Fahrverbote in Stuttgart (Update) Trifft es bald den Lieferverkehr?

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Die Umwelthilfe will nun auch Lieferfahrzeuge aus der Stadt verbannen, wenn ihre Dieselmotoren nur Euro 5 oder schlechter erfüllen.

Bereits seit 1. Januar 2019 dürfen Euro-4-Diesel nicht mehr nach Stuttgart einfahren. Anwohner hatten noch bis 31. März 2019 Schonfrist. Außerdem überlegt die Landesregierung, vier Hauptstrecken ab 2020 auch für Euro-5-Fahrzeuge zu sperren. Andererseits hat sich Stuttgarts OB Fritz Kuhn (Grüne) noch nicht festgelegt, ob man auf zonale Fahrverbote für Euro-5-Diesel verzichten könne: Am Ende entscheide die Landesregierung.

Mittlerweile hatten neun Anwohner Stuttgarts Verfassungsbeschwerde gegen die von den Verwaltungsgerichten beschlossenen Fahrverbote eingelegt. Doch das Bundesverfassungsgericht wollte nicht darüber urteilen, sie seien kein Fall fürs Verfassungsgericht.

Wie in vielen anderen Kommunen gibt es in Stuttgart aber jede Menge Ausnahmen, unter anderem für den gesamten geschäftsmäßigen Lieferverkehr (Lebensmittel, Apotheken), Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienst, Handwerker sowie Menschen mit Behinderung und in medizinischen Notsituationen. Freie Fahrt haben beispielsweise Schichtarbeiter, die nicht auf den ÖPNV ausweichen können. Auch wer mit dem Wohnmobilen in den Urlaub startet, soll fahren dürfen.

Zum Lieferverkehr zählen auch Fahrten von Handwerkern sowie Fahrten mit Baufahrzeugen, die in dringenden Fällen als Werkstattwagen oder zum Transport von Werkzeugen oder Material eingesetzt werden. Voraussetzung ist, dass die Fahrzeuge vor dem 1. Januar 2019 angeschafft wurden.

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Auch mobile Maschinen, Stapler mit Kennzeichen, Arbeitsmaschinen, Traktoren oder andere landwirtschaftlichen Zugmaschinen dürfen weiterhin in Stuttgart fahren. Ebenso Motorräder, Trikes, Quads, Oldtimer mit H-Kennzeichen sowie alle zivilen Fahrzeuge der Bundeswehr, "soweit es sich um unaufschiebbare Fahrten zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben der Bundeswehr handelt". Gut zu wissen: Wer unter diese Personen- beziehungsweise Gewerbetypen fällt, braucht keine spezielle Ausnahmegenehmigung. Laut einem Mitarbeiter der Stadtverwaltung müsse man bei einer Kontrolle lediglich begründen können, dass es sich um Lieferverkehr handelt (Postkiste, technische Geräte, etc.). Anwohner, die ihr Auto auch noch nach dem 1. April 2019 begründet fahren wollen, können online eine Ausnahmegenehmigung beantragen.

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Freie Fahrt nur mit Euro-5-Diesel oder besser: Ein Zusatzschild weißt aufs Fahrverbot in Stuttgart hin. Die Verbotszone deckt sich mit der Umweltzone. Benziner haben weiterhin freie Fahrt.

Das Sperrgebiet deckt sich mit der Umweltzone und reicht bis an die Autobahnausfahrten heran. Ein Zusatzschild soll die Fahrverbotszone kennzeichnen. Mittlerweile entzündet sich ein Streit zwischen CDU und Grünen, ob die meist bereits innerhalb der Umweltzonen liegenden Park-and-Ride-Plätze noch angefahren werden dürfen. Die Grünen lehnen Ausnahmeregelungen ab, die CDU verweist auf fehlende Alternativen für die Pendler und fordert Zufahrtsregelungen.

Umwelthilfe geht jetzt auch gegen Lieferverkehr vor

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) fordert jetzt, alle Lieferdienste mit älteren Dieselfahrzeugen aus Stuttgart auszusperren. Jürgen Resch, der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, konkretisiert diese Forderung gegenüber der Fachzeitung "trans aktuell" wie folgt: „Lieferfahrzeuge mit der Euro-Norm-5 und schlechter sollen künftig nicht mehr in die Umweltzone von Stuttgart einfahren.“ Die Forderung nach dem Einfahrverbot für Lieferfahrzeuge in die Innenstädte erhebt die DUH nicht nur für Stuttgart, sondern auch auf bundespolitischer Ebene. Das Einfahrverbot für Lieferfahrzeuge soll dann für alle Städte mit einer vergleichbaren Problematik wie Stuttgart gelten.

