Übersehene Verkehrsschilder Einen Augenblick unachtsam und trotzdem haftbar?

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Stundenlang hinterm Steuer, in dichtem Verkehr und fremder Umgebung: Vielfahrern kann man übersehene Verkehrsschilder nicht verübeln – sagt auch das Gesetz und spricht vom Augenblicksversagen.

Am Ziel angekommen, sucht man verzweifelt einen Parkplatz, oder noch die richtige Hausnummer, schaut, dass man in der fremden Stadt weder Fußgänger noch andere Autos außer Acht lässt – nur das Tempo-30-Schild geht in den ganzen Eindrücken unter. Wenn der Bußgeldbescheid dann ins Haus flattert oder sogar ein Fahrverbot droht, stellt sich die Frage, wie sich diese Strafe abwenden lässt. Eine Möglichkeit ist die Berufung auf das Augenblicksversagen.

Das Augenblicksversagen geht auf einen Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) aus dem Jahr 1997 zurück. Der BGH stellte damals fest: "Die Anordnung eines Fahrverbots gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG […] kommt […] nicht in Betracht, wenn die Ordnungswidrigkeit darauf beruht, dass der Betroffene infolge einfacher Fahrlässigkeit ein […] Verkehrszeichen übersehen hat, und keine weiteren Anhaltspunkte vorliegen, aufgrund derer sich die Geschwindigkeitsbeschränkung aufdrängen musste." Daran hat sich bis heute nichts geändert.


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Näschen gepudert, Stulle geschmiert, Comic gelesen - wir wissen, nicht dieser Lkw-Fahrer gerade hinterm Steuer tat. Die Höhenbeschränkung hatte ihn jedenfalls nicht interessiert.

Die Bedeutung der Umstände des Augenblicks hob das OLG Zweibrücken in einer jüngeren Entscheidung hervor, was besonders für Vielfahrer interessant ist. Dem Gericht zufolge verstoßen Vielfahrer "naturgemäß" häufiger gegen Verkehrsregeln. Eine beharrliche Pflichtverletzung könne dennoch per se nicht vorgeworfen werden. Das ist konsequent. Schließlich ist das Augenblicksversagen eine "gleichsam spontane Fehlreaktion innerhalb eines Verkehrsgeschehens" , infolge einer falschen Lagebeurteilung oder unter besonderen Umständen, die eine Rücksichtslosigkeit ausschließen kann. Dies gilt allerdings nicht, wenn der Fahrer seine Unaufmerksamkeit durch sorgfaltswidriges oder grob nachlässiges Verhalten selbst hervorruft.

Die Gerichte sind nicht verpflichtet, das Augenblicksversagen von sich aus zu prüfen. Betroffene müssen sich entweder selber darauf berufen oder entsprechende Umstände müssen dies nahelegen. Aufdrängen kann sich ein Augenblicksversagen beispielsweise bei dürftiger Beschilderung oder wenn die innerörtliche Gefährdungslage – wie fehlende Straßenbebauung – subjektiv nicht erkennbar ist.

Umgekehrt muss sich aber bei schlechtem Straßenzustand noch keine Geschwindigkeitsbegrenzung aufdrängen. Schließlich werden "nicht sämtliche Straßen, deren Fahrbahnen Schäden aufweisen, sofort mit geschwindigkeitsbegrenzenden Schildern versehen". Bei einer bereits aus großer Distanz deutlich wahrnehmbaren Wechsel­verkehrs­zeichen­anlage oder einer Geschwindigkeitsüberschreitung nach einem sogenannten Geschwindigkeitstrichter dürfte ein Augenblicksversagen auszuschließen sein. Dasselbe gilt, wenn der Fahrer eine längere Rotphase, aufgrund einer Verwechslung von Auto- und Fußgängerampel, übersieht.

Mangelnde Ortskenntnis ist übrigens keine Entschuldigung. Dem OLG Düsseldorf zufolge ist sie durch erhöhte Aufmerksamkeit und Vorsicht auszugleichen. Wenn es gelingt, die Verhängung eines Fahrverbots aufgrund eines Augenblicksversagens abzuwenden, ist dann übrigens auch die Erhöhung der Regelgeldbuße vom Tisch.

Wann das Fahrverbot zurückgezogen wird

Berufliche Nachteile sind regelmäßig ohne besondere Bedeutung. Betroffenen sollte klar sein, dass berufliche Nachteile mit einem Fahrverbot "nicht nur in Ausnahmefällen, sondern sehr häufig verbunden sind". Zudem lassen sich beispielsweise Urlaubspläne entsprechend anpassen. Die Nachteile müssen daher schon außergewöhnlicher Art sein, wie der Verlust des Arbeitsplatzes, die Vernichtung der beruflichen Existenz oder der wirtschaftlichen Existenz eines Betriebes. Von Bedeutung ist auch, ob die Tätigkeit dem Grunderwerb dient oder damit nur der Lebensstandard angehoben wird. Und selbst wenn durchgreifende berufliche oder wirtschaftliche Schwierigkeiten drohen, ist ein Absehen vom Fahrverbot eher unwahrscheinlich, "wenn wegen der Vielzahl der bereits in der Vergangenheit begangenen Verkehrsordnungswidrigkeiten keine andere Maßnahme als die Verhängung der Denkzettelmaßnahme ›Fahrverbot‹ mehr bleibt".