperatur gelagert.

Audi, BMW und viele mehr als Abnehmer

Damit das gelingt, sind die zwei Handlingstrecken des Technotrac speziell auf die Bedürfnisse der deutschen Premium-Fahrzeughersteller ausgelegt – Hankook gehört unter anderen zu den Hauptlieferanten von Audi, BMW und Mercedes. Auf den drei sogenannten Flat-Tracks beurteilen die Ingenieure das Bremsverhalten, die Traktion und Seitenführung der Winterreifen.

Zwischen Ende November und Anfang April testen ständig zwischen zehn und 20 Hankook-Ingenieure die neuesten Winterreifen, etwa alle 14 Tage wechseln sich die Teams im hohen Norden ab. Dann geben die Deutschen ihren Kollegen aus Korea oder Spanien die Klinke in die Hand. Bei guten Wetterbedingungen verbringen die Testfahrer bis zu zehn Stunden am Tag auf der Strecke, um möglichst viele Daten zu erheben. Die Auswertung erfolgt später im Büro, wenn das Wetter keinen Testbetrieb zulässt – etwa durch zu starken Schneefall, Vereisung der Flat-Tracks oder extreme Temperaturen. Im Dezember zeigte das Thermometer minus 31 Grad Celsius. Bei diesen Extrem­tem­pera­tu­ren sind jedoch selbst bei Winterreifen keine Performance-Unterschiede mehr feststellbar. "Mit Sommerreifen kommt man dann übrigens selbst auf ebener Strecke auf Schnee keinen Meter mehr vorwärts, weil die Reifen steinhart sind", berichtet ein Entwicklungsingenieur.

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Live-Datenauswertung: Noch auf der Teststrecke kann der Fahrer Messwerte vom Laptop ablesen.

Bis 100.000 Testkilometer pro Fahrer

Getestet werden die Reifen unter anderem auf Audi A1, VW Passat, 7er BMW oder einer C-Klasse. An allen Autos sind die Fahrhilfen deaktiviert, beim 7er BMW bleibt immerhin das ABS aktiv, bei der C-Klasse nicht einmal das. "Wir fahren permanent am Grenzbereich und nehmen auf dem Handlingkurs von drei gefahrenen Runden den Mittelwert", erklärt ein Testfahrer, während er den Siebener quer durch die Kurve treibt. Bis zu 100.000 Testkilometer spulen die Fahrer pro Jahr weltweit auf Teststrecken ab. Kein Wunder also, dass die Differenz zwischen den Rundenzeiten selbst auf Schnee oft weniger als zwei Zehntelsekunden beträgt – hier sind Profis am Werk.

Die Ingenieure fahren pro Tag mehrere "Programme", also Reifen mit unterschiedlichen Mischungen oder Dimensionen. Jedes Programm umfasst fünf bis echs Reifensätze, und es wird zwei- bis viermal gefahren. Man kann sich ausrechnen, dass in der Werkstatt pausenlos die Schlagschrauber rattern und die acht Monteure an den vier Hebebühnen im Akkord Reifen und Räder wechseln. Im Lager warten rund 200 Reifen auf ihren Einsatz. Es gibt sogar ein spezielles Kaltlager, in dem die Räder schon mit dem korrekten Luftdruck nachts bei Außentemperatur abgestellt werden, damit am nächsten Morgen die Testergebnisse nicht durch warme Luft im Reifen verfälscht erden. Das Gebäude ist so geplant, dass Hankook ohne großen Aufwand anbauen und erweitern kann. "Wenn wir hier in Zukunft mehr Ingenieure beschäftigen, gibt es mehr Autos und dementsprechend deutlich mehr Reifen – also brauchen wir mehr Platz", sagt Firmensprecher Kinzer.

Nur einen Schneeballwurf von Han­kooks Testgelände entfernt steht allen Reifenherstellern zudem eine extern betriebene Indoor-Teststrecke zur Verfügung, in der auch im Sommer Winterreifen auf Echtschnee getestet werden können. Dafür wird im Winter Schnee gelagert, um damit im Sommer die Indoor-Piste zu präparieren. Was verrückt klingt, ist gefragt: "Die Halle ist das komplette nächste Jahr jeden Tag ausgebucht", berichtet Entwicklungsingenieur Andreas Pürschel.