Verkehrsminister Andreas Scheuer "Ich kämpfe gegen generelle Fahrverbote!"

Verkehrsminister Andreas Scheuer Foto: Valentin Brandes

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) über den Abgas-Skandal, Fahrverbote für Diesel, den Entwicklungsstand beim autonomen Fahren und seine Erwartungen an die Autohersteller.

Auch nach knapp drei Jahren ist kein Ende des Abgas-Skandals in Sicht. Ständig kommen neue Manipulationen ans Licht. Was muss passieren, damit das endlich aufhört?

Ich bin sehr verärgert über das Verhalten in den Chefetagen der Autoindustrie. Was macht denn den wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands aus? Die Seriosität, die Verlässlichkeit und die Qualität "made in Germany". Durch die Diskussionen über Manipulationen hat dieses Siegel Kratzer bekommen. Ich kann nicht akzeptieren, dass immer wieder neue Vorwürfe dazukommen. Damit muss jetzt Schluss sein. Alle Beteiligten müssen den Knall endlich gehört haben, auch weil davon Hunderttausende Arbeitsplätze abhängen.

Können Sie den Bürgern versprechen, dass Gerichte die Städte nicht dazu zwingen werden, den Diesel an den Stadtgrenzen auszusperren?

Wir haben jetzt erst einmal ein Urteil mit Begründung. Das beinhaltet den Schlüsselbegriff der Verhältnismäßigkeit. Das heißt, es kann nur Verbote geben, wenn diese verhältnismäßig sind. Ein generelles Verbot kommt nicht in Betracht, und gegen dieses werde ich auch weiter kämpfen. Betroffene Städte werden ihren Verkehr aber beeinflussen müssen. Ich kann jetzt noch nicht sagen, wie weitreichend. Wenn man aber weiß, dass die Grenzwerte an einer Straße überschritten werden, muss man konkrete Maßnahmen ergreifen. Die haben wir bereits vorgeschlagen und unterstützen wir mit Förderungen.

Das heißt, versprechen können Sie nichts?

Ich werde alles gegen Fahrverbote tun. Wir sind auf einem guten Weg. 2016 waren es 90 Städte, die die Grenzwerte überschritten haben, 2017 noch 66. Ende 2018 werden wir 5,3 Millionen Fahrzeuge mit einer neuen Software ausgerüstet haben, was die Emissionen weiter erheblich reduziert. Ich bin überzeugt, dass die Zahl der betroffenen Städte relativ schnell einstellig wird. Dann bleiben wenige "Intensivstädte" wie München übrig. Darum müssen wir uns dann noch einmal separat kümmern. Aber die inhaltliche Verkürzung stört mich an dieser Stelle. Ein Beispiel: Hamburg feiert den Hafengeburtstag. Alle sind begeistert und freuen sich zu Recht. Dafür kommen riesige Schiffe mit dem Energiebedarf einer mittelgroßen Stadt in den Hafen. Welche Umgebungsbelastungen das verursacht, interessiert niemanden. Stattdessen konzentrieren sich alle in einer an Leidenschaft schwer zu überbietenden Art auf Autos mit Dieselmotor, die wir weiterhin brauchen – gerade für weite Strecken, wegen der geringeren Verbräuche und der CO2-Belastung. In den letzten Jahren haben sich ihre Schadstoff­emissionen um 70 Prozent reduziert, der Verbrauch um 40 Prozent. Daher müssen wir die Kirche im Dorf lassen. Neben "keine Verbote" heißt mein Ziel auch "keine Panik".

Die EU macht aber Druck. Wie wollen Sie diese Seite besänftigen?

Wir stehen in engem Kontakt mit der EU. Dort haben wir einen Maßnahmenkatalog vorgestellt. Die EU-Kommission muss die konkreten Maßnahmen jetzt noch bewerten. Das verschafft uns Zeit. Es handelt sich dabei um Förderpakete in Milliardenhöhe – nicht nur den Dieselfonds. Die reichen von der Nachrüstung von Dieselbussen über die Digitalisierung der Parkraumbewirtschaftung bis hin zur Förderung von Wasserstoff-Brennstoffzellen, Erdgas, synthetischen Kraftstoffen und Elektromobilität.

Wie steht es denn um die Förderung der Dieselnachrüstung bei Pkw, die zum Beispiel Umweltministerin Svenja Schulze fordert?

