Assistenzsysteme ab 2022 Helfer verteuern Autos

Volvo XC60 2018 Foto: Volvo

Ab 2022 werden etliche neue Assistenzsysteme Pflicht. Das ist gut für die Sicherheit, aber schlecht für den Fahrzeugpreis und eventuell sogar existenzgefährdend für Kleinwagen.

Jedes Jahr sterben in der Europäischen Union 25.000 Menschen an den Folgen von Verkehrsunfällen. Viele davon verursacht durch menschliches Versagen, Unachtsamkeit, Müdigkeit oder Ablenkung. Die häufigste Unfallursache ist unangepasste Geschwindigkeit. Sie verursacht rund 60 Prozent der Todesfälle.

Doch was tun gegen die Gefahren im Straßenverkehr? Seit Jahren halten immer mehr Assistenzsysteme Einzug in Autos. Sie sollen die Fahrer in brenzligen Situationen unterstützen und im besten Fall einen Unfall verhindern. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft ist beispielsweise von der Wirksamkeit von Notbremsassistenten überzeugt. Sie könnten 28 Prozent der Auffahrunfälle mit Personenschäden verhindern. Eine ähnliche Erfolgsgeschichte schreibt das elektronische Stabilitätsprogramm (ESP). Der Antischleuderschutz ­verhindert zwischen 25 und 35 Prozent aller Unfälle mit Personenschaden, wie Statistiken zeigen. Dass es diese Zahlen überhaupt gibt, verdanken wir gesetzlichen Regelungen. 2011 wurde ESP für neu entwickelte Autos Pflicht, seit 2014 müssen alle neu zugelassenen Pkw damit ausgerüstet sein.

Doch die Entwicklung blieb nicht stehen. Autos bremsen und lenken selbstständig, sie helfen beim Einparken ebenso wie beim Spurwechsel, schalten das Licht ein und warnen vor Müdigkeit. Viele dieser Ausstattungen benötigen teure Sensorik: Ultraschallsensoren für die Einparkhilfe, Radar für Totwinkelwarner und Abstandstempomaten, Kameras für Spur- und Schildererkennung und vieles mehr. Alle Informationen muss das Auto in Echtzeit aus­werten und dann Entscheidungen treffen. Die Komplexität dieser Aufgabe sieht man auch daran, dass hier­zulande noch kein Auto serienmäßig autonom fahren darf.

Doch wie die Zahlen zeigen, können die Systeme zumindest Unfälle verhindern oder deren Folgen mindern. Die EU hat diese Potenziale erkannt und macht ab Juli 2022 daher zahlreiche Systeme für neue Typzulassungen verpflichtend. Autos, die dann neu auf den Markt kommen, müssen also serienmäßig mit zahlreichen Helfern ausgerüstet sein, vom Notbrems­assistenten über einen Unfalldatenspeicher bis zum Spurhalte- und Rückfahrassistenten. Das stellt die Autohersteller vor Herausforderungen. Die Entwicklung neuer Fahrzeuggenerationen ist wegen strenger Verbrauchs- und Abgasziele sowieso schon teurer als noch vor wenigen Jahren. Um die 1.000 Euro soll die nötige Ausstattung pro Kleinstwagen kosten. Diesen Aufwand reicht die Autoindustrie aller Voraussicht nach an die Kunden weiter. Oder sie stellen die Fahrzeugklasse gleich ganz ein.

Mercedes Tacho Foto: Mercedes
Der Abstandsregeltempomat hält eine sichere Distanz zum vorderen Fahrzeug.

Die Sicherheitsanforderungen könnten das Aus für Minicars allgemein bedeuten, weil sie schlicht zu teuer werden. PSA beispielsweise ist schon ab nächstem Jahr nicht mehr am bisherigen Gemeinschaftswerk mit Toyota beteiligt, wo derzeit noch Peugeot 108, Citroen C1 und Toyota Aygo vom Band laufen. Skoda Citigo und Seat Mii fahren nur noch elektrisch.

Immerhin gibt es bis Juli 2024 noch Hoffnung für die kleine Klasse. Erst dann nämlich treten die neuen Regeln für alle Neuzulassungen in Kraft. Derzeit noch aktuelle Autos können also erst einmal unverändert weiterverkauft werden. Und für zahlreiche Modelle stellen die neuen Regeln keine großen Zusatzinvestitionen dar. Schon heute bekommen nur Autos die volle Punktzahl beim Euro-NCAP-Crashtest, die auch über gewisse Assistenzsysteme verfügen. Ohne Spurhalter und Notbremsassistent etwa geht nichts.

Auch das Kostenthema ist relativ: Weniger Einparkschäden sparen Kosten, weniger Verletzungen und weniger Unfälle ebenso. Die neuen Regelungen sind also nicht nur Hemmnis, sondern vielmehr eine Chance für sicherere Straßen.

Diese Assistenten werden Pflicht

Sofern nicht anders angegeben, sind alle folgenden Systeme für neue Fahrzeugtypen ab dem 6. Juli 2022 verpflichtend, zwei Jahre später dann für alle Neuzulassungen. Die Regelungen gelten für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge bis 3,5 Tonnen.

Intelligenter Geschwindigkeitsassistent: erkennt die angemessene Geschwindigkeit und gibt dem Fahrer Hinweise bei überhöhtem Tempo. Kann abgeschaltet werden.

Notbremslicht: Zusatzlicht bei starken Bremsungen.

Notbremsassistent: erkennt Gefahrensituationen und bremst; zwei Jahre später dann auch mit Fußgänger- und Radfahrererkennung.

Rückfahrassistent: informiert den Fahrer über Personen oder Objekte hinter dem Auto.

Spurhaltesystem: erkennt und verhindert das Verlassen der Spur. Für ­hydraulische Servolenkungen gibt es zwei Jahre Schonfrist, dann warnt das System nur.

Müdigkeitswarnung: erkennt Ablenkung und Müdigkeit und warnt den Fahrer.

Alkohol-Interlock: standardisierte Schnittstelle für den nachträglichen Einbau eines Alkoholkontrollgeräts.

Unfalldatenspeicher: speichert Geschwindigkeit, Bremsungen, Posi­tion und Lage sowie den Status der anderen Assistenten zum Zeitpunkt des Unfalls. Aus Datenschutzgründen nur im Fahrzeug, ohne Online­anbindung.

Schutz gegen Cyberangriffe: Autos kommunizieren immer mehr via Internet. Die Hersteller müssen dabei für Sicherheit garantieren.

Car-2-Car-Kommunikation: Autos sollen vor allem Infos über Gefahrenstellen unter­einander austauschen.

Fahrerverfügbarkeit: Ist das Auto mit Assistenten ausgerüstet, die autonomes Fahren ermöglichen, muss es erkennen, ob der Fahrer kurzfristig die Kontrolle übernehmen kann.

Fußgängerschutz: Zwei Jahre später als die restlichen Maßnahmen sollen weichere Karosseriestrukturen im Bereich der Motorhaube ­Fußgängern das Leben retten.