Alle reden über das fehlende billige Elektroauto im 20.000-Euro-Segment. Doch im Schatten der ominösen Volks-Stromer für Zweitwagennutzer hat sich eine mindestens ebenso interessante Klasse etabliert: die der elektrischen Allrounder. Autos wie der Kia EV3, die ein alltags- und familientaugliches Platzangebot mit guten Reisequalitäten und akzeptablen Preisen kombinieren. Richtige Erstwagen also, die das Potenzial zum elektrischen Volumenmobil mitbringen. Eine Schwäche gibt es aber weiterhin.
Großer Akku, ordentliche Ausstattung – aber Komfort kostet
Klären wir zunächst das mit den "akzeptablen" Preisen. 30.252 Euro (alle Preise netto) kostet die Basisvariante mit kleiner Batterie, 34.789 Euro das hier getestete Modell mit großem Akku. Die Ausstattung ist dabei schon durchaus ordentlich, gespart haben die Koreaner aber bei den Assistenzsystemen und bei Komfort-Extras wie der eigentlich im E-Auto unverzichtbaren Sitz- und Lenkradheizung. Die Posten gibt es zwar auch gegen Aufpreis auf der Optionsliste, in der Regel dürfte aber das generell besser ausgestattete "Earth"-Modell die passende Wahl sein. Womit wir bei einem realistischen Preis von 36.723 Euro wären. Das ist fast exakt der Betrag, den deutsche Neuwagenkäufer im vergangenen Jahr abzüglich aller Rabatte für ihr Fahrzeug ausgegeben haben (36.580 Euro laut Deutsche Automobil-Treuhand). Und das unabhängig vom Antrieb.
Mit großer Batterie fast ganz Deutschland abdecken
Wer den EV3 als einziges Auto oder Erstwagen nutzen will, wählt wahrscheinlich in der Regel die große Batterie. Die ermöglicht in der Theorie bis zu 605 Kilometer Reichweite, was im Stadtverkehr für Wochen reicht. Bei reiner Autobahnfahrt sind realistische knapp 400 Kilometer möglich, sodass man auf der Fahrt in den Urlaub etwa alle drei Stunden eine kurze Pause einlegen muss. Wer es nicht extrem eilig hat, kommt also relativ sorgenfrei quer durch die ganze Republik. Die kleinere Batterie ist zwar einiges günstiger, aber für die Stadt oder das Pendeln sind ihre bis zu 436 Kilometer Reichweite viel zu luxuriös, für die große Etappe hingegen etwas zu gering bemessen. Alle zwei Stunden will man dann halt doch keine Pause machen.

Aus der Mittelarmlehne lässt sich ein Tischchen ziehen.
Viel Platz auf kleinem Raum clever genutzt
Verpackt sind E-Antrieb und Batterie in einer modisch-kantige Crossover-Karosserie, die auf einer nicht allzu großen Grundfläche von 4,30 Metern mal 1,85 Metern Platz für fünf Menschen und 460 Liter Gepäck bietet. In einem klassischen Kompakt-SUV aus der Verbrenner-Liga geht es spürbar enger zu. Das liegt an dem generell geringeren Platzbedarf der E-Technik, aber auch daran, dass Kia den Crossover geschickt möbliert hat. Das Raumgefühl ist auch im Fond sehr gut, die zahlreichen und sinnvoll verteilten Ablagen nehmen täglichen Klein- und auch Großkram auf. Nettes Detail: Die Armlehne zwischen den Vordersitzen lässt sich zu einer Art kleinem Tischchen ausziehen, dient dann etwa während der Ladepause als Ablage für den Laptop oder das Mittagessen.
Großer Kofferraum, durchdachte Ausstattung
Der Kofferraum ist im Klassenvergleich groß und dank praktischen Zuschnitts und niedriger Ladekante außerdem gut nutzbar. Wer Fahrräder transportieren will, findet in der Optionsliste eine Anhängerkupplung – in diesem Segment noch keine Selbstverständlichkeit. Das Ambiente und vor allem die sehr solide Verarbeitung überzeugen, auch wenn der Kostendruck letztlich viel hartes Plastik ins Cockpit treibt.