Der Lieferdienst DHL zeigt sich von der Forderung der Deutschen Umwelthilfe weitgehend unbeeindruckt. „Unsere Fahrzeuge erfüllen bereits heute die vorgeschriebenen Abgasnormen. Darüber hinaus setzen wir immer mehr umweltfreundliche Transportmittel wie beispielsweise Lastenfahrräder ein“, erklärt ein Sprecher gegenüber trans aktuell.

Muss die DUH, um die Forderung nach einem Fahrverbot für Lieferfahrzeuge durchzusetzen, erneut klagen? Hierzu DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch gegenüber trans aktuell: „Keineswegs. Wir verweisen auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts Leipzig vom 27. Februar 2018. Die Landesregierung Baden-Württemberg ist aufgefordert, dieses Urteil umzusetzen."

80 Euro Bußgeld

Eine zentrale Frage bei allen Fahrverboten ist: Wie soll es überwacht werden? Da die Polizei bereits mit ihren anderen Aufgaben überlastet sei, hatte die Polizeigewerkschaft mehrfach Zusatzkontrollen abgelehnt. Eine einfach einzuführende, bundesweit einheitliche blaue Plakette für saubere Fahrzeuge hatte Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) mehrfach abgelehnt. Stattdessen bringt er nun die Idee eines Bundesgesetzes ins Spiel, wonach die Fahrverbotszonen per Kameras kontrolliert und die Fahrzeugdaten automatisiert analysiert beziehungsweise mit den Fahrzeugzentralregister abgeglichen werden sollen. Laut dem "Tagesspiegel" soll das geänderte Straßenverkehrsgesetz auch erlauben, Foto des Fahrzeugs und Fahrers für sechs Monate zu speichern.

Die Idee erntet massiven Widerspruch. Datenschützer sprechen von unverhältnismäßigen Eingriffen in die Privatsphäre. Nicht nur die „Stuttgarter Zeitung“ kritisiert, hier werde mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Cem Özdemir, Vorsitzender des Bundestags-Verkehrsausschusses sagte gegenüber dem "Handelsblatt": "Auf Kosten der Steuerzahler und des Datenschutzes nimmt der Verkehrsminister lieber eine anlasslose und dauerhafte technische Überwachung aller Autofahrer in Kauf." Stephan Thomae, Vize-Chef der FDP-Bundestagsfraktion, verweist auf schlechte Erfahrungen mit der automatisierten Kennzeichenerfassung in Baden-Württemberg. Bei einem Test hätte es dort eine Fehlerquote von fast 90 Prozent gegeben. "Damit ist nach dem Dieselskandal der Weg in den Datenskandal fast schon vorgezeichnet“, so Thomae im "Handelsblatt".

80 Euro Bußgeld sollen fällig werden, wenn man unerlaubt in der Fahrverbotszone unterwegs ist. Das entspricht dem Satz, der bisher schon fürs unerlaubte Befahren der Umweltzone fällig ist. In Hamburg kostet der Verstoß derzeit nur 25 Euro für Pkw-Fahrer und 75 Euro für Lkw.

Der Deutsche Anwaltverein vertritt eine andere Meinung: Wer in den Fahrver­bots­zonen wohnt oder arbeitet, könne gegen das Fahrverbot klagen beziehungsweise vom Verwaltungsgericht überprüfen lassen, ob es in seinem Fall angemessen und rechtmäßig sei, sagt Rechts­anwalt Michael Möhring. Bei einer großflächigen Umweltzone wie etwa in Stuttgart könnte das natürlich schwieriger werden. In Hamburg dagegen sind Anlieger der beiden betroffenen Straßen von Fahrverboten ausgenommen. Ähnliches dürfte auch für Berlin gelten, wo ebenfalls nur einige Straßen gesperrt werden sollen. In jedem Fall haben Dieselfahrer keinen Anspruch auf Schadensersatz. „Zivilrechtlich ist da nichts zu machen“, sagt Rechtsanwalt Möhring. Beim Kauf des Autos habe der Käufer bekommen, was vertraglich vereinbart war: ein Auto mit einer bestimmten Abgasnorm, das nach der damals geltenden Rechtslage zugelassen wurde.

Tempo 40 bremst Stuttgarter aus

In einem Punkt scheint es Entspannung zu geben. 2018 wird die Stadt vermutlich erstmals weniger als 35 Feinstaubtage haben, also unter der Grenze bleiben. Beim Stickoxid gibt es jedoch noch keine Entwarnung. Neben dem Feinstaubalarm, der seit Anfang Oktober bei schlechten Luftwerten in Stuttgart ausgerufen wird, soll nun ein Tempolimit an der Krisenzone rund ums Neckartor die Luft verbessern. Dort wird der Verkehr auf den sechs Spuren auf 40 km/h eingebremst, überwacht von einem Blitzer. Zur Freude der Anwohner, aber zum Ärger vieler Pendler.

