Der Weg ins Büro ist durch die gesetzliche Unfallversicherung abgedeckt – eigentlich. Doch ganz so einfach kommt der verletzte Mitarbeiter nicht ans Geld. Wann der Arbeitsweg versichert ist.
Verletzt sich ein Mitarbeiter auf dem Weg zur Arbeit, dann steht viel auf dem Spiel. Denn finanziell macht es einen großen Unterschied, ob der Unfall als Wege- oder Freizeitunfall anerkannt wird. Grund: Viele Angestellte haben für den Ernstfall keine
Absicherung über eine private Berufsunfähigkeitsversicherung getroffen. Ohne Schutz durch die gesetzliche Unfallversicherung steht dann ihre Existenz auf dem Spiel.
"Als Wegeunfall werden Unfälle auf dem unmittelbaren Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstelle bezeichnet", erläutert die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) aus Berlin. Für das Jahr 2016 zählten die gesetzlichen Unfallversicherer knapp 184.900 meldepflichtige Wegeunfälle, über drei Prozent mehr als 2015. Das Spannungsverhältnis zwischen Unfällen und Leistungen zeigt sich darin, dass trotzdem die Zahl der neu zugesprochenen Wegeunfallrenten sank. Natürlich führt nicht jeder angezeigte Wegeunfall zu Arbeitsunfähigkeit. So verweisen die Berufsgenossenschaften auf ihre umfangreichen Rehabilitationsmaßnahmen. Dennoch gibt es eine verstärkte Tendenz der gesetzlichen Unfallversicherungsträger, Schäden abzuwehren.
Auch Geschäftsführer können unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehen. Das gilt dann, wenn sie als sogenannte Fremdgeschäftsführer Angestellte eines Unternehmens sind. Das bestätigte das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen in einem Verfahren im April 2017, bei dem ein Fremdgeschäftsführer Ansprüche aus einem schweren Motorradunfall erstreiten wollte (LSG NRW, Az.: 17 U 391/14). Der Betroffene machte einen gesetzlich geschützten Wegeunfall geltend. Er hatte mit dem Mitarbeiter eines Bankhauses an einem Karfreitag eine Motorradtour unternommen, war dabei gestürzt und erlitt schwere Verletzungen. Die Motorradtour sei aber von ihm nur deshalb unternommen worden, weil er im Verlauf der Fahrt mit dem Bankmitarbeiter über einen Kredit verhandeln wollte
Beweislast trägt allein Arbeitnehmer
Einen Wegeunfall verneinte das Gericht aber. Vor allem weil kein Zielort für die Verhandlung vereinbart worden sei, habe sich der Arbeitnehmer nicht auf einem Betriebsweg befunden, den man "im Auftrag des Unternehmers oder im Interesse des Betriebes unternimmt". Am fehlenden Ort scheiterte auch die Einordnung der Fahrt als Wegeunfall, denn nur der "unmittelbare Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit" sei geschützt. Faktisch unterstellt das Gericht, dass es sich um eine reine Privatfahrt gehandelt habe und der betriebliche Charakter nicht glaubhaft sei.
Der Fall zeigt aber auch, dass bei anderer Fallkonstellation oder besserer Beweislage der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung nicht ausgeschlossen gewesen wäre. Betroffene sollten sich daher frühzeitig an einen Fachanwalt für Sozialrecht wenden. Auch eine Ende 2016 gefällte Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) zeigt, dass die Beweislast allein das Unfallopfer trägt (Az.: B 2 U 16/15 R). Hier war ein Arbeitnehmer auf dem Weg zur Arbeit auf einer Bundesstraße falsch abgebogen und hatte sich so zeitweilig von seiner Arbeitsstelle entfernt. Als der Fahrer seinen Irrtum bemerkte und ein gefährliches Wendemanöver machte, kam es zu einem schweren Unfall. Während zwei untere Sozialgerichte den Unfall als Wegeunfall akzeptierten, hob das BSG diese Urteile auf. Grund: Der Arbeitnehmer hatte sein falsches Abbiegen nicht erklären können. Damit sei er auf einem "Abweg" gewesen. Denn Versicherungsschutz auf falschen Wegen bestehe nur, wenn der Irrtum aufgrund der besonderen Art des Wegs entsteht – also beispielsweise durch Dunkelheit, Sichtbehinderung durch Nebel oder schlecht beschilderte Straßen. Ein unerklärlicher Fehler kostet daher den Versicherungsschutz.
Die Richter sind extrem pingelig
Ähnlich überraschend ist ein Urteil des Landessozialgerichts Thüringen (Az.:
L 1 U 778/13). Hier wurde dem verletzten Autofahrer der gesetzliche Unfallschutz verweigert, weil er nach einem leichten Verkehrsunfall aus seinem Wagen ausstieg und dabei von einem nachfolgenden Fahrzeug angefahren wurde. Das Gericht bewertete dies "als nicht nur geringfügige Unterbrechung des Arbeitsweges". Schutz hätte der Arbeitnehmer aber gehabt, wenn er sein Aussteigen mit einer Nothilfe begründet hätte.
Wer das Auto verlässt, muss also einen ausreichenden Grund dafür haben. So ist ein Unfall während des Abschließens des Hoftores laut Hessischem Landessozialgericht versichert (Az.: L 3 U 108/15). Gleiches gilt für einen Unfall, weil der Versicherte vor der heimischen Garage sein zurückrollendes Auto aufhalten will (SG Wiesbaden, Az.: S 13 U 49/11). Weiterhin nicht versichert ist der Arztbesuch, selbst wenn er mit dem Arbeitgeber abgesprochen ist. Laut BSG handelt es sich weder um einen versicherten Betriebsweg noch um einen versicherten Weg zur Arbeitsstätte. Arztbesuche liegen im eigenwirtschaftlichen Interesse des Arbeitnehmers, so das Gericht
(B 2 U 16/14 R).
Für einen Arbeitnehmer ist weiterhin existenziell, ob sein Unfall als Wegeunfall auf dem Weg zum Arbeitsplatz oder als Freizeitunfall eingestuft wird. Denn während Betroffene nach einem schweren Freizeitunfall nur Anspruch auf eine volle Erwerbsminderungsrente haben, gibt es beim Arbeitsunfall mit vollständigem Verlust der Erwerbsfähigkeit eine Verletztenrente – die bis zu zwei Drittel des Vorjahreseinkommens ausmachen kann.