Software prägt Flotten der Zukunft

SDV-Technologien im Härtetest der Nutzfahrzeuge
Wie Software Effizienz und Sicherheit verbindet

Wie Software Fahrzeuge sicherer, effizienter und langlebiger macht, zeigt Sicherheits-Experte Dr. Stefan Nürnberger. Er erklärt, warum das Software-defined Vehicle die Zukunft des Transports prägt.

Dr. Stefan Nürnberger, IT-Sicherheitsexperte und CEO von Veecle, forscht zu Automotive Security und Fahrzeugsoftware.
Foto: Veecle

Der Begriff "Software-defined Vehicle" (SDV) löst bei vielen zunächst Augenrollen aus – er wird inflationär verwendet, und eine einheitliche Definition fehlt. Doch wer ihn als bloßes Buzzword abtut, verkennt seine wirtschaftliche Bedeutung. Gerade im Nutzfahrzeug- und Logistikbereich entscheidet Software künftig über Effizienz, Wartung und Betriebskosten. Fahrzeuge, die sich flexibel an neue Anforderungen anpassen lassen, sparen Zeit – und damit bares Geld.

Flexibilität entscheidet über Wirtschaftlichkeit

Amazon liefert seine Pakete inzwischen mit blauen Vans des US-Startups Rivian aus. In diesen Fahrzeugen ist jeder Arbeitsschritt optimiert: Beim Halt öffnet sich automatisch die Tür, der Warnblinker aktiviert sich, und auf dem Display erscheint das nächste Paketfach samt Name am Klingelschild. Keine App, kein Menü – jede Sekunde zählt. Multipliziert mit Tausenden Zustellungen pro Tag ergibt sich ein messbarer Produktivitätsvorteil.

Diese Flexibilität ist kein Luxus, sondern harte Wirtschaftlichkeit. Ein Fahrzeug, das sich per Software anpassen lässt, altert langsamer, weil es sich kontinuierlich an den Alltag der Nutzer anpassen kann. Das ist der Kern des Software-defined Vehicle – und der Grund, warum dieses Konzept im Transportsektor an Bedeutung gewinnt.

Software-defined Vehicle: Veecle zeigt Fahrzeug mit programmierbarer Fahrzeugarchitektur und Live-Code-Interface.
Veecle

Ein Fahrzeugprototyp des Start-ups Veecle demonstriert die Integration von Fahrzeugsoftware in Echtzeit. Auf dem Display ist Code zu sehen, der Fahrzeugfunktionen steuert – ein Beispiel für die Entwicklung des Software-defined Vehicle.

Vom Steuergerät zum zentralen Nervensystem

Früher bestand ein Fahrzeug aus Dutzenden isolierten Steuergeräten – jede Funktion für sich. Das machte Änderungen teuer und langsam. Heute ermöglicht eine zentrale Fahrzeugsoftware, dass Funktionen nahtlos zusammenspielen. Neue Abläufe lassen sich entwickeln und per Over-the-Air-Update über Nacht an ganze Flotten ausrollen. So profitieren Fahrer und Betreiber schon am nächsten Tag von verbesserten Funktionen – ohne neue Fahrzeuge kaufen zu müssen.

Sicherheit als feste Architektur

Damit das funktioniert, muss Sicherheit Teil der Architektur sein – kein nachträgliches Anhängsel. Klassische Fahrzeuge setzen auf abgeschottete Inseln: Jede Komponente schützt sich selbst. Doch moderne Fahrzeuge sind vernetzt. Fast jede Funktion hängt von anderen Systemen ab. Wenn sie miteinander kommunizieren, muss diese Verbindung kontrolliert und abgesichert sein.

"Security by Design" bedeutet genau das: Jede Datenverbindung läuft über eine geprüfte Instanz – bei uns fungiert sie als Türsteher zwischen allen Systemen. Nur wer berechtigt ist, darf Daten senden oder empfangen. Schnittstellen werden klar definiert und mit Zugriffsrechten versehen. So ist ausgeschlossen, dass eine Funktion ungewollt auf sicherheitskritische Systeme zugreift.

Schutz durch klare Prozesse und Verschlüsselung

Darauf aufbauend sorgt Verschlüsselung dafür, dass Kommandos nicht manipuliert werden können. Selbst wenn ein Teil des Systems kompromittiert wäre, bliebe der Rest unangreifbar. Für Entwickler heißt das: neue Funktionen ohne Risiko hinzufügen. Für Flottenbetreiber: Schutz vor Manipulation und Ausfall.

Offene Systeme als europäische Chance

Viele Hersteller entwickeln die Software-Grundlagen für ihre Steuergeräte von Grund auf neu – als würde jeder seine eigene, inkompatible Steckdose erfinden. Das führt zu enormem Mehraufwand und Ineffizienz. Eine offene, standardisierte Basis – ähnlich einer einheitlichen Norm – würde diesen Aufwand drastisch reduzieren. Genau hier setzt Veecle an: mit einem offenen Betriebssystem für alle Steuergeräteebenen und einer Entwicklungsumgebung, die Software-Design, Simulation und Verteilung vereint.

Offene Software ist kein Idealismus, sondern ein Wirtschaftsfaktor. Sie schafft Transparenz, senkt Wartungskosten und beschleunigt Innovation. Hersteller können sich auf das konzentrieren, was sie unterscheidet – Fahrverhalten, Komfort, Design – statt Grundfunktionen mehrfach zu entwickeln.

Zukunft braucht offene Plattformen

Wenn Software zur Plattform wird, entstehen neue Geschäftsmodelle: Fahrzeuge, die sich spontan auf den nächsten Auftrag einstellen. Lieferwagen, die sich je nach Route oder Wetter automatisch anpassen. Flotten, die sich selbst überwachen und verbessern.

Kunden erwarten heute Systeme, die sich weiterentwickeln wie Smartphones. Wenn europäische Hersteller diese Erwartung nicht erfüllen, werden es andere tun. Offene, sichere Software ist die Voraussetzung, um Schritt zu halten, und die Zukunft unserer Industrie in Europa selbst zu gestalten.

Zum Autor

Dr. Stefan Nürnberger, promovierter IT-Sicherheitsexperte und Professor für Automotive Security, ist CEO und Gründer des Start-ups Veecle. Das Unternehmen entwickelt offene Softwarelösungen für die Fahrzeugindustrie.