Was diese Nachrüstung angeht, haben wir rechtliche, technische und finanzielle Bedenken. Ich weiß, wir haben noch keine abgestimmte Meinung in der Bundesregierung. Ich will eine Erneuerung der Flotten. Die erreicht man nicht, wenn man drei- oder fünftausend Euro in altes Wagenmaterial steckt. Zudem läuft uns die Zeit davon. Die Gutachter sagen, die Entwicklung dauere 1,5 bis drei Jahre. Hinzu kommen rechtliche Fragen. Wer ist zuständig? Wer übernimmt die Verantwortung? Es gibt technische Fragen, da man wirklich tief in die Fahrzeugtechnik eingreifen müsste. Der Kunde hat das Auto aber so gekauft und will sicher nicht, dass es 20 km/h langsamer fährt oder vier Liter mehr verbraucht. Das ist völlig schräg. Die attraktiven Umstiegsprämien der Hersteller finden wir schlauer. In Stuttgart beispielsweise wurden seit dieser Diskussion 30 Prozent der Fahrzeuge erneuert. Hier vereinen sich die Manipulations- und Grenzwertdiskussion. Software-Updates und Flottenerneuerung reduzieren die Schadstoffemission. Das ist unser Weg.

Erneuern kostet Geld. Selbst Besitzer eines jungen Euro-5-Diesel haben durch den Abgas-Skandal und drohende Fahrverbote schon jetzt mit extremen Wertverlusten zu kämpfen.

Ich kann keine Marktaussage treffen. Es ist aber desaströs, wenn durch diese Diskussionen eine Situation kreiert wird, die langfristig Auswirkungen auf die ganze Branche hat, vom Händler bis zum Hersteller. Ich bin auch dagegen, dass die alleinerziehende Mutter in Panik versetzt wird, nur weil sie einen alten Passat fährt. Die Deutschen waren federführend auf europäischer und globaler Ebene, das laufende Verfahren für Typgenehmigungen transparenter und konkreter zu machen. Dafür haben wir sehr engagiert auf europäischer Ebene diskutiert. Die Mehrheitsverhältnisse sind aber schwierig. Wir wollen ein strengeres und transparenteres Verfahren, die anderen Mitgliedsstaaten nicht – wahrscheinlich aus gutem Grund.

Unsere Kollegen von "auto motor und sport" führen seit zwei Jahren Abgastests durch. Immer wieder stoßen sie auf Autos mit massiv überschrittenen Grenzwerten. Sind die Werte der EU denn richtig abgesteckt?

Wir haben vor zehn Jahren über die Grenzwerte diskutiert. Damals sagten alle: "Ach, das ist erst in zehn Jahren." Ich habe schon damals als Berichterstatter im Bundestag gesagt, dass Grenzwerte nicht nur politisch-ideologisch entschieden werden dürfen, sondern auch technisch umsetzbar sein müssen. Irgendwann ist man auch von Herstellerseite leider in die Knie gegangen. Am Ende wurden irgendwelche Mixrechnungen gemacht, und dabei sind die heutigen Grenzwerte herausgekommen. Sind die aber einmal fixiert, müssen sich alle daran halten, auch wenn die Werte aus einer politisch überambitionierten Lage heraus entstanden sind.

Immerhin gibt es jetzt Gründe, sich alternativen Antrieben zu widmen. Die E-Mobilität hinkt in Deutschland aber hinterher. Was ist Ihrer Meinung nach das größere Problem – die Reichweite oder die Ladeinfrastruktur?

Infrastruktur ist das Wichtigste, und da tun wir einiges. 300 Millionen Euro gehen in die Lade­infrastruktur, damit wollen wir 15 000 Ladesäulen bauen. Das stocken wir noch einmal auf, um auf 100 000 Ladepunkte zu kommen. Zudem wollen wir das Netz der Wasserstofftankstellen von aktuell 47 bis 2019 um 100 erweitern. Denn niemand weiß, ob die Elektromobilität das Nonplusultra ist. Leider haben die Deutschen diese Strategie zunächst hinten angestellt und werden von ausländischen Herstellern wie Toyota überholt, die ein Wasserstoffauto in Serie bauen. Da ärgere ich mich. Ich möchte ein technologie­offenes Deutschland. Deshalb legen wir zum Beispiel Förderprogramme für Elektrobusse auf. Wir brauchen dazu aber eigene Produkte. Deutschland ist mit diesen Technologien weit gekommen, aber wir brauchen einfach zu lange – auch was die Vernetzung der Infrastruktur angeht. Was spricht denn dagegen, dass eine Wasserstofftankstelle an einem Bahnhof auf der einen Seite einen Zug versorgt und auf der anderen Seite Autos tanken? Hier müssen wir durchstarten.