400 statt 800 Volt – genügt im Alltag
Geld ist auch der Grund, warum Kia im kompakten EV3 nicht das aus seinen anderen Modellen bekannte 800-Volt-Batteriesystem verwendet. Stattdessen kommt ein 400-Volt-Speicher zum Einsatz, der in der Praxis aber relativ flott aufgeladen ist. Vor allem, wenn man die mittlerweile durchaus taugliche Navigationssoftware an Bord nutzt. Sie macht in der Regel sinnvolle Vorschläge für Ladestopps und heizt beziehungsweise kühlt die Batterie bei der Anfahrt schon einmal vor. Dann liegen die vom Hersteller versprochenen 128 Kilowatt Ladeleistung sofort nach dem Einstöpseln und über einen langen Zeitraum an. Nach einer knappen halben Stunde ist der leere Akku dann wieder voll (10 Prozent bis 80 Prozent).

Auch ohne 800-Volt-Technik lädt der Kia flott.
Verbrauch okay – solange man nicht rast
Die extremen Laderaten der größeren Kia-Modelle vermisst man - zumindest bei einem Nutzungsprofil mit nur gelegentlichen Langstreckenfahrten - nicht. Auch, weil der Verbrauch bei ruhiger Fahrt auch auf der Autobahn unterhalb von 20 kWh pro 100 Kilometern bleibt. Allerdings springt er schnell über diese Marke und in Richtung 25 kWh, wenn das Fahrzeug voll besetzt ist und schneller als 120 km/h fährt.
Ausgewogenes Fahrverhalten mit 204 PS
Das Fahren selbst absolviert der Crossover unspektakulär. Andere Hersteller stimmen das Fahrwerk sanfter, wieder andere sportlicher ab – aber Kia findet eine vernünftige Lösung, die den meisten Fahrertypen auf den meisten Streckenprofilen gefallen dürfte. Dazu passt auch der alltagstauglich ausgelegte Frontantrieb mit 150 kW/204 PS, der auf übertriebenen E-Wumms verzichtet, aber immer genug Kraft für einen engagierten Zwischenspurt für das Überholen bereithält.
Fazit: Genug Auto für (fast) alle Ansprüche
Am Ende des Tests fragt man sich, ob man wirklich mehr Auto braucht. Für den allergrößten Teil der Kunden dürfte die Antwort "Nein" heißen: Der Platz reicht für eine vierköpfige Familie locker aus, ausreichend Reisegepäck passt ebenfalls rein und Fahrwerks- sowie Geräuschkomfort liegen auf gutem Niveau. Und auch die Reichweite dürfte für die wenigsten Nutzer zum Problem werden. Einzig wer regelmäßig lange oder sehr lange Strecken fährt und dabei gerne deutlich oberhalb der Richtgeschwindigkeit unterwegs ist, wäre mit einem schnell ladenden 800-Volt-Auto oder einem klassischen Diesel besser bedient.
EV3 im Kontext: Ein starker Vertreter seiner Klasse
Der Kia EV3 ist ein gelungener Vertreter der neuen elektrischen Allrounder-Klasse, zu der auch Skoda Elroq, Volvo EX30 oder Renault Scenic zählen – alles relativ kompakte E-Autos mit viel Platz und guter Reichweite. Auch bei ihnen bleibt am Ende vor allem der Preis ein Problem: Einen Benziner bekommt man auch bei Kia für deutlich weniger Geld (zum Beispiel den Niro für 33.000 Euro).
Technische Daten – Kia EV3 150 kW FWD Long Range
Fünftüriges, fünfsitziges Kompakt-SUV; Länge: 4,30 Meter, Breite: 1,85 Meter, Höhe: 1,56 Meter, Radstand 2,68 Meter, Kofferraumvolumen: 460 bis 1.250 Liter, vorderes Staufach (Frunk): 25 Liter
Elektromotor an der Vorderachse, 204 PS, maximales Drehmoment 283 Nm, Batterie mit 81,4 kWh, 400 V Spannung, Reichweite nach WLTP: 605 km, Ein-Gang-Automatik, Frontantrieb, Vmax 170 km/h, 0-100 km/h: 7,7 s, Ladeleistung: AC 11 kW, DC bis 128 kW, Verbrauch 16,2 kWh/100 Kilometer, Testverbrauch: 17,2 kWh/100 Kilometer; Preis ab 34.790 Euro.
Kia EV3 – Kurzcharakteristik
Warum: hohe Alltagstauglichkeit
Warum nicht: im Vergleich zu einem ähnlich großen Benziner teuer