VDA-Präsident Bernhard Mattes "E-Mobilität muss sichtbar sein"

Redaktionsgespräch VDA Präsident Bernhard Mattes Foto: Mario P. Rodrigues

Bernhard Mattes, Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), tritt Ende des Jahres zurück. Ein letztes Interview über Elektroautos und warum sie immer noch nicht in großen Stückzahlen auf unseren Straßen fahren.

Die IAA 2019 findet in einem spannungsgeladenen Umfeld statt. Das gilt gesellschaftlich wie wirtschaftlich. Und das Auto ändert sich auch noch. Ausgerechnet in diesem spannenden Umfeld wird bekannt, dass der Gastgeber der Messe, VDA-Präsident Bernhard Mattes, zum Jahresende zurücktritt. Seit März 2018 ist Mattes VDA-Präsident und damit der wichtigste Lobbyist der deutschen Auto-Industrie. Kurz vor Bekanntwerden sprachen wir noch einmal mit Mattes über die Herausforderungen der näheren Zukunft.

Die Autowelt ist im Wandel. Man spricht von disruptiven Veränderungen, von den Verbrennungsmotoren bis hin zur Vermarktung. Ist eine Automobilmesse noch die richtige Bühne, um Publikum und Käufer zu erreichen?

Mit Sicherheit! Wir erwarten viele Weltpremieren – darunter zahlreiche neue Modelle mit Elektroantrieb. Wie die gesamte Automobilindustrie wandelt sich auch die IAA: von einer Ausstellung hin zu einer umfassenden Plattform der Mobilität, auf der alle relevanten Akteure künftiger Mobilität präsent sein werden - Hersteller, Tech-Unternehmen, Zulieferer, Mobilitätsdienstleister, Start-Ups. "Driving tomorrow", das ist das IAA-Leitmotiv.

Das Auto an sich steht heute in der Kritik. Staugeplagte Städte haben Autos über. Knapp die Hälfte der Erwachsenen in Deutschland kann sich ein Leben ohne Auto vorstellen. Was kann eine Messe wie die IAA da bieten?

Schauen wir uns die Marktzahlen an: Der Pkw-Bestand ist 2018 in Deutschland erneut gewachsen auf 47,1 Millionen. Autos. Auch in den ersten sieben Monaten des laufenden Jahres gab es ein Plus auf knapp 2,2 Millionen. Pkw. Offenbar ist der Wunsch nach dem eigenen Auto weiterhin ausgeprägt. Allerdings sollte das Auto möglichst emissionsfrei unterwegs ist – und bei Qualität, Sicherheit und Design überzeugen. Solche Modelle werden auf der IAA stehen.

Neue Mitspieler treten auf den Markt. Während viele klassische Autohersteller auf die Teilnahme an der Messe verzichten, nutzen Digitalkonzerne die Bühne. Was erwarten Sie von denen?

Viele internationale IT- und Tech-Unternehmen sind auf der IAA präsent. Das unterstreicht die Attraktivität unseres Vier-Säulen-Konzepts. Digitalisierung ist, neben Elektromobilität, ein Innovationstreiber der Branche. Vernetztes und automatisiertes Fahren verbessert die Verkehrssicherheit, entlastet den Fahrer, senkt Emissionen und minimiert Staukosten. Internet und Mobilität gehören zusammen. Wir brauchen auch in einer vernetzten Welt Mobilität.

IAA: Mercedes EQS Foto: Mercedes
Wir erwarten schon seit einigen Jahren den Durchbruch der E-Mobilität. Warum müsste es diesmal klappen?

Weil allein die deutschen Hersteller bis zum Jahr 2023 ihr Angebot an E-Modellen auf über 150 verfünffachen, weil sie in den nächsten drei Jahren 40 Milliarden Euro in die E-Mobilität investieren. Das heißt: Wir erleben immer mehr E-Modelle, die sich auch der Käufer einer Kompaktklasse leisten kann. Ladezeit, Reichweite, Kosten – all diese Fragen werden gelöst. Ich bin davon überzeugt: Die neuen Modelle werden die Ansprüche der potenziellen Kunden erfüllen.

Das Problem der Infrastruktur ist aber vor allem in Städten noch nicht gelöst. Da nutzen auch Schnelllader an der Autobahn wenig.

Deshalb ist es so wichtig, dass die Ladeinfrastruktur im öffentlichen und privaten Raum rasch, nachhaltig und flächendeckend ausgebaut wird. Heute haben wir 20.650 öffentliche Ladepunkte. Das ist zu wenig. Notwendig sind bis 2030 rund eine Million öffentliche Ladepunkte, 100.000 Schnellladepunkte und mehrere Millionen private Ladepunkte. Nur so schaffen wir eine hohe Kundenakzeptanz. Elektromobilität muss für die Bürger sichtbar sein. Auch Kommunen müssen das Thema intensiv treiben. Sie wissen am besten, wo die Nachfrage nach Ladestrom am höchsten ist, wie viel Platz notwendig ist, wie Einzelhandel und Parkhaus-Betreiber angesprochen werden können.

Diese IAA findet statt in Zeiten, da "Fridays vor Future" die Diskussion beherrscht, die weltweite Klimakrise ausgerufen wird und nebenbei die Weltwirtschaft durch nationale Alleingänge zusätzlich in die Krise getrieben wird. Was unterscheidet die IAA von anderen Automessen?

Die IAA zeigt die gesamte Wertschöpfungskette und integriert zudem Tech- und IT-Unternehmen. Auf ihr werden Weltneuheiten präsentiert – und mit vielen Akteuren wird über die Mobilität der Zukunft diskutiert.

Ja, wir haben es mit mehreren Herausforderungen zu tun, die wir gleichzeitig meistern müssen. Den Kritikern der IAA haben wir ein Dialogangebot gemacht, das auch angenommen wird. Es ist immer besser, miteinander zu reden als übereinander. In vielen Punkten sind wir gar nicht so weit auseinander: Auch wir sind für Klimaschutz und arbeiten daran, die Ziele von "Paris 2050" zu erreichen. Aber, und das unterscheidet uns: Wir sehen auch künftig den Wunsch der Menschen nach individueller Mobilität – in Deutschland, in Europa und weltweit.

Die Probleme prasseln von allen Seiten auf die Automobilindustrie ein. Wie ist ihr Ausblick?

Ich spreche eher von Herausforderungen. Und ich bin zuversichtlich, dass die deutsche Automobilindustrie diese meistern wird: Wir treiben mit Macht die Elektromobilität voran und investieren massiv in die Digitalisierung. Bei den Handelsthemen erwarte ich, dass die Politik alle Anstrengungen unternimmt, um auf beiden Seiten zu guten Ergebnissen zu kommen.