Feinstaub Abgase Innenstadt City Umsteig bus und bahn fahrverbot Foto: Karl-Heinz Augustin
Schon seit Jahren ruft Stuttgart in den Wintermonaten Feinstaubalarm aus. Gebracht hat es nichts.

Außerdem wollen Stadt und Land mit einem Bündel von Maßnahmen gegen die schlechten Luftwerte angehen. 400 Millionen Euro stellt das Land bereit, die in den ÖPNV und die Förderung der Elektromobilität gehen sollen. Damit wolle man Expressbuslinien, verbilligte ÖPNV-Tickets, ein besseres Parkraummanagement und eine intelligente Verkehrsführung sowie mehr Elektrobusse und einen Ausbau des Schienennetzes finanzieren. Außerdem soll nun we in anderen Städten das Dieselpaket greifen. Dieselfahrer sollen entweder Tauschpämien bei einem Kauf eines neuen Autos bekommen, oder ihre Diesel nachrüsten.

Steuerverschwendung für teure Buslinie?

Im November startetet eine Expressbuslinie zwischen der Stuttgarter Innenstadt und Cannstatt. Sie führt an der berühtigten Messstation am Neckartor vorbei und nutzt teilweise eine eigene Spur. Ziel ist, die S-Bahnverbindung zu entlasten. Trotz verbilligter Tickets kommt die Buslinie aber nicht in Fahrt - häufig sind Gelenkbusse der Linie X1 fast leer. Jetzt gerät der Exoressbus ins Visier des Bundes der Steuerzahler. 2,5 Millionen Euro habe die Einrichtung der Linie mit Signaltechnik und Straßenbau gekostet, 2,7 Millionen Euro kostet der Betrieb. Bis Ende 2020 kommen so fast acht Millionen Euro zusammen. Laut "Stuttgarter Zeitung" sitzen aber pro Richtung rechnerisch nur sieben Fahrgäste im Bus. „Kosten und Nutzen stehen in keiner vernünftigen Relation“, urteilt der Steuerzahlerbund.

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Foto: Thomas Küppers/Montage: Monika Haug
Auch eine Idee, die derzeit in Stuttgart diskutiert wird: Seilbahnen im Stadtgebiet und vom Flughafen, um Pendler zu ihren Arbeitsplätzen zu bringen. Ursprünglich, um die Stausituation zu entschärfen. Aber für die Luft hätte die Idee auch etwas Gutes.

5 Fakten zum Fahrverbot in Stuttgart

Wer ist betroffen?
Ab 1.Januar 2019 alle Dieselfahrzeuge mit Euro 4 und schlechter. Benziner sind nicht betroffen. Anwohner dürfen noch bis 31. März 2019 fahren. Ab September droht ein Fahrverbot auch für Euro-5-Diesel.

Wo werden die Fahrverbote gelten?

Die Fahrverbotszone deckt sich mit der für die grüne Umweltplakette geltenden Zone. Sie betrifft praktisch das ganze Stadtgebiet und reicht bis an die Autobahnzufahrten.

Gibt es Ausnahmen?

Der gesamte gewerbliche Lieferverkehr ist nicht betroffen. Auch Dienstleister, die zur Versorgung der Stadt nötig sind. Selbstverständlich auch Rettungsdienste, Müllabfuhr etc. Ärzte, Hebammen, Pflegedienste, aber auch Lieferservices von Apotheken und Handwerker sind ebenfalls vom Fahrverbot ausgenommen. Eine ausführliche Liste finden Sie hier.

Wie viele Fahrzeuge sind betroffen?

Laut "Spiegel online" trifft ein Verbot der Euro-4-Diesel 35 Prozent des gesamten Dieselbestands in Stuttgart und Umland (Böblingen, Rems-Murr, Esslingen, Göppingen, Ludwigsburg). Weitere 35 Prozent müssten bei einem Euro-5-Verbot ihre Autos stehen lassen.

Was passiert, wenn die Luft nicht besser wird?

Mitte 2019 soll erneut gemessen werden. Stimmen die Werte nicht, tritt der neue Luftreinhalteplan in Kraft, der das Fahrverbot auf Euro-5-Diesel ausweitet. Wer seinen Euro-4-Diesel entweder per Softwareupdate oder Nachrüstung auf Euro 5 nachgerüstet hat, soll zwei Jahre Schonfrist bekommen (nicht bestätigt).