Infrastruktur ist ein gutes Stichwort. Das Stauaufkommen hat wieder zugenommen, im letzten Jahr um vier Prozent. Was muss getan werden, damit Deutschland staufrei wird?

Investieren, investieren, investieren. Wir haben über lange Jahre in der Verkehrsinfrastruktur Mängel verwaltet. Jetzt haben wir durch den Investitionshochlauf ein Rekordniveau erreicht. Dadurch gibt es so viele Baustellen wie noch nie, und während der Bauzeiten wird es Staus geben – vor allem an neuralgischen Knotenpunkten. Es gibt aber auch Nadelöhre wie die Leverkusener Rheinbrücke als Sanierungsgroßprojekt. Ich kann die Autos ja nicht mit einer Sprungschanze rüberschicken. Da gibt es Einschränkungen, aber auch den Lichtblick einer guten Infrastruktur nach der Bauzeit. Wir werden die Investitionssummen weiter verstetigen. Das ist wichtig, es war noch nie so viel Geld im System.

Was wurde aus dem Vorhaben, die Güter von der Straße auf die Schiene zu verlagern?

Da sind wir unvermindert dran. Die Digitalisierung wird uns helfen, die Kapazität weiter zu steigern. Züge können zum Beispiel enger getaktet fahren, und andere logistische Abläufe sowie Konzepte sind möglich – auch im kombinierten Verkehr. Es wird aber immer eine gesunde Konkurrenz zwischen Straße und Schiene geben.

Wenn Sie mit dem Auto in ein Funkloch fahren, wer ist dann schuld? Digitalministerin Doro Bär, Kanzleramtsminister Helge Braun oder Sie?

Wir haben leider kein staatliches Mobilfunknetz. Aber wir arbeiten gemeinsam an dem Problem – auch am Breitbandausbau. Deutschland hat das größte Ausbauprogramm in Europa. Es ist auch schon einiges passiert. Kompliziert sind jetzt die letzten fünf Prozent, doch das bekommen wir noch hin. Ich weiß auch, was Sie mit dem Mobilfunknetz meinen. Ich kann die weißen Flecken in der Versorgung nicht mehr akzeptieren. Wir gehen die ehrliche Analyse an und haben das zügige Schließen der Mobilfunklöcher massiv im Blick. Mein Ziel ist es, dass wenigstens die Sprachtelefonie flächendeckend möglich ist. Deshalb wird es vor der Sommerpause einen Mobilfunkgipfel geben, bei dem wir mit den Anbietern neben dem Thema 5G auch die weißen Flecken besprechen werden und wie man sie strukturpolitisch ausmerzen kann.

Der 5G-Standard ist wichtig für das autonome Fahren. Aktuell gibt es nur eine größere Teststrecke auf der A 9. BMW testet in China. Sind wir nicht ausreichend vorbereitet?

Es wird bei uns viel getestet, zudem sind weitere Testfelder in Arbeit – auch grenzüberschreitend, beispielsweise mit Frankreich und Luxemburg. Warum BMW in China testet? Vielleicht, um im Ausland zu zeigen, dass das System nicht nur im Verkehr von Europa oder auf der A 9 funktioniert, sondern auch in Asien. Noch einmal: Auch bei uns läuft viel. Hierzulande sind etwa die rechtlichen Rahmenbedingungen und die Beantwortung der ethischen Fragestellungen schon weiter und besser geregelt als überall sonst auf der Welt.

Trotzdem fahren bei uns noch keine autonomen oder teilautonomen Autos auf der Straße. Dabei hat Audi schon gezeigt, dass sie es können.

Wir Deutschen sind eben sehr genau und zu Recht vorsichtig – ob mit Daten oder der Mobilität – und vielleicht etwas weniger euphorisch bei der Sache als andere. Aber schauen wir den Unfall von Uber in den USA an. Dort muss der Gouverneur den Testbetrieb einstellen. Das will ich nicht müssen. Wenn wir so etwas machen, muss es störungsfrei funktionieren, sonst ist das Vertrauen weg. Die deutsche Industrie kann hier eine absolute Vor­reiterrolle einnehmen. Die meisten Patente zum autonomen Fahren liegen hier. Jetzt müssen wir nur schauen, dass sie uns nicht abhandenkommen.

Zur Person

Andreas Scheuer (43) ist seit 1994 Mitglied der CSU und seit 2002 Mitglied des Deutschen Bundestags. Von 2009 bis 2013 war er Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, von 2013 bis 2018 Generalsekretär der CSU. Seit März 2018 ist Scheuer Